Oden an Olli

Albert Ostermaier stellt Fußball-Stars aufs Lyrik-Podest

Von Wolfgang ReitzammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Reitzammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Allzu groß dürfte die Schnittmenge zwischen der Gruppe der Lyrik-Liebhaber und der Gruppe der Fußballfans nicht sein – allenfalls einige sportbegeisterte Deutschlehrer, kickende Germanistik-Studenten und natürlich die komplette deutsche Autorennationalmannschaft samt ihrem literarisch interessierten Trainer Hans Meyer. Der Torwart dieses Teams ist Albert Ostermaier, sein neuester Lyrik-Band „Flügelwechsel“ präsentiert sich als definitives Kompendium der aktuellen Fußball-Poesie.

Schon 1979 hat Eckhard Henscheid mit einer „Hymne auf Bum Kun Cha“ den Doppelpass zwischen Profifußball und ambitionierter Lyrik gespielt, Peter Handkes „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968“ war dagegen nur eine beliebig gewählte Provokation für alle Lyrik-Traditionalisten. Ror Wolf versuchte mit seinen Prosa-Werken „Die heiße Luft der Spiele“ (1980) und „Das nächste Spiel ist immer das schwerste“ (1990) die Klischeehaftigkeit der Fußballsprache – „sag ich mal“ – zu desavouieren. Allen diesen literarischen Annährungen an den Fußballsport wohnte eine gehörige Portion Ironie inne – ganz anders bei Ostermaier. Seine Oden entsprechen wirklich der Sachwörterbuch-Definition, haben etwa Weihevolles, Feierlich-Erhabenes und eine „tiefe Ergriffenheit vom Erlebnis“ (Gero v. Wilpert). Das Gegenüber sind Fußballstars, allen voran Torwart-Titan Oliver Kahn, dem allein sechs Oden gewidmet sind („wer auf seiner seite steht / hat die eins im rücken“). Weitere Partner der ehrfurchtsvollen Ansprache sind beispielsweise Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Thomas Müller, Manuel Neuer, Frank Ribery, Michael Ballack, Mehmet Scholl (man merkt, dass Ostermaier in München lebt!) sowie Ronaldo, Socrates, Jorge Valdano, Jimmy Hartwig und Nadine Angerer. Ostermaiers Fokus richtet sich also auf die schillernden Figuren der Zunft, deren Übersteiger „metaphysik zwischen den seitenauslinien“ sind, deren Auftreten Drama und Show verspricht.

Ostermaiers neoexpressionistische Sprache ist geprägt von konsequenter Kleinschreibung, Strophenlosigkeit, meist Reimlosigkeit und vielen intertextuellen Bezügen. In die Oden baut er Originalzitate der Protagonisten, aber auch Verweise auf Bertolt Brecht („Kinderhymne“), Gottfried Benn, William Shakespeare, Johann Wolfgang von Goethe („Prometheus“, „Ganymed“, „Sensenheimer Lieder“) und die Odyssee ein – der Literaturkenner könnte das Büchlein als interessantes Suchrätsel benutzen. Oliver Kahn hat dem Projekt sogar ein freundliches Vorwort verpasst und sich an den Fachbegriffen Denotation und Konnotation („Flügelwechsel“) versucht. Zum Anschauen und Verweilen laden die Bilder von Florian Süssmayr ein – verwischte fotoähnliche Porträts von diversen großen und kleinen Fußballplätzen.

Letztlich bleibt aber die Frage, wer mit diesen Texten etwas anfangen kann: Der eingefleischte Fußball-Anhänger wird sie schwerlich dechiffrieren können, der traditionelle Lyrik-Freund wird sich möglicherweise vom Sujet abgestoßen fühlen. Vielleicht ordern ja DFB und DFL größere Kontingente für Gast- und Weihnachtsgeschenke?

Titelbild

Albert Ostermaier: Flügelwechsel. Fußball-Oden.
Mit Bildern von Florian Süssmayr und einem Vorwort von Oliver Kahn.
Insel Verlag, Berlin 2014.
112 Seiten, 13,95 EUR.
ISBN-13: 9783458193951

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