Technologiesprung

Die Fotografie hat vom Großen Krieg profitiert. Ein Band und eine Ausstellung zu einem Medium in den Materialschlachten des frühen 20. Jahrhunderts

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Zusammenhang zwischen technischer und industrieller Entwicklung einerseits und dem Großen Krieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts andererseits ist offensichtlich: Mit dem Ende des Bewegungskriegs im Herbst 1914 änderten sich nicht nur die Strategien der Beteiligten, der Krieg insgesamt veränderte seinen Charakter. Das zeigt sich nicht allein in jenem nur wenige hundert Meter bis Kilometer tiefen Abschnitt, der in der Kriegsliteratur um 1930 als Front besonders hervorgehoben wird. Die „totale Mobilmachung“, die Ernst Jünger in einem Aufsatz 1930 betonte, hat nicht nur einen ideologischen, sondern auch einen ökonomischen, strukturellen, organisatorischen und technischen Charakter – was ein Walther Rathenau bereits zu Kriegsbeginn im August 1914 wusste und daraus die – aus deutscher Sicht – notwendigen Konsequenzen zog. Sie trifft nicht nur die Organisation und Beschaffung von kriegswichtigen Materialien, sondern treibt auch die technologische Entwicklung voran.

Für die Waffentechnik ist das geläufig. MG, Panzer, Gaskrieg und Stahlhelm sind dafür die bekannteren Beispiele. Aber auch die Fotografie – ein zu diesem Zeitpunkt bereits altes Medium – machte diesen technologischen Sprung mit. Sie zeigt im selben Zug nicht nur ihre Bedeutung für die Kriegsführung, erwies sich nicht nur als sachlich-dokumentarisches Medium, sondern auch ihren flexible Einsetzbarkeit und ihre Offenheit für Interpretationen und für die Modulation von Wahrnehmung.

Dabei übernimmt die Fotografie zahlreiche Funktionen, die sämtlich eng mit dem Kriegsgeschehen verbunden sind, wie der Katalog zu einer Berliner Ausstellung zur „Fotografie im Ersten Weltkrieg“ zum Abschluss des Kriegsgedenkjahres zu zeigen vermag.

Dabei kommt der Fotografie ihr angeblich dokumentarischer Charakter entgegen. Für die Aufklärung und Kriegsführung wird die Fotografie eines der zentralen Ermittlungs- und Darstellungsformen. So unübersichtlich Grabenkrieg und die Artilleriegefechte auch sein mögen, basieren sie doch auf einem sich mehr und mehr ausdifferenzierenden Aufklärungssystem, für das die Fotografie die notwendigen Informationen bereitstellt. In einer sich rasch und ständig ändernden Lage, in der die Artilleriegefechte die Front gründlich aufwühlen und sich die Truppenstandorte ständig ändern, ist eine schnell aktualisierbare Dokumentation des Status quo handlungsnotwendig.

Fesselballons oder Flugzeuge, die schließlich mit fest montierten Kameras oder Maschinengewehrkameras ausgestattet wurden, lieferten Material, mit dem Artillerie und Infanterie effektiver eingesetzt werden konnten, da aus den Fotografien schließlich verzerrungsfreie Pläne zusammengestellt werden konnten – welch ein Sprung von den händisch zu bedienenden Plattenkameras. Allerdings waren die Aufnahmen höchst auslegungsbedürftig, mussten interpretiert und indiziert werden, was eben nicht nur mit dem Wechsel von der dreidimensionalen Wahrnehmung zur zweidimensionalen Darstellung zusammenhängt, sondern auch mit dem Ersatz des teilnehmenden Beobachters durch den Betrachter der Fotografie.

Zugleich wird die Fotografie an der Heimatfront intensiv als Propagandamedium eingesetzt: Sie dient der Darstellung der eigenen Überlegenheit und der Denunzierung der Gegner. Dabei ist die Anlage der Fotografien sehr offen. Was um 1916 die Modernität und Leistungsfähigkeit des deutschen Militärs demonstrieren soll, wird 1936 zum Symbol für die Standhaftigkeit des deutschen Frontsoldaten angesichts der alliierten Überlegenheit umgedeutet. Dasselbe Bild, bei unterschiedlichen Zuweisungen.

Spätestens dieses Exempel macht deutlich, dass es mit der Objektivität der Fotografie nicht weit her ist. Selbst das Material das Ernst Friedrichs Band „Krieg dem Kriege“ (1925), der noch in den 1970ern dem großen Berliner Katalog zur Weimarer Republik beigegeben worden ist und für den unbedingten Kampf gegen den Militarismus stand, stammt teilweise aus einem ganz anderen Kontext, nämlich aus einer medizinischen Fachschrift, in der die Aufgaben und Möglichkeiten der Kriegschirurgie behandelt wurden.

