Gut gerüstet für neue Einsichten

Die neue Edition des „Loher und Maller“ macht einen epischen Kerntext des 15. Jahrhunderts wieder zugänglich

Von Stefan SeeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Seeber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ute von Bloh gehört zu den besten Kennern der Prosaepen „Herzog Herpin“, „Loher und Maller“, „Huge Scheppel“ und der „Königin Sibille“, die im Umkreis der Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken im beginnenden 15. Jahrhundert entstanden sind. Gefördert durch die DFG hat sie es nun gemeinsam mit Bernd Bastert unternommen, die beiden am schlechtesten verfügbaren Texte der Gruppe, den „Herpin“ und „Loher und Maller“, in neuen kritischen Editionen in der Reihe „Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit“ vorzulegen. Den „Herpin“ hat Bastert als Band 51 ediert, den „Loher und Maller“, um den es hier gehen soll, von Bloh als Band 50. Damit sind nur die dringendsten Arbeiten getan: Dass die Edition der  „Sibille“ (von Hermann Tiemann 1977) ersetzt und die Edition des Drucks des „Scheppel“ (von Jan-Dirk Müller 1990) um eine kritische Ausgabe der handschriftlichen Fassung ergänzt werden müsste, machen die Herausgeber in beiden Einleitungen deutlich.

Die Epen selbst verdienen die erhöhte Aufmerksamkeit der Forschung, die sie in den letzten Jahren verstärkt erlangt haben, voll und ganz, denn sie führen paradigmatisch Strategien der Herrschaftserlangung, ihrer Sicherung und auch der komplexen Interaktionen im Bereich von Freundschaft, Verwandtschaft und Politik vor Augen, die besonders der kulturwissenschaftlich orientierten Mediävistik entscheidende Impulse zu geben vermögen. „Loher und Maller“ etwa bietet die Geschichte Lohers, der als Sohn Karls des Großen in Konkurrenz mit seinem Bruder Ludwig lebt und in die Verbannung nach Konstantinopel geschickt wird – begleitet u. a. von seinem Freund Maller. Die sieben Jahre im Exil sind angefüllt mit Abenteuern, nach der Rückkehr lodert der Konflikt zwischen den Brüdern wieder auf, die politischen Dimensionen der Konfliktlösung werden ausgestellt, ebenso wie die Brüchigkeit der Abmachungen. Aber nicht nur die Verwandtschaft, auch die Freundschaft wird zum konfliktbelasteten Thema, wenn Maller von Loher (unerkannt) getötet wird. Silke Winst hat kürzlich die Serialität in der Darstellung des „Loher“ als entscheidendes Merkmal für die Erzählkunst des Epos herausgestellt und so neue Wege gezeigt, die enorme Komplexität des Textes und seiner Sinnstruktur aufzuschließen und für einen allgemeineren Blick auf das epische Erzählen des 15. Jahrhunderts nutzbar zu machen (Narration im späten Mittelalter. Serialität und Komplexität im „Loher und Maller“, in: PBB 134 (2012)), und auch dieser Untersuchungsansatz wird zukünftig, neben der kulturwissenschaftlich aufgestellten Analyse, weiter zu verfolgen sein.

Die Grundlage hierfür bietet die Edition, die von Bloh auf der Basis der Hamburger Handschrift Cod. in scrinio 11, die um 1456 niedergeschrieben wurde und der Ausgabe als „Leithandschrift“ dient, vorgelegt hat. Bereits in ihrer Habilitation (Ausgerenkte Ordnung, Tübingen 2002 (MTU 119)) hat von Bloh ausführlich die Handschriften- und Drucklage des „Loher“ aufgearbeitet. Ihre Ausgabe zieht die Konsequenz aus ihren früheren Analysen, wenn die Langfassung des Textes auf der Grundlage einer Handschrift ediert wird, die dem Sohn Elisabeths von Nassau-Saarbrücken zugeordnet werden kann und die alle vier Epen zusammen überliefert. Da für die Textgruppe besonders deutlich die Koexistenz und Konkurrenz unterschiedlicher Fassungen als Normalfall hervorgehoben, bietet die Edition die Varianten der anderen Handschriften ebenso wie des Erstdrucks aus der Straßburger Offizin Grüningers von 1514 – da die übrigen Drucke sich von der handschriftlichen Überlieferung lösen und ein „Eigenleben“ entwickeln, bleiben sie außen vor. Die Edition geht behutsam mit dem überlieferten Text um, will sie doch auch dokumentieren, wie er gelesen wurde, weshalb auch die mise en page der Handschrift und die Korrekturen der Schreiber berücksichtigt werden. Zwei Apparate bieten Varianten und Übersetzungshilfen, letztere machen den Text auch für weniger geübte Leserinnen und Leser nicht-normalisierter Texte leichter verständlich. Ein kleines Glossar und ein Register der Orte und Namen schließen den Band ab.

