Wesen aus Licht und Farbe

Das Buch zur Ausstellung „Engel – Himmlische Boten in alten Handschriften“ ist ein Fest der Buchkunst

Von Michael DuszatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Duszat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Engel bestanden aus Feuer oder aus einer Mischung aus Feuer und Wasser. Oder Engel waren feurige Wesen, deren Bewegungen wie Blitze waren. Oder Engel hatten feurige Flügel und trugen Feuerkronen. Oder Engel hatten Körper aus glühenden Kohlen. Oder Engel waren keine körperlichen, sondern geistige, von aller Materie abgesonderte Wesen. Oder Engel waren Wesen reiner Form außerhalb des dreidimensionalen Raumes, konnten aber körperlich konzentriert in Erscheinung treten. Oder Engel hatten vier Gesichter und vier Flügel. Oder Engel bestanden aus Licht. Oder Engel konnten nur in Visionen erscheinen, abhängig von der Einbildungskraft der Propheten.

Das Buch Engel verfolgt die Spuren dieser seltsamen himmlischen Wesen von den frühesten hebräischen Texten bis zur Reformation. Im Mittelpunkt stehen dabei bildliche Darstellungen. Alle etwa 180 Bilder stammen aus Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek und sind dort auch noch bis Februar 2015 in Form einer Ausstellung zu sehen.

Im Buch erscheinen die Engel in verschiedenen allegorischen Inszenierungen. Alle Bilder haben einen kurzen Begleittext, der die Quelle nennt und beschreibt, was zu sehen ist. Manche der in Goldrahmen und leuchtenden Farben erscheinenden Bilder reichen über eine ganze Seite, aber auch bei allen anderen kommen die vielen Einzelheiten und Ornamente schön zur Geltung. Außerdem gibt es viele Detailabbildungen, die Besonderheiten noch einmal hervorheben.

Um die Bilder herum schreibt das Buch in drei Kapiteln (Judentum, Christentum, Islam) eine komprimierte Geschichte der Engel zwischen Theologie und Kunstgeschichte. Dabei geht es einerseits um die Frage, welche unterschiedlichen Bedeutungen und Funktionen Engel in religiösen Texten hatten, und andererseits darum, wie sie zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen bildlich dargestellt wurden. Dabei wird erfreulicherweise nicht so getan, als könnte oder müsste man alles zum Thema sagen. Im Gegenteil ist der Text eher ein Anfang als ein Ende der Neugier. Ein umfangreiches, thematisch geordnetes Literaturverzeichnis weist den weiteren Weg.

Der Band Engel ist ein Fest der Buchkunst und ein Beleg dafür, dass religiöse Texte eine ideale Vorlage für die Einbildungskraft sein können. Erst die bildliche Darstellung, so scheint es, erschafft die Engel, die wir heute kennen. So kommen zum Beispiel Engel in ihrer bekanntesten Form, nämlich als menschliche Gestalten mit zwei Flügeln, in den biblischen Texten nicht vor. Gerade die Flügel aber werden durch die Zeit hindurch zum prägenden Merkmal. Was nicht bedeutet, dass auch dieses Merkmal unveränderlich ist: Zwischenzeitlich wurden Engel mit bunten Papageien- oder Pfauenfedern dargestellt, was heute eher ungewöhnlich sein dürfte.

Das gelehrte und prachtvolle Buch zeigt, wie Engel Religion und Kunst bereicherten. Dabei erfahren wir vor allem etwas von der Vielfalt der Vorstellungen, die sich Menschen von den eigenartigen himmlischen Wesen machten, die ihnen näher waren als ihr Gott, aber nicht nah genug, um sie wirklich zu begreifen.

Titelbild

Maria Theisen (Hg.): Engel. Himmlische Boten in alten Handschriften.
Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2014.
208 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783650400949

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