Der wachsende Bauch als Machtsymbol

Über Daniel Hornuffs „Schwangerschaft. Eine Kulturgeschichte“

Von Anna LenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Lenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schwangere schmücken die Titelseiten der Boulevardblättchen, werden von Marketingaktionen umworben und auf jede ihrer Fragen finden sie Antworten in unzähligen Schwangerschaftsratgebern. Weltweit streiten sich Abtreibungsgegner mit den Anhängern der Pro-Choice-Kampagne: Wann beginnt das Leben und was befindet sich eigentlich wirklich neun Monate lang im Inneren des gewölbten Bauches? Diese Fragen stellen sich Forscher und Philosophen schon seit der Antike und nur nach und nach wird dem Menschen ein Blick in den Uterus gewährt. Auch bildende Kunst, Film und Literatur beschäftigen sich eingehend mit dem Thema Schwangerschaft. Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit, Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ oder Huxleys „Schöne neue Welt“ sind nur einige Werke, in denen Schwangerschaft und Embryo thematisiert werden.

Daniel Hornuff gelingt es in zehn Kapiteln, dem Leser in seiner Kulturgeschichte der Schwangerschaft die Darstellung des Embryos, der Schwangeren, aber auch den kulturellen Umgang mit dem Thema näherzubringen. Dabei schlendert er von den ersten anatomischen Darstellungen des Fötus über Leonardo da Vincis berühmten hockenden Knaben im Uterus bis zu Demi Moores entblößtem Babybauch auf dem Cover der Vanity Fair. Immer im Mittelpunkt steht dabei die Suche nach dem Unsichtbaren, nämlich dem Embryo. Während in den Darstellungen der spätgriechischen Antike die Embryonen anmuten wie „Altherrenverein[e] der Nudistenbewegung“, können werdende Eltern sich heute Büsten, gefertigt nach dem Vorbild der 3D-Aufnahme ihres ungeborenen Kindes, in die Wohnzimmervitrine stellen. Hornuff kommentiert und analysiert in seiner Monografie verschiedene Phänomene der Embryonaldarstellung und versucht damit nicht so sehr dem Fötus selbst, sondern vielmehr der menschlichen Neugier und der Suche nach dem Ungeborenen auf den Grund zu gehen.

Der Autor führt zunächst in seine Herangehensweise ein, macht den Leser mit der Unsichtbarkeit des Ungeborenen vertraut und zeigt, welche Funktionen und Möglichkeiten die bildende Kunst angesichts des Themas Schwangerschaft hat. Weiter führt er im folgenden Kapitel aus, wie durch Samuel Thomas Sommerring und später durch den schwedischen Fotografen Lennart Nilsson der Embryo zum Idealgeschöpf wurde. Er zeigt, wie sich der Anatom Sommerring im 18. Jahrhundert mit dem Thema vertraut machte und wie auch noch Jahrhunderte später die Darstellung des Ungeborenen durch die Fotografien Nilssons die Welt in Erstaunen versetzen konnten. Dabei fallen nicht wenige kritische Töne in bezug auf die Überästhetisierung des Embryos.

Doch nicht nur der Embryo selbst ist Teil einer Inszenierungsgeschichte. Im dritten Kapitel schreibt Hornuff über den „Behälter“, den Uterus und seine bildliche Darstellung seit der Antike. Er berücksichtigt sowohl wissenschaftliche Annäherungsversuche als auch – teilweise dem heutigen Leser absonderlich anmutende – Werbeaktionen, die sich mit dem Uterus auseinandersetzen.

Das Symbolbild des Embryos, der hockende Knabe im Uterus, steht im Mittelpunkt des vierten Kapitels. Bis heute prangt er auf Schwangerschaftsratgebern und wird von Abtreibungsgegnern auf Protestplakate gedruckt. Er hat die Darstellungsgeschichte von Uterus und Embryo wie keine andere Zeichnung beeinflusst. Weiter zeigt Hornuff die Geschichte der Schwangerschaftsforschung in der Moderne. Von Spermisten, die glaubten, das Ungeborene bereits vollständig im Sperma des Mannes finden zu können, das dann nur wie Saatgut in den Uterus der Frau gepflanzt werden müsse, bis zur Methode der Harnschau, bei der das geübte Auge im Urin der Schwangeren bereits das Antlitz des Ungeborenen glaubt sehen zu können; die Forschung begab und begibt sich noch heute auf einige Holzwege. Um Irrtümern entgegenzuwirken kann die Mutter gegenwärtig schon früh ihrem Kind mithilfe eines Ultraschallgerätes entgegentreten.

Das sechste Kapitel schildert eine Porträtkultur des Ungeborenen und den wachsenden kommerziellen Umgang mit Abbildern des Fötus, die im siebten Kapitel in der skulpturalen Ausarbeitung des Ungeborenen mündet. Aber das Wetteifern um eine möglichst sensationelle Darstellung des Embryos ist keineswegs ein reines Phänomen der Gegenwart: Bereits im 19. Jahrhundert wurde die „Embryonenkontroverse“ zwischen den Biologen Wilhelm His und Ernst Haeckel heiß diskutiert und läutete den Aufstieg des Embryos als Werbeikone ein.

Neben feministischen Ansichten zur Schwangerschaft beschäftigt sich das achte Kapitel vor allem mit der christlichen Ikonographie des Jesuskindes und der schwangeren Jungfrau, welche Schwangerschaft stark romantisiert und damit gegen den eigentlichen Trend des „peinlichen“ Schwanger-Seins geht. Heute ist die Schwangerschaft meistens kein Grund mehr zur Scham. Anstatt zu versuchen, den wachsenden Bauch in wallenden Roben zu verbergen, zwängen sich Schwangere heute in enge Kleider um ihr ‚Mama-Glück‘ stolz der Welt zu präsentieren. Dies und das wachsende Medieninteresse an schwangeren Promi-Müttern sind Thema des neunten Kapitels.

Abschließend blickt Hornuff auf bisher Erläutertes zurück. Mit über 80 teilweise kolorierten Bildern führt der Autor durch die bildliche Darstellung von Frau und Kind und zeigt dabei einen Wandel vom „Schwanger?“ zum „Schwanger!“. In einer westlichen Welt, die mit Geburtenrückgang zu kämpfen hat, wird der wachsende Bauch zum Machtsymbol und damit stolz präsentiert.

In der Monografie schlägt Hornuff wieder und wieder einen Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart. Dabei beleuchtet er stets einen anderen Gesichtspunkt, mal die ästhetische Idealisierung des Embryos, mal die christliche Ikonographie des Ungeborenen, und nicht zuletzt das Abbild der Schwangeren. Durch weitere Unterteilungen der Kapitel kann der Leser den Gedankengängen des Autors, der stets das eigene Vorgehen reflektiert und Bezüge zu Vorhergegangenem stellt, problemlos folgen. Ein übersichtliches Layout sowie ein kurzes Abstrakt vor jedem Kapitel helfen zusätzlich bei der Orientierung.

Titelbild

Daniel Hornuff: Schwangerschaft. Eine Kulturgeschichte.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014.
304 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783770557004

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