Wider die Grammatikpein

Ludger Hoffmanns Deutsche Grammatik ist in zweiter Auflage erschienen

Von Almut VierhufeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Vierhufe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Grammatikunterricht in Schule, aber auch im Germanistikstudium von Lernenden gemeinhin als Heimsuchung empfunden wird, ist bekannt und wird von Lehrenden oft beklagt. Ebenso selbstverständlich ist jedoch auch, dass Kommunikation nur gelingen, Literatur und Sachtexte nur angemessen analysiert, beurteilt und gewürdigt werden können, wenn Bedeutung und Gebrauch sprachlicher Strukturen bewusst sind, die, wie man es von Muttersprachlern erwartet, in jeder Situation, in jedem Kontext und in jeder Textsorte perfekt beherrscht werden sollen. Gegen das Ungemach der Grammatikvermittlung ist Abhilfe nur von einer Didaktik zu erwarten, die es schafft, nachvollziehbar zu zeigen, wozu und warum es sinnvoll, interessant, sogar unterhaltsam ist, grammatische Strukturen zu verstehen und im eigenen Gebrauch zu reflektieren. Denn: Auch die Klage über die große Kluft, die zwischen sprachwissenschaftlicher und sprachdidaktischer Forschung und deren pädagogischer Umsetzung herrscht, ist seit Jahren deutlich zu vernehmen.

Ludger Hoffmanns Deutsche Grammatik, die explizit für das Lehramtsstudium und das Studium für die Vermittlung von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache konzipiert ist, überbrückt diese Kluft. Das zeigen bereits die Kapitelüberschriften, die durchgängig die Frage aufgreifen, wozu Sprache dient (etwa: „Redegegenstände formulieren“, „Gedanken formulieren“, „Zweckbereiche des Handelns und Äußerungsmodi“). Hoffmanns Grammatik ist der funktionalen Perspektive und Didaktik verpflichtet und beginnt deshalb im hinführenden Kapitel mit sprechakttheoretischen Grundbegriffen, die, wie bekannt, Sprechen und Sprache als Handlung verstehen.

Die Änderungen in der zweiten Auflage sind marginal und beschränken sich auf wenige notwendige Korrekturen und Ergänzungen. Dass die sehr umfangreiche Grammatik nun bereits nach zwei Jahren in zweiter Auflage erscheint, zeigt, so der Autor im Vorwort, dass es offensichtlich „Bedarf für eine grammatische Darstellung, die funktional-kommunikativ fundiert ist und auf die Anforderungen der Vermittlung zielt“, gibt. Methode, Aufbau und Inhalt sind bereits für die erste Auflage der Grammatik dargestellt worden; deshalb seien hier ergänzend einige Aspekte herausgegriffen, die besonders den ganz praktischen Nutzen der Grammatik auch für Lerner, nicht nur für Lehrende des Deutschen zeigen.

Dem Hinweis des Autors im Vorwort, diese Grammatik bedürfe „zusammenhängender Lektüre“, sei (im positiven Sinne) gleich widersprochen. Diese Empfehlung könnte rein quantitativ überfordern und sogar abschrecken. Das wäre bedauerlich. Tatsächlich eignet sich die Grammatik auch zum Nachschlagen und zur selektiven Informationssuche, was mit dem ausführlichen Sachregister problemlos möglich ist. So können etwa auch besonders heikle, fehleranfällige grammatische Aspekte gezielt nachgelesen werden, zum Beispiel die berühmt-berüchtigten Stolpersteine des Deutschen (Adjektivdeklination, korrekter Gebrauch der Präpositionen, Unterscheidung zwischen präpositionalem Adverbial und Präpositionalobjekt) – Klippen, die selbst Muttersprachler nicht mühelos umschiffen, wie Stilblüten aus der Presse immer wieder zeigen. Kurze, dem Gegenstand jeweils vorangestellte Einordnungen und Erklärungen, verständliche Beispiele, Tabellen und sogar Übungsaufgaben ermöglichen eigenständiges Lernen. Und mit der detaillierten „Übersicht zu den Präpositionen“ oder der knappen Tabelle zur Adjektivdeklination kommen ohne Mühe auch Nichtmuttersprachler zurecht. Für Unterrichtende werden zudem im „Serviceteil“ der Grammatik die Hauptschwierigkeiten des Deutschen mit Verweis auf andere Sprachen zusammengefasst: Wer weiß, dass es etwa im polnischen, russischen und türkischen Sprachsystem den bestimmten Artikel nicht gibt, kann auf die Fehler von Deutschlernenden didaktisch bereits ganz anders reagieren. Dass gerade diese besonderen „Lernprobleme“ in der Grammatik ausführlicher behandelt werden, wie der Autor betont, bestätigt den Nutzen auch für das Lehren und Lernen des Deutschen als Zweit- und Fremdsprache, wie der Titel verspricht. Somit ist die Grammatik tatsächlich auch für fortgeschrittene Nichtmuttersprachler zum Selbststudium geeignet.

Nicht zuletzt muss und soll nachdrücklich auf die Beispiele und Belege hingewiesen werden, mit denen Hoffmann die Theorie illustriert. Bereits die hinführenden Bemerkungen in Vorwort und Einleitung betonen, dass sich die Grammatik an der „Sprachwirklichkeit“ orientiere. Alle Beispiele sind authentisch, nicht dem jeweiligen Gegenstand entsprechend konstruiert: Es finden sich Schülertexte, Kiezdeutsch-Belege der gesprochenen Sprache, zahlreiche Internet-Belege und eine große Bandbreite literarischer Auszüge. Gerade hier sind diejenigen besonders geeignet und überzeugend, die bewusst sprachliche Normverstöße und Regelwidrigkeiten poetisch nutzen und somit auf die Virtuosität von Sprachspielen und Abweichungen aufmerksam machen, wie es etwa Hans Joachim Schädlichs Jugendbuch Der Sprachabschneider vermag.

Die Praxis bestätigt, mit wie viel Engagement Schüler und Studierende mit authentischen (Fehler-)Texten und realen Sprachbelegen, wie zum Beispiel Kiezdeutsch, umgehen, wenn von den Lehrkräften begleitend eine sorgfältige Sprachstandsdiagnose erstellt wird, die nicht immer nur die Defizite betont. Die Praxis zeigt auch, wie wichtig es gerade heute ist, im Grammatik- und Sprachunterricht wenigstens im Ansatz sprachvergleichend vorzugehen, um die Mehrsprachigkeit vieler Schüler didaktisch zu nutzen. Dem trägt auch die kontrastive Ausrichtung dieser Grammatik Rechnung: Zur Unterstützung des Sprachverständnisses werden grammatische Phänomene anderer Sprachen, die in mehrsprachigen Klassen heute selbstverständlich vertreten sind, herangezogen (der Schwerpunkt liegt bei Hoffmann auf dem Türkischen). Und wenn dazu geschickt ausgewählte literarische Beispiele illustrieren, was mit Sprache möglich ist, wächst die Hoffnung, dass der unvermeidliche Grammatikunterricht nicht mehr als Pein empfunden wird.

Titelbild

Ludger Hoffmann: Deutsche Grammatik. Grundlagen für Lehrerausbildung, Schule, Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache.
2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2014.
609 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783503155552

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