Shakespeare für Jedermann

Zur Einführung: Hans-Dieter Gelfert über Leben und Werk des Barden

Von Frank Erik PointnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Erik Pointner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was erwartet man von einem Buch, das gemäß Waschzettel eine Einführung in das „Leben und Werk“ William Shakespeares geben will? Man erwartet Ausführungen zu politischen und sozialen Kontexten, zu philosophischen und geistesgeschichtlichen Strömungen, zu Theater und Aufführungspraxis. Außerdem möchte der Leser etwas zu den Werken Shakespeares an sich erfahren, zu ihrer Einordnung, Dramaturgie und Interpretation. All dies liefert das Buch, inklusive der Biographie des englischen Dramatikers.

So gelungen der Aufbau des Buches ist, so befremdlich ist die Formulierung seines Ziels, das da lautet „Shakespeares dichterische Leistung wahrhaft zu verstehen“. Das klingt sehr nach der Hermeneutik vergangener Zeit, die davon ausging, dass es die richtige Interpretation eines literarischen Werkes gibt, wenn man nur die Frage beantwortet, was uns der Autor vermitteln will. Natürlich ist der Verfasser nicht so naiv, und formuliert eindeutig, dass „jeder Satz in [Shakespeare’s] Stücken die Aussage einer dramatischen Figur ist und nicht als Ansicht des Dichters genommen werden darf“. Vor diesem Hintergrund versteht man kaum, dass er sich ständig zu Aussagen hinreißen lässt wie „Shakespeare… [stand] eindeutig im konservativen Lager“, „Shakespeares Sympathie [liegt] deutlich bei den Vertretern der Ehre“ oder „Vor den großen Tragödien stand Shakespeare mehr auf der Seite der Wagemutigen“. Dann wieder rudert er zurück, wenn er beispielsweise über eine Verlautbarung Gloucesters bemerkt: „Wohlgemerkt, dies alles ist Rollensprache und nicht Shakespeares persönliches Bekenntnis“. Trotzdem kann man sich aufgrund des häufigen Rekurses auf die Person des Autors Shakespeare nicht des Eindruckes erwehren, dass der Verfasser mehr einer historischen Philologie verpflichtet ist als modernen literaturwissenschaftlichen Ansätzen. Er scheint sich dies bewusst zu sein und bemerkt durchaus richtig, dass alle neueren Ansätze zu Shakespeare „auf dem Fundament, das Forscher des old historicism gelegt haben, [fußen]“. Und selbstverständlich muss man dem Verfasser zugestehen, dass Shakespeare-Forscher wie E. M. W. Tillyard, auf den er seine Ausführungen zum elisabethanischen Weltbild aufbaut, nichts an Relevanz verloren haben.

Was die Biographie Shakespeares anbetrifft, lässt sich der Verfasser nicht zu wilden Spekulationen hinreißen wie sie gerade heute im Zuge einer ganzen Reihe von Konspirationstheorien en vogue sind. Stattdessen listet er chronologisch die wenigen Daten, die zu Shakespeares Leben gesichert sind, auf und überlässt es der Imagination des Lesers, die biographischen Lakunen zu füllen. Dieser Ansatz ist die perfekte Lösung, um alle weit hergeholten Theorien zu Shakespeares Leben als solche zu entlarven. Aber so lobenswert es ist, dass sich der Verfasser nicht an biographischen Spekulationen à la Hollywood beteiligt, so befremdlich wirkt es, dass er genau dies in Bezug auf die Sonette tut. Hier feuert er die ganze Batterie zur Identität von Mr. W.H. und der Dark Lady ab, wobei er sich fast ausschließlich auf veraltete Literatur stützt. Sogar A. L. Rowse lässt er zu Wort kommen, der in den 70er-Jahren behauptete, alle Probleme der Sonette gelöst zu haben, da er die dunkle Frau der Sonette ein für allemal identifiziert habe. Auch was das Entstehungsdatum des Zyklus betrifft, beteiligt sich der Verfasser an den üblichen Spekulationen, inklusive der, dass Sonett 107 auf das Klimakterium Elisabeths anspielen könnte. Ebenso ist die Diskussion um die mögliche Homosexualität in den Sonetten alles andere als up to date [kursiv], wenn der Verfasser die Ansicht verbreitet, dass „Homosexualität durch Sonett Nr. 20 widerlegt zu werden [scheint]“. Alles in allem wünschte man sich, dass er sich mehr mit den Sonetten als Literatur befasst hätte, denn als biographisches Zeugnis von Shakespeares (!) möglichen sexuellen Verfehlungen. Dass er dies hervorragend kann, beweist er am Schluss des Kapitels durch seine Lesung von Sonett 18, die bis dato nicht erkannte Wortspiele und Ambiguitäten zu Tage fördert. Dieses close reading ist state of the art und man hätte sich mehr davon gewünscht.

