Ab in den Schreibkurs
Nicht lustig: Fil verzapft so dies und das in seiner Jugend
Von Christian Milz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFil, seines Zeichens Kabarettist im Fach Singer, Songwriter und Comic-Autor, gewann 2013 als „Berliner New Wave Schnauze“ den silbernen Stuttgarter Besen. Kaum jemand aus dem Publikum bei dieser Veranstaltung dürfte verstanden haben, wieso es nicht der erste Preis wurde, aber vor einer Jury ist es das Gleiche wie vor Gericht und auf hoher See. Es blieb die Hoffnung, dass der derzeit vielleicht beste Virtuose der Kleinkunstbühne nun zielstrebig an seiner Karriere arbeitet, um auch außerhalb Berlins dort zu stehen, wo er innerhalb der Hauptstadt bereits seit einiger Zeit zu finden ist. Möglicherweise war und ist das tatsächlich sein Plan. Indes nicht durch stetiges Ausbauen der Bühnen- und Medienpräsenz, sondern durch ein riskantes Manöver: Fil begibt sich in das Fach des Romanautors, der sich an der Geschichte seiner Jugend versucht.
Lässt bereits der Strategiewechsel befürchten, dass hier einer, der noch nicht einmal ganz oben ist, bereits die Bodenhaftung verloren hat (sein aktueller Tourneeplan beinhaltet ausschließlich Lesungen), so droht in der exponierten Verbindung von Autobiografie und Roman die Falle, die auf jeden Dilettanten wartet: die Grube der Egozentrik. Hier in gesteigerter Form: der Superabsturz in die Distanzlosigkeit zum eigenen Ich. Derjenige, der auf der Bühne so hinreißend den Berliner Dilettanten gibt, läuft Gefahr, sich, wie er selbst eingesteht, „total zum Löffel zu machen“. Charmant, immerhin.
Aber worüber schreiben? Über eine Jugend unter Rockern, Bikern, Punkern und Ökos in der Hochhaussiedlung im Märkischen Viertel, über Hippielehrer in der Gesamtschule in den Siebzigern, über einen schmächtigen, lang aufgeschossenen Pubertierenden mit Problemen in Bezug auf den eigenen Körper und im Gravitationsfeld fremder, weiblicher Drahtbürsten mit feuchten Höschen, über das begabte, belesene und fantasievolle Objekt sozialpädagogischer Reparaturmaßnahmen – das allein ergibt noch keinen Stoff für einen Werther 2000. Und der soll es schon sein, darunter macht Fil es nicht.
Aber es zählt ja in einem Roman bekanntlich nicht nur, was geschieht, sondern vor allem auch, wie erzählt wird. Also ballert der Autor seiner Jugendgeschichte aus allen Rohren der Eloquenz. Indes landen die Kugeln der rhetorischen Virtuosität selten da, wo sie hin sollen und schlagen mitnichten ein in die „innere psychologische Gestik“ des Lesers (Iris Bäcker), sondern zerplatzen irgendwo als überstrapazierte inhaltsleere Bilder. Aus Kleingärten mit wilder Bebauung und zahlreichen Wohnlauben und Notunterkünften, „grünen Slums“, die der Berliner Senat durch Bebauung beseitigen will, macht Fil einen sumpfiges Gelände voller „tollwütiger Kampfkröten und milbendurchseuchter Molche, um das keiner weinen würde. Von drei Seiten von der Mauer umgeben und dem Osten freimütig die Botschaft ‚Sumpf ist Trumpf‘ hinüberschickend, eine Botschaft, der wenig Wahres anhaftete. So durfte das nicht bleiben.“
Solche Sätze sollen die Einfallslosigkeit ihrer Vorgänger kompensieren („das Märkische Viertel wurde von 1963 bis 1968 im Norden Westberlins erbaut“), die mitunter noch nicht einmal sachlich korrekt sind (bis 1974) und hinsichtlich ihrer sprachlichen Armut nur noch von Sätzen übertroffen werden wie diesem: „In der Mitte des Märkischen Viertels war das Zentrum.“ Aber nicht 70.000 Menschen zogen bald dorthin, wie Fil meint, sondern maximal 40.000. Freilich sind diese Ungenauigkeiten letztlich Nebensache, aber sie zeigen das Muster. Hier wurde schnell und mit heißer Nadel gestrickt. Was dabei herauskommt, sind großmäulige Übertreibungen und billige Verallgemeinerungen, die, wie der Autor an anderer Stelle sehr hübsch konstatiert, „so dies und das verzapfen“.
