Die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben

Beiträge über „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in Deutschland und Österreich

Von Jens FlemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Flemming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Entjudung“ ist ein zeitgenössischer Begriff. Er gehört zur Sprache der Täter, überlagert den der „Arisierung“ und wird im behördlichen Schriftverkehr am Ende der 1930er-Jahre dominant. Das Wort „arisieren“ etwa hielt 1937 das Schwarze Korps, das Organ der SS, für eine „jüdische Erfindung“. Es diene der Tarnung, war man dort überzeugt, meine nicht „Besitzwechsel“, sondern nur „äußerliche Umformung“, die den „Kern unberührt“ lasse, „den Juden nämlich“, der weiterhin aus dem Hintergrund die Fäden ziehe. Das zielte auf Versuche jüdischer Unternehmer, das Jüdische an ihren Firmen dadurch unsichtbar zu machen, dass man einen „Arier“ gewissermaßen ‚pro forma‛ oder ‚treuhänderisch‛ mit der Leitung der Geschäfte betraute. Die neuere Forschung, die seit geraumer Zeit schon die Thematik intensiv diskutiert, definiert „Arisierung“ als umfassenden Vorgang wirtschaftlicher Marginalisierung, Ausschaltung und Ausplünderung, als historisch beispiellosen, erzwungenen Vermögenstransfer, von dem der Staat ebenso wie einzelne Personen profitierten. Beabsichtigt war damit der soziale Tod auf Raten, die Zerstörung der bürgerlichen Existenz: für diejenigen, die nicht emigrierten, die Vorstufe zur physischen Vernichtung.

Vollzogen hat sich das Ganze als „gesellschaftlicher Prozeß“, wie die Herausgeber Christiane Fritsche und Johannes Paulmann in Anlehnung an den Hamburger Historiker Frank Bajohr hervorheben. Gemeint ist, dass der Kreis der Täter und Profiteure eher weit als eng zu ziehen ist. Beteiligt waren nicht nur höhere Bürokraten an den Schreibtischen der Ministerien, nicht nur Funktionäre der Partei und ihrer Gliederungen, nicht nur Angehörige der Gestapo und SS, sondern auch zahlreiche ‚Volksgenossen‛, die – aus welchen Anlässen und Motiven auch immer – in das Geschehen involviert waren. Zuvorderst zu nennen sind die Käufer, diejenigen, die jüdisches Eigentum an sich brachten: in der Regel zu Preisen, die den Wert der Betriebe, der Grundstücke und Häuser, der Möbel und Gemäldesammlungen deutlich unterschritten.

Zu nennen sind ferner die vielen kleineren bis mittleren Beamten, Angestellten und Gewerbetreibenden, ohne die das Räderwerk systematischer Verfolgung und Diskriminierung nicht hätte in Gang gehalten werden können: Gerichtsvollzieher, Mitarbeiter der Finanz- und der kommunalen Ämter, Blockwarte und Kammerjäger, die für die ‚Entwesung‛ freigemachter Wohnungen zu sorgen hatten, Strom- und Gasableser, Kunst- und Antiquitätenhändler, Mitarbeiter von Banken und Sparkassen, die mithalfen, jüdisches Geld- und Aktienvermögen zugunsten des Reichs zu „verwerten“ und die Spuren zu verwischen; zu nennen sind schließlich die vielen Schnäppchenjäger, die geraubtes „Judengut“ für kleines Geld ersteigerten.

„Wiedergutmachung“ als terminologisches Pendant ist ein Euphemismus und bedarf distanzierender Gänsefüßchen. Denn wieder gut machen ließ sich nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur nichts. Begangenes Unrecht konnte weder kompensiert noch aus der Welt geschafft werden. Und schon gar nicht war davon ein moral- und erinnerungspolitischer Schlussstrich zu erwarten. Für die Überlebenden, hauptsächlich die emigrierten Juden, ging es nach 1945 darum, die erlittenen Verluste anzumelden und darauf zu hoffen, dass sie bei den deutschen Behörden, den Wiedergutmachungsämtern und den Wiedergutmachungskammern an den Gerichten, auf Offenheit und Verständnis treffen würden. Will man missverständliche Konnotationen vermeiden, meint „Wiedergutmachung“, wie die Herausgeber im Einklang mit der neueren Forschung notieren, Rückerstattung, zum einen Restitution, also Rückübertragung von zu Unrecht erworbenen Vermögenswerten durch die damaligen Erwerber, zum andern Entschädigung durch die Bundesrepublik Deutschland.

Hinter den Vorgängen, die damit begrifflich gefasst sind, verbarg sich vielfach neues Unrecht, mit dem das alte sich fortzeugte. Die Absichtserklärungen wohlmeinender Gesetze und Verordnungen in die gesellschaftliche Praxis der 1950er- und 1960er-Jahre zu überführen, war, wie die Aufsätze von Susanna Schrafstetter und Julia Volmer-Naumann über Verfahrensweisen in der britischen Besatzungszone verdeutlichen, weder einfach noch harmlos. Denn vielfach stießen die Antragssteller auf wenig kompetentes, vorurteilsbehaftetes und unwilliges Personal. Entsprechend lange dauerte es, ehe sie zu ihrem Recht kamen. Gemessen an den verlorenen Gütern, fielen die ausgekehrten Summen recht bescheiden aus.

