Die Dinge des Lebens

Mercè Rodoreda lässt in ihrem Roman „Der Garten über dem Meer“ eine Atmosphäre des Lebens entstehen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Verlag gönnt diesem Band eine feine Ausstattung – mit Lesebändchen und im Schuber: „Der Garten über dem Meer“ von Mercè Rodoreda. Kirsten Brandt hat ihn aus dem Katalanischen übertragen und als Herausgeber der ‚Neuentdeckung‛ hat Roger Willemsen ein Nachwort hinzugefügt. Tatsächlich ist dieser 1967 erschienene Roman der katalanischen Schriftstellerin nun erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Das mag erstaunen, denn von der 1908 in Barcelona geborenen Mercè Rodoreda liegen einige Bände in deutscher Sprache vor. Ihr Hauptwerk, der 1962 erschienene Roman „Auf der Plaça del Diamant“ gilt zurecht als ein literarisches Meisterwerk. (literaturkritik.de, 3/2008). Die Schriftstellerin, die nach Beginn der Franco-Diktatur Spanien verlassen hatte, verfasste ihr Hauptwerk, dem sie heute ihren Ruf als bedeutende katalanische Autorin verdankt, im schweizerischen Exil. Erst in den 1970er-Jahren kehrte sie nach Spanien zurück. Sie starb 1983 in Girona.

„Der Garten über dem Meer“ blieb in Deutschland unentdeckt. Es ist gut, dass dies nun vorbei und der Roman verfügbar ist. Denn er vervollständigt das Werk Rodoredas und bestätigt zugleich ihre Qualitäten als Schriftstellerin. Die liegen in besonderer Weise in der Art, wie sie die Sprache einsetzt. Schon ihr Hauptwerk „Auf der Plaça del Diamant“ erzielte seinen besonderen Reiz dadurch, dass Rodoreda die Geschichte einer stillen Emanzipation am Beispiel der Ich-Erzählerin Colometa, einer Frau aus einfachen Verhältnissen, mit einer sehr unmittelbar und wahrhaftig an die Lebensrealität der Protagonistin heranführenden Sprache erzählte. Rodoredas Kunst bestand darin, ihre Heldin in der ‚einfachen‛ Sprache als Individuum kenntlich zu machen und zugleich die durch den spanischen Bürgerkrieg geprägten historisch-gesellschaftlichen Umstände als Bedingungsfaktoren für den Emanzipationsprozess Colometas gewissermaßen mit zu liefern. Ein im besten Sinne des Wortes bildender Roman.

In „Der Garten über dem Meer“ entsteht nun eine andere Welt, aber auch sie wird uns erschlossen über die Eigenarten der Sprache. Wiederum ist es die unmittelbare Rede eines Ich-Erzählers, der aus seinem Leben berichtet und uns zugleich Einblick in eine über ihn hinausweisende Welt verschafft. Wir befinden uns in den 1920er-Jahren, der Erzähler ist Gärtner und pflegt den Garten eines prächtigen Anwesens am Meer, nah bei Barcelona gelegen. Das Haus samt Garten gehört einem jungen, sehr wohlhabendem Paar. Jeweils im Sommer kommen die jungen Leute und hier am Meer verbringen sie mit Freunden die Sommermonate. Am Endes des Buchs werden es sechs Sommer gewesen sein. Die jungen Leute genießen das Meer, die Sonne, schwimmen, man feiert Feste, macht Ausflüge in die nähere Umgebung, reitet aus – das schöne Leben der Anderen.

Wenn der Sommer vorüber ist, verschwinden sie alle wieder und es wird still. Inzwischen entsteht auf einem Nachbargrundstück ein prächtiges neues Haus. Es stellt sich heraus, dass der Besitzer dieses Hauses nicht zufällig an diesen Ort gekommen ist. Die Nachbarn verbindet eine tragische Liebesverwicklung. Er nimmt an ihnen ja auch nicht teil, bleibt bestenfalls Beobachter, wenn er von seinem eigenen Haus aus, in dem er seit dem Tod seiner Frau alleine lebt, das Treiben der jungen Leute mitbekommt. Zudem ist er diskret. Die über die Ereignisse hinausweisenden Einblicke in das Leben der Anderen erhält er durch seine besondere Vertrauenswürdigkeit. Sie teilt sich seiner Umgebung in Form einer weisen Lebenserfahrung mit. So vertraut man sich ihm an – mit den Klatschgeschichten des Personals über die Herrschaften aber auch in Gesprächen mit den Herrschaften selber, die gerne zu ihm kommen, um mit ihm zu reden. Und unmerklich sind wir hineingezogen in die immerwährenden Themen des Menschseins hinter den Ereignissen – Liebe, Sehnsucht, Angst, Altern, Sterben.

Die erzählende Zeit endet nach sechs Jahren. Das Haus am Meer soll verkauft werden. Es werden neue Besitzer kommen und womöglich werden auch sie die Dienste des Gärtners wieder in Anspruch nehmen.

Mit unserem Wissen über die weitere Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert liegt es nahe, den Roman vor dem Hintergrund des bevorstehenden Bürgerkrieges als eine Art Chronik des Untergangs zu lesen; als beschreibe er ein letztes Aufblühen einer fernen Epoche vor ihrem Untergang. Aber Zeitgeschichte oder Politik im unmittelbaren Sinne stehen nicht im Mittelpunkt des Romans. Auch die soziale Frage, die angesichts der Konstellation dort die Reichen und Schönen, hier das ihnen zu Diensten stehende Personal, aufgerufen sein könnte, ist kein unmittelbar den Roman motivierendes Thema. Denn die menschlichen Geschichten aus Liebe, Lebenserfahrung und Zeitvergehen betreffen diese ebenso wie jene. Sie sind universal, immerwährend und Menschen in allen Lebensbereichen betreffend. Dabei mögen die Herausforderungen des Lebens zuweilen durch Geld und Reichtum beeinflussbar erscheinen, aber Glück und Unglück sind nicht käuflich. Dies bedenkend, wird der Garten zu einer schönen Metapher. Die von ihm ausgehende Schönheit ist in einem üppigen Anwesen ebenso zu empfinden wie im kleinen Garten eines Hauses irgendwo in Barcelona. Ja, auch die Blume auf dem Fensterbrett vermittelt diese natürliche Schönheit.

Wie Rodoreda die Dinge des Lebens mittels der ruhig und bedächtig dahinfließenden Sprache des Erzählenden zu vermitteln versteht und dabei zugleich die Atmosphäre des leichten Sommerlebens ebenso wie die der schwerkühlen Herbst- und Winterstille mit dem Meer im Hintergrund nachempfindbar machen kann, das eben zeichnet diesen schönen Roman aus.

Titelbild

Merce Rodoreda: Der Garten über dem Meer. Roman.
Mit einem Nachwort von Roger Willemsen.
Übersetzt aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt.
Mare Verlag, Hamburg 2014.
240 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783866480339

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