Zwar hatte die Propaganda im Ersten Weltkrieg lange nicht die Bedeutung, die sie im nachfolgenden Krieg bekommen sollte. Die angebliche Nachrangigkeit der deutschen Propaganda und die Erfolge, die sie mit der eigenen Parteipropaganda hatten, bewogen die Nazis dazu, ihre Bemühungen nach innen wie nach außen ab 1939 deutlich zu verstärken.

Und in der Tat hat die deutsche Militärführung die Bedeutung des Mediums erst relativ spät erkannt und zu systematisieren versucht. Erst 1916 werden strengere Zensurregeln für die Fotografie erlassen – bis dahin wurde der Bedarf nach Kriegsfotografien ohne größere Einschränkungen befriedigt. Und selbst ab 1916 wurden vor allem Fotografien technischer Ausrüstungen unter Verschluss gehalten, insbesondere wenn es schwere Waffen und die Flugtechnik betraf.

Da zugleich die offizielle Fotografie kaum zum Frontgeschehen selbst vorstieß – die meisten Frontfotografen agierten außerhalb der eigentlichen Angriffe – ist die Front ikonografisch stärker vom Spielfilm der Jahre um 1930 und von der Literatur besetzt als von der Fotografie. Was von der Front selbst bekannt wurde, stammt von Frontsoldaten selbst, die sich mit handlichen Klappkameras ausstatteten (das war die Zeit vor der Leica, die schließlich zur bevorzugten Kamera der Kriegsreporter Mitte des Jahrhunderts werden würde) und neben Erinnerungsfotos auch Fotos aus den Schlachten selbst lieferten. Noch Franz Schauwecker betonte in seinem Band mit Kriegsfotografien („So war der Krieg“, 1929), dass er auf einen großen Fundus von Amateurfotografien zurückgegriffen habe, was die Authentizität des Materials betont.

Das, was also an offizieller Schlachtfotografie veröffentlicht wurde, war also entweder gefälscht, das heißt nachgestellt, oder nicht professionell erstellt – was erneut die Frage nach dem sachlichen Status der Fotografie aufwirft. Die Präsentation der größten Fotografie des Krieges in der Londoner Ausstellung  kanadischer Fotografen im Jahre 1916 zeigte auf breiter Front vorgehende Soldaten – museal im Rahmen, was die Ästhetisierung des Sujets sehr förderte, und zusammengestellt aus mehreren Aufnahmen, was kaum für die Authentizität der Aufnahme spricht. Ihren Nimbus als objektives Medium hat sie trotzdem nicht verloren, wie die Metaphorik vom Kamera-Auge, das die Literatur der späten 1920er-Jahre durchzieht, belegt.

Die Willfährigkeit des Mediums wird spätestens bei jenen Exponaten offensichtlich, in denen Fotografien den Krieg in die Kulissen der Ateliers verlegen. Die private Memorial-Funktion der Fotografie verstärkte und änderte sich während des Krieges: Einrückende Soldaten ließen Porträtaufnahmen machen – zum Teil derart antiquiert und konventionalisiert, dass ihre Distanz zum Kriegsgeschehen kaum größer hätte sein können. Ernst Friedrich hat in einer, im Band abgedruckten Montage eine solche Aufnahme mit dem belanglosen Ende von Frontsoldaten konfrontiert: der „Stolz der Familie“ einmal als schmucker Kerl im grauen Rock, das Gewehr im stehenden Anschlag, und das anderer Mal als Kadaver, der von feindlichen Soldaten präsentiert wird. Der Tod im Krieg wird in idealisierten Studioaufnahmen ebenso verkitscht wie er in den privaten Gelegenheitsaufnahmen banalisiert wird. Aber damit gliedert sich die Fotografie in den größeren Strom der literarischen und cineastischen Bearbeitungen um 1930 ein, in denen die Sinnlosigkeit des Großen Sterbens das Sujet bestimmte. Der Heldentod im Großen Krieg war im höchsten Maß zufällig und keinesfalls heldenhaft. Die Opfer eines Granateinschlags sind keine Helden, sondern tot.

Titelbild

Ludger Derenthal / Stefanie Klamm (Hg.): Fotografie im Ersten Weltkrieg.
E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2014.
128 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783865023407

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