Deutsche und Griechen im ‚Dritten Reich‘

Johann Chapoutot hat eine ideengeschichtliche Studie über die Antike im Nationalsozialismus publiziert

Von Claudia SchmöldersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Schmölders

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht oft sind  Arbeiten aus der Ideengeschichte so aktuell wie die vorliegende des französischen Historikers Johann Chapoutot. Ausgehend von seiner Dissertation aus dem Jahr 2008, erschien das vorliegende Buch zunächst bei PUF 2012, und nun, nach sechsjähriger Arbeit auf Deutsch, mit einem Vorwort von Uwe Puschner, einem Fachmann für die Geschichte der völkischen Bewegungen. Chapoutot ist inzwischen Professor an der Sorbonne Nouvelle (Université III) sowie Mitglied des Institut Universitaire de France und Autor weiterer Bücher zur faschistischen Epoche, zuletzt 2014 „La loi du sang. Penser et agir en nazi“.

Bei dem hier anzuzeigenden ersten handelt es sich um den minutiösen, aber dennoch spannend geschriebenen Nachweis des rassistischen Missbrauchs jener deutschen Altertumskunde, die mit Johann Joachim Winckelmann 1755 begann und eine beispiellose Karriere im europäischen, aber vor allem deutschen Denken erlebte. Zahllose, darunter viele auch bisher unbekannte Quellen hat Chapoutot für die Hitlerzeit in den Archiven studiert, törichte und gefährliche Statements aus den ideologischen Schulungskursen, Wehrmachtstexten, politischen Reden und Handlungen dokumentiert, nicht zu vergessen den Horizont des gnadenlosen Kunstraubs  griechischer oder römischer Provenienz.  Das Quellenverzeichnis umfasst mehr als 18 klein bedruckte Seiten und ist nach Sachen geordnet: praktisch ein Kulturverzeichnis der antiken Ressourcen. Die großen Abschnitte handeln von „Annexion der Antike“, „Nachahmung der Antike“  und zuletzt  „Nachhall der Antike“; die zahlreichen Unterkapitel zerlegen das ideengeschichtliche Panorama in Thumbnails, vom Ursprungsmythos bis zum Mittelmeerraum, von den NS-Curricula bis zu Staatslehre, von den Choreografien des Lebens und des Todes in griechischer und römischer Beleuchtung. Das sechsseitige Inhaltsverzeichnis kommt dabei nahezu ohne Personennamen und ohne Daten aus; und trotz der historiografischen Zielführung bleiben französische und britische Vorarbeiten durch Gobineau, Chamberlain eher ausgespart. Selbst der berüchtigte Historiker Fallmerayer aus dem 19. Jahrhundert fehlt, sodass die Tiraden von Hitler und Rosenberg, Günther und Schachermayer, Speer und  Darré  und so fort für den ersten Blick allein aus der Brutstätte des deutschen Ungeistes zu stammen scheinen, was ja, in ihrer dramatischen Simplifizierung und pragmatischen Umsetzung, auch stimmt.

Für eine nachwachsende Generation von Studierenden, die weder humanistische Gymnasien besucht noch Interesse am Hitlerreich haben, wohl aber an Medien und Kunstperformance, könnte in diesem überraschend prächtig gestalteten 500-Seiten-Buch ein schräger Einstieg in diese beschämende deutsche Wissensgeschichte liegen, schließlich liefert die antike Kulturwelt noch heute maßgebliche Anregungen und Vorbilder vor allem für den Körperkult der Gegenwart, über dessen komplex skandalöse Vorgeschichte man hier bestens unterrichtet wird.

Einige Rezensionen haben Chapoutots Arbeit herbe kritisiert und auf das ältere Standardwerk von Volker Losemann (1977) hingewiesen. Tatsächlich liefert dessen Dissertation „Nationalsozialismus und Antike“ eine gründliche Untersuchung zur NS-Entstellung des Faches „Alte Geschichte“ zwischen 1933 und 1945, also deutsche Institutionengeschichte, wie sie rund 20 Jahre später von Suzanne Marchand für das Fach Archäologie angestrebt wurde („Down from Olympus“, 1996), dort aber im weitaus breiteren Kontext des deutschen Philhellenismus steht. In dessen Ideengeschichte gehört auch das vorliegende Buch, samt seiner Kritik, und ihr verdankt es auch seine Aktualität. Denn gerade was hier vorgetragen wird, liegt ja der heute wieder so dringlich diskutierten deutschen Kriegsschuld in Griechenland zugrunde. Gerade weil sich die Deutschen, als Preußen oder Bayern, schon seit mehr als 300 Jahren inspiriert vom Humanismus und geleitet von einem ausufernden Philhellenismus in die hellenische Welt eingelebt haben wie keine andere europäische Nation, konnten sich Hitler und seine ideologischen Zuarbeiter auf sie wie auf einen mentalen Adelsbrief berufen und rassistisch herunterbrechen.

Die These, wonach Deutsche als blutsmäßige „Indogermanen“ das sogenannte „griechische Wunder“ ermöglicht haben wollen, hatte ihren Vorlauf in der viel älteren These, wonach deutsche und griechische Sprache, deutsches und griechisches Denken zwillingshaft verwandt seien. Hegel brachte es  in der Enzyklopädie auf den Punkt: wer sich der griechischen Geisteskultur zuwendet, findet hier „Heimat“; zwar nicht aus geografischen oder gar genealogischen Gründen, sondern weil das intellektuelle Beisichsein der Hellenen so vorbildlich sei und so ansteckend für den unbehausten – deutschen – Geist. Mit der Generation von Wