Energie

Albert Ostermaiers Gedichte sind nichts für empfindliche Seelen

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gedichte können als Essenz der Leidenschaft angesehen werden. Albert Ostermaier versucht, deren maximale Konzentration der Leidenschaft zu erreichen. Er reduziert die Anzahl der Wörter, verzichtet auf Groß- und Kleinschreibung sowie Satzzeichen und konzentriert seinen Blick auf einen emotionalen Grenzgang. Mit seinem neuen Gedichtband „Außer mir“ testet er Grenzen aus. Den Leser erwarten rauschhafte Zustände und erregende Schmerzen („gib mir feuer“). Wenn die Wunden brennen, fleht das lyrische Ich, nicht aufzuhören.

Dieses Ich verlangt, unter Strom gesetzt zu werden. Wie Blitze leuchten Bilder auf. Es ist, als würde der Leser das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten. Kick-down, volle Beschleunigung, eine Flut von Eindrücken rast auf ihn zu. Den Gedichten wohnt eine schwindelerregende Geschwindigkeit inne. Es ist kein Ruhepol zu finden. Hier werden Träume mit Einschusslöchern perforiert, ein Tisch mit der Axt bearbeitet und Morphium gespritzt. Kerosin, Blitzlichter und eine brennende Achterbahn flackern auf, während die Haut altert und ein Tumor wächst. In diesem Rausch finden sich energiegeladene, aufgeladene Verse voller sexueller Spannung („knall deine brüste / auf meinen herzmuskel du elektrisierst mich“).

Frauen mit Tätowierungen und falschen Wimpern kauen Kaugummi, ohne sich auf eine Rolle festlegen zu wollen. Wer zu lange in einer Beziehung lebt, geht sich „vor lauter / zuneigung auf die nerven“. Rastlosigkeit ersetzt Liebe. Ostermaiers Figuren suchen Halt in einer unruhigen, unsicheren Welt. Sex ist nicht nur der Kick, sondern auch ein Versuch, echte Nähe zu finden („wir drehten uns zwischen den / laken als wäre nicht längst alles / verloren“). Der intradiegetische Versuch bleibt erfolglos, die Männer und Frauen finden nur kurzfristig Befriedigung und werden verlassen, ihnen versagt die Stimme. Der Autor begibt sich auf die metadiegetische Ebene und zitiert Filme und Musik – von Herbert Grönemeyer bis zum Science-Fiction-Film „Soylent Green“. Mit dem Gedicht „lost in translation“ verneigt sich Ostermaier vor Sofia Coppolas oscarprämiertem, gleichnamigen Film, in dem sich die unter Schlaflosigkeit leidenden Protagonisten in Tokio fremd und verloren fühlen. Weit oberhalb der Großstadt lehnt das lyrische Ich mit dem Kopf an der Fensterwand, haucht sie an und schreibt mit dem Finger unbekannte Worte auf die Scheibe. Draußen regnet es. Die Einsamen quälen sich und finden keinen Weg aus der Traurigkeit.

Wie „ein / fahrstuhl in die tiefe“ stürzt, so drohen sie, abseits kinematographischer Bezüge keinen Halt in der Realität zu finden. Das Fallen ist ein immer wiederkehrendes Motiv in Ostermaiers Gedichten. Herzen klopfen nicht, sie schlagen „wie ein hammer“. Klaustrophobie, Ängste vor dem Versagen und vor dem Tod legen sich den Protagonisten um die Kehlen („je tiefer man sich in die grube / gräbt desto stiller wird es“) und lassen ihre Herzen rasen („das blut rauscht und / pulst“). Es ist die Generation der Burn-outs, der Nächte durcharbeitenden und schnell lebenden Büromenschen, deren Nerven blank liegen und die unter Ängsten leiden.

Zugleich sieht der Leser die Generation sinnsuchender Jugendlicher, die sich ohne Arbeit die Beine in die Bäuche stehen. Ostermaier bedient sich der Sprache derer, die er porträtiert. Der junge Liebhaber hält seinen „head high“, während er durch „ex-loves killing fields“ rast. In einem anderen Gedicht droht der „crash auf dem / freeway“. Schließlich werden ganze englische Sätze eingestreut. Der Autor kritisiert alles – die Sprache, die Gesellschaft, das Leben. Als Höhepunkt zitiert Ostermaier aus „Soylent Green“, jenem gesellschaftskritischen Film aus dem Jahr 1973, in dem Menschen nur als Objekte gesehen werden. Im New York der Zukunft leben 40 Millionen Menschen, von denen die Hälfte arbeitslos ist; ihr Fleisch wird als Material zur Produktion des „Soylent Green“ genutzt („ausgetrocknete kinderkörper / wie abfall von schaufelbaggern / übereinandergehäuft“). Umweltverschmutzung, Enge und Ekel statt Endzeitromantik – so warnte der Film vor einer düsteren Zukunft. Und so warnt auch der Autor vor einer fragwürdigen Nahrungskette in der modernen Welt. Deutlich hallen seine Appelle nach. Mehrmals ruft er dazu auf, nachzudenken über das eigene Handeln, über die alltägliche Ernährung („meine eltern zwangen mich / zu essen“) und den Umgang mit der uns umgebenden Schöpfung.

Am Ende fragt sich der Leser, ob und wo Trost zu finden ist. Wir, die wir „auf die welt gespuckt“ worden sind, werden kritisiert und beschimpft als fette Allesfresser, als Umweltzerstörer und als triebgesteuerte Sexsüchtige. Deswegen sind diese Gedichte nichts für empfindliche Seelen. Sie rütteln den Leser nicht nur, sie schlagen ihm ins Gesicht. Er soll aufhören, sich selbst zu belügen und hernach sein Leben verändern: „mir fehlt das leben aber / ich hols mir zurück und gebe / es nicht mehr aus der hand“. So erwächst aus der blutigen Grundierung neue Kraft. Mit dem Gedichtband „Außer mir“ will Ostermaier Urteile infrage stellen, Althergebrachtes zerstören und damit ermöglichen, den Blick auf eine neue Zukunft zu richten.

Titelbild

Albert Ostermaier: Außer mir. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
198 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423813

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