Besonders lesenswert ist das Kapitel zu den weltanschaulichen Kontexten der Shakespearezeit. Auch wenn man sich wünschte, der Verfasser hätte es nicht in Rekurs auf den Autor „Shakespeares Weltsicht“ genannt. So betrachtet er nicht wie so manch andere Einführung die Shakespearezeit als homogen, sondern unterscheidet wohl begründet zwischen der Regentschaft Elisabeths und der James’, den er konsequent Jakob I. nennt. Dieses Kapitel ist ein treasure trove für alle, die sich für die soziale und kulturelle Einbettung von Shakespeares Werk interessieren. Die Ausführungen zum Verhältnis von Vernunft und Leidenschaft oder auch zum Verhältnis der Geschlechter sind überaus lesbar und empfehlenswert.

Die Lesungen der eigentlichen Dramen folgen den gängigen Standardinterpretationen, wobei es dem Verfasser gelingt, das sie Einende in den Mittelpunkt zu stellen. So besteht für ihn das „Grundmodell aller Shakespeare-Stücke“ darin, „dass eine Störung der Ordnung krisenhaft zugespitzt und in die wiedergestellte Ordnung überführt wird“. Hier schließt sich der Kreis zu den Ausführungen zum Elisabethanischen Weltbild des Einleitungsteils. Dasselbe gilt auch für das laut Verfasser immer wiederkehrende Motiv des Widerstreits von Vernunft und Leidenschaft. Generell ist es eine große Stärke des Buches, dass alle Themen des Vorspanns in die Lesungen der Dramen aufgenommen werden. Hier wird nicht Kulturgeschichte um der Kulturgeschichte Willen betrieben, sondern immer mit Hinblick auf die einschlägigen literarischen Werke.

Bleibt noch die Frage nach der Zielgruppe des Buches. Hier muss man eindeutig konstatieren, dass es sich nicht für Studierende der Anglistik eignet. Zu sehr ist es traditionellen Ansätzen verhaftet, die, ob zu Recht oder Unrecht, in vielen Instituten weniger Berücksichtigung finden als moderne Theorien. Auch spricht die Tatsache, dass der Verfasser überwiegend mit Übersetzungen arbeitet, man beachte nur die „Milch der frommen Denkart“, eher für eine Leserschaft von Nicht-Anglisten. Hinzu kommt der etwas antiquierte Stil. Junge Menschen verstehen heute wohl kaum noch was es bedeutet, Shakespeare etwas zu „zeihen“, was ein „Liederjan“ ist oder wie man sich einen „sauertöpfischen Malvolio“ vorzustellen hat. Auch die Tatsache, dass der Verfasser, der wohlgemerkt auch von sich selbst in der dritten Person als „Verfasser“ redet, die Größe Shakespeares in seinem Schlusskapitel durch einen Vergleich mit Goethe zu etablieren sucht, spricht wohl mehr für eine bildungsbürgerliche Zielgruppe. Für dieses Klientel ist Hans-Dieter Gelferts Shakespeare überaus zu empfehlen.

Titelbild

Hans-Dieter Gelfert: Shakespeare.
2., durchgesehene Auflage.
Verlag C.H.Beck, München 2014.
128 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783406663772

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