Ein empfindlicher Mangel der Ausgabe – der einzige – ist es, dass auf den Abdruck der Illustrationen verzichtet wurde, die doch gerade im Rahmen einer solchen Edition verfügbar gemacht werden könnten. Das „Elisabeth-Prosa-Portal“, auf das in diesem Zusammenhang (verwirrenderweise ohne Angabe einer URL, diese lautet http://www.uni-potsdam.de/elisabeth-prosa-portal) verwiesen wird, bietet nun die Bilder (bisher, Stand Januar 2015) nicht, die man so schmerzlich vermisst: Aus von Blohs Farbmikrofiche-Edition von 1995 ist dort nur die allerdings bilderlose Einleitung als pdf zugänglich, und Digitalisate der Drucke ebenso wie der Leithandschrift finden sich nicht. Dieser Mangel wiegt umso schwerer, als der Leser von der Herausgeberin selbst darauf hingewiesen wird, dass Studien zu den Illustrationen nützlich wären, dass aber die Bilder nur „schwer zugänglich sind“, was die entsprechende Arbeit außerordentlich behindert. Auch das Verzeichnis der Bildüberschriften im Anhang ersetzt den Blick auf die Bilder nicht. Es ist zu hoffen, dass das Online-Portal in Zukunft Abhilfe schaffen wird.

Überhaupt wird in der Kombination einer klassischen Edition in Buchform mit der Online-Plattform ein Weg beschritten, der zukunftsweisend erscheint, erlaubt er es doch, aktualisierte Bibliographien, zusätzliches Material zur Edition und ähnliches aufzuführen, das in einer „normalen“ Edition entweder schnell veraltet (bes. die Literaturangaben, denn eine Edition dient ja als Katalysator für neue Studien) oder aber aus Platzgründen weggelassen wird. Bislang reizen die Projektgruppen in Bochum und Potsdam die Möglichkeiten der online-Präsentation noch nicht aus, doch sind gerade auch im Bereich der Didaktik weitere Ergänzungen denkbar, die die Texte adäquat für den akademischen Unterricht erschließen helfen.

Die Edition selbst ist gelungen, weil sie auf klarer editorischer Basis einen komplexen Text in leichter, gut lesbarer Gestalt erschließt und die Prinzipien des Edierens transparent macht. Die Ergebnisse zahlreicher Vorüberlegungen und Studien, die im Rahmen des Editionsprojekts angestellt wurden, fließen nachgerade en passant und ohne großen Aufwand in die Arbeit ein, die Ausgabe beschwert sich nicht durch eine umfangreiche Reflexion ihrer Prinzipien, sondern gibt sich betont (und wohltuend) pragmatisch in ihrer Aufstellung mit dem Ziel, bei aller Lesbarkeit den Blick auf die Handschriften als „unverfälschte historische Quellen“ zu gewährleisten. Von Blohs hervorragende Kenntnis der Materie ist die Voraussetzung für diese kluge und fundierte editorische Arbeit, die noch durch einen Kommentarband ergänzt werden soll, der einiges an kodikologischen Details nachreichen wird, die in der knappen Einleitung außen vor bleiben. Der Text, den die Edition vorlegt, kann mit Fug und Recht auch ohne Kommentarband bereits als Standard für zukünftige Arbeiten mit „Loher und Maller“ vorausgesetzt werden – auch wenn er zugleich dazu auffordert, den vergleichenden Blick auf die übrigen Drucke und die Kurzfassungen jenseits des Apparats zu wagen und eigene Überlegungen anzustellen. Aber dazu ist eine gute Edition da.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Ute von Bloh (Hg.): Loher und Maller. Kritische Edition eines spätmittelalterlichen Prosaepos.
Unter Mitarbeit von Silke Winst.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2013.
457 Seiten, 79,80 EUR.
ISBN-13: 9783503137800

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