Kostproben gefällig? „Irgendwann spuckten die Westler deshalb in die Hände und begannen frohgemut, eine große Zahl Hochhäuser zu bauen – mitten hinein in den schlechten Schlamm. Hohe Hochhäuser. Wie in New York. Nicht ganz so hoch. Ziemlich viele andere Unterschiede auch.“ … „Es war immer sonnig im Märkischen Viertel, denn nirgends gab es hohe Bäume.“ – „Es war aufregend – die Kinder warfen ihre Katzen vom Balkon, um zu kucken, ob sie auf den Füßen landen würden. Die kleinen Geschwister der Kinder warfen ihre Meerschweinchen hinterher, um zu schauen, ob die Meerschweinchen Katzen waren.“ … „Es war eine klar strukturierte Welt, möglicherweise inspiriert durch die Klarheit der uns umgebenden Architektur.“ … „Mein Plan war, mich bis in den Bayerischen Wald durchzuschlagen – vielleicht gab es dort Ecken, die noch nicht durch von saurem Regen zerstört waren. Da wollte ich versuchen, Arbeit als Holzfäller zu finden … Die Schwäche dieses Plans war mir schmerzlich bewusst: Er war nicht Punk. Tatsächlich war er ja fast schon Öko …“.
Deprimierender als der dilettantische Text und dessen infantile Banalitäten („Ich weiß: Lego und Playmobil??? Aber so war ich schon als Kind: ein kleines bisschen anders eben.“) ist die offenkundige Tatsache, dass der Autor selbiges für „heiter“ hält und sein Buch mit J. D. Salingers Fänger im Roggen vergleicht. Der 15-jährige Fil liest Salingers Erzählung über den fast gleichaltrigen Holden sowie Die neuen Leiden des jungen W. im Deutschunterricht, findet beides gut, während seine Klassenkameradin Silke ihn daraufhin für einen perversen Idioten hält. Woraufhin Fil grinst, während sein Lehrer Feistel „neiderfüllt“ aus dem Fenster starrt. Neidisch auf Fil und offenbar, wie Fil meint, gleich ihm mit den Helden der beiden Bücher identifiziert.
Nun gehört der 1966 geborene Verfasser der Geschichte seiner Jugend auch nicht mehr zu den Jüngsten, insofern dürfte man erwarten, dass er aus der heutigen Perspektive etwas mehr von Salingers Roman versteht als in seiner Schülerzeit. Mitnichten. Während der Autor des Fängers im Roggen jenseits der volatilen Gefühle des Jugendlichen und dessen unterkomplexer Jugendsprache innere Wahrnehmungen und Umgebung seines Helden äußerst differenziert und präzise beschreibt und mit sorgfältig eingesetzten Symbolen diese immense Tiefe erzeugt, schwelgt Fil, der Autor, in Allgemeinplätzen und stupiden Dualismen: „Hippies sollten keine Lehrer werden, es ist einfach kein Job für sie. Sie arbeiten ja auch nicht auf Schlachthöfen oder im Krieg. Warum dachten damals bloß so viele Langhaarige, sie wären für diesen Job geeignet? … Feistels Leben musste die Hölle sein. Er war wie ein Bauer, der gern ein Schwein wäre. Aber Pechsache, Freund Tafelschwamm. Es hieß leider nicht ‚Der Lehrer im Roggen‘ … Mist, trotzdem tat er mir leid. Erwachsene Männer taten mir dauernd leid, es gab keine tragischeren Wesen. Alles wovon sie mal geträumt hatten, waren sie nicht geworden, sondern das genaue Gegenteil. Das sollte mir nicht passieren.“
Wenn der Autor sich da mal nicht täuscht. Manches aber, das muss man Fil lassen, hat er schön gesagt: „Die Supermann-Geschichte faszinierte mich. Vor den anderen spielt er den kompletten Deppen, aber heimlich hat er unglaubliche Fähigkeiten. War das nicht exakt mein Leben? Nur ohne die Fähigkeiten?“
Die schriftstellerischen inklusive. Bis dato.