Gesucht, vermisst, geknipst

Anton Corbijn dokumentiert seinen eigenen Filmdreh

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann es übertrieben finden, einer Romanverfilmung, deren mit den üblichen Bonusfeatures einhergehende DVD-Auswertung noch bevorsteht und die auch die literarische Vorlage wieder in die Bestsellerlisten gespült hat, noch ein weiteres Buch folgen zu lassen und die Verwertungskette damit abermals auszudehnen. Für den Bildband looking at a most wanted man spricht jedoch nicht nur die Personalunion von Filmregisseur und Fotograf, sondern auch, dass hier mit Anton Corbijn einer der prägendsten Künstler der Gegenwart die Hand am Auslöser hatte. Auch zu seiner dritten Regiearbeit fürs Kino (nach dem Ian-Curtis-Biopic Control und dem elegischen Noir-Western The American), der im September 2014 im Kino gestarteten John-Le-Carré-Adaption A Most Wanted Man, legt Corbijn einen Band mit 140 Schnappschüssen von den Dreharbeiten vor, der zudem in Faksimile-Manier mit handschriftlichen Kommentaren versehen ist.

Wiewohl es sich bei dem titelgebenden, vielgesuchten Mann in dem unterkühlten Spionagefilm um den Tschetschenen Issa Karpov (gespielt von Grigori Dobrygin) handelt, ist der Filmtitel von der Geschichte eingeholt und längst mit einer anderen Bedeutung versehen worden. Gesucht und schmerzlich vermisst wird natürlich Philip Seymour Hoffman, Corbijns Hauptdarsteller, der ein halbes Jahr vor dem Kinostart des Films in New York verstarb. Ihm ist das Buch gewidmet, und bedingt durch die tragischen Ereignisse nehmen die im herbstlichen Hamburg entstandenen Aufnahmen von Hoffman auch eine gespenstische, ikonische Qualität an, mit deren Doppelbödigkeit nicht alle Fotos im Buch mithalten können. Hoffman am Klavier, auf der Elbfähre oder mit einer Mütze, die seiner Figur im Film (dem Spion Günther Bachmann) den letzten Schliff verleihen soll, das einerseits widerwillig fotografierte und andererseits der Kamera in mürrischer Hassliebe verbundene, ausdrucksstarke und stets unausgeschlafene Gesicht dieses brillanten Schauspielers – das ist nicht mehr nur der Nachsommer der Gegenwart, den Corbijn mit seinem Post-9/11-Film festhalten wollte (die Angriffe auf New York bezeichnet Corbijn in seinen Notizen als Herbstbeginn für die Menschheit), das ist die Chronik eines angekündigten Todes, die sich mit vielen weiteren Aufnahmen von leerstehenden Hamburger Wohnungen sowie vom Nachtleben der Stadt zu einem lebensmüden Panorama verdichtet.

Nicht, dass Corbijn als Chronist der Dreharbeiten und als Hoffman-Porträtist den Ensemblecharakter seines Films verraten würde: Auch jenseits des Hoffman-Schreins gibt es hier viel zu entdecken. Die Akteure des Films – unter anderem traten für Corbijn Nina Hoss, Rachel McAdams, Robin Wright, Daniel Brühl, Willem Dafoe sowie Herbert Grönemeyer vor beide Linsen: Filmkamera wie auch Fotoapparat – werden sowohl in Filmszenen als auch auf Fotos grübelnd, pausierend und bei kleinen, der Hamburger Kälte trotzenden Tänzeleien eingefangen. Zugleich kennen Corbijns visuelle Aperçus keinen Promibonus. Das Lichtdouble von Robin Wright, eine Döner-Bude oder der kratzende Bart, den sich Autor Le Carré für seinen Gastauftritt im Film stehen ließ, stehen als Blickfang den Starporträts gleichwertig gegenüber. Sogar ein wenig Koketterie leistet sich der Künstler, der unumwunden zugibt, dass einige Motive wohl eher die Selbstverliebtheit des Fotografen dokumentieren, und unscharfe Aufnahmen lapidar damit entschuldigt, so etwas komme nun einmal auch bei den Besten vor.

Zwar ist das Buch, das im Kommentarteil auf die gängige Zahlenrhetorik des Making-of-Formats verzichtet und nur wenig über den Arbeitsprozess des Regisseurs verrät, allenfalls peripher als Dokumentation des Filmdrehs zu verstehen, jedoch spricht es für die unbestreitbaren Fähigkeiten Anton Corbijns, dass der Betrachter mit diesen statischen Aufnahmen dem Gefühl für die Stimmung am Set sehr nah kommt. Der Fotograf schätzt seine Mitarbeiter und widmet ihnen kleine Denkmäler, doch er retuschiert nicht, dokumentiert Streit und artikuliert auch seinen Zorn darüber, etwa von der Gestaltung der Filmposter ausgeschlossen worden zu sein. Hier überschreitet das Buch am deutlichsten das Niveau der üblichen, im Bussi-Bussi-Ton gehaltenen DVD-Dreingaben („Die Zusammenarbeit war eine reine Freude!“), und empfiehlt sich auch als informatives Format, das weit mehr als nur „Kino zum Nachblättern“ bietet.

Laut Corbijn selbst soll looking at a most wanted man das letzte Buchprojekt dieser Art sein, doch möglicherweise ist auch dies nur Koketterie. Über seine Karriere als Spielfilmregisseur hatte Corbijn schon vor Jahren geunkt, diese werde auf drei Projekte beschränkt bleiben. Inzwischen steckt der holländische Künstler freilich schon mitten in der Arbeit am vierten Werk, das abermals mit einer Ikone ringen wird – es ist ein Film über James Dean.

Titelbild

Anton Corbijn: Looking at a most wanted man.
Mit Photographien und Texten von Anton Corbijn.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2014.
180 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783829606493

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