Das Feld, das der Sammelband von Fritsche und Paulmann bewandert, gehört nicht zu den jungfräulichen Territorien und bedarf keiner grundlegenden Erschließungsarbeit. „Arisierung“ ist des Längeren schon ein relativ prominentes Thema, „Wiedergutmachung“ erfährt allerdings erst seit der Jahrtausendwende die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Auch die Einsicht, dass man dem Geschehen nur mit dem Blick auf die lokale Ebene wirklich beikommt, ist nicht überraschend. Herausgeber und Beiträger folgen daher einer mittlerweile etablierten Tradition. Für die hier zusammengebrachten Studien ist kennzeichnend, dass sie den Scheinwerfer nicht allein auf die beteiligten Institutionen richten, sondern vor allem auf Täter und Opfer. Auf diese Weise erreichen sie ein hohes Maß an erfahrungs- und wahrnehmungsgeschichtlicher Verdichtung. Zu Tage tritt eine erhebliche Bandbreite der Verfahren, in denen sich zu unterschiedlichen Zeiten höchst unterschiedliche Schicksale offenbaren. Kaum ein Fall glich dem nächsten. Die räuberische Aneignung jüdischen Eigentums gründete auf Druck von unten wie von oben, aber es gab bis zur staatlichen Regelung im Jahr 1938 kein verbindliches Schema. Insofern wundert nicht, dass gerade in dieser Periode Handlungsspielräume zu erkennen sind, gleichviel ob genutzt oder ungenutzt. Das gilt für die „Arisierung“ ebenso wie für die „Wiedergutmachung“, denn in beiden Vorgängen kam den handelnden Personen und der Art, wie sie die Dinge handhabten, wesentliche Bedeutung zu.

In Österreich verlief die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, wie Gerald Lamprecht und Bertold Unfried an den Beispielen Graz und Wien zeigen, nach dem Anschluss an das Reich außerordentlich gewalthaft, spontan und zunächst von den Behörden kaum kontrolliert. „Arisierung“ bedeute, so Gauleiter Bürckel, die „Säuberung des Geschäftes vom jüdischen Geist“. Was lag näher, als zuvorderst die Beuteinstinkte der alten Kämpfer zu bedienen, sie zu entschädigen, ihnen eine Art Kompensation zu gewähren für tatsächliche oder nur behauptete Benachteiligungen während der Jahre, in denen die Partei verboten war. Aber darin erschöpfte sich das komplexe Geschehen keineswegs. Beteiligt war naturgemäß auch der Staat, der sich über eine die Juden diskriminierende Steuerpolitik seinen Anteil am Kuchen sicherte, zugleich aber bemüht war, die strukturelle Unterlegenheit der österreichischen Wirtschaft zu mildern. Das hieß in vielen Fällen, jüdische Geschäfte und Unternehmen nicht an ‚arische Volksgenossen‛ zu übertragen, sondern zu liquidieren. Derartige Interventionen hatten das Ziel, die Übersetzung in einzelnen Gewerbezweigen zu beseitigen, durch Konzentration und Rationalisierung die Konkurrenz- und Funktionsfähigkeit der ‚alt- und neu-arischen‛ Betriebe zu steigern.

So wie es einvernehmliche „Arisierungen“ gab, konnte auch die Restitution einvernehmlich, auf dem Weg außergerichtlicher Vereinbarung abgewickelt werden. Lina-Mareike Dedert schildert einen dieser Fälle, indem sie das Augenmerk auf die Röhrengroßhandlung Leopold Weill in Mannheim lenkt. Diese war trotz der Boykottmaßnahmen des Regimes bis in die Jahre 1936/37 so profitabel, dass der Inhaber nicht an Aufgabe denken mochte. Als sich dies kurz darauf änderte, suchten Weill und sein Kompagnon Alfred Sonder nach einem geeigneten Käufer. Der fand sich schließlich in Gestalt der Franz Haniel GmbH und der Ferrostahl AG, die zum Konzern der Gutehoffnungshütte Oberhausen gehörten und die erworbene Firma als Röhrenlager Mannheim AG weiterführten. Sonder emigrierte in die USA, Weill starb im Juni 1940 in Mannheim. Nach dem Krieg wurde der Betrieb als „arisiertes“ Unternehmen unter Vermögenskontrolle und Treuhandverwaltung gestellt. Um die Angelegenheit zu beschleunigen, wandte sich die Ferrostahl direkt an Sonder und erreichte eine gütliche Einigung. Sonder wurden ein Drittel des Röhrenlagers und zwei Sitze im Aufsichtsrat zugesprochen, Weills Erben wurden entschädigt. „Auf eine ‚private Arisierung’“, resümiert die Autorin, „folgte eine ebenso privat ausgehandelte Rückerstattung.“

Dass es anderen Orts nicht so glimpflich abging, dass Kunstsammlungen zerfleddert wurden, wobei Museumsdirektoren sich nicht mit Ruhm bekleckerten, dass die Mitwirkung an der Ausplünderung der Juden nach 1945 nicht unbedingt das Ende der Karriere bedeuten musste, vielmehr bis ins Bürgermeisteramt einer Stadt wie Konstanz führen konnte: Das alles kann man in den übrigen Beiträgen dieses konzeptionell anregenden und empirisch gehaltvollen Sammelbandes nachlesen.

Titelbild

Christiane Fritsche / Johannes Paulmann (Hg.): "Artisierung" und "Wiedergutmachung" in deutschen Städten.
Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2014.
394 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783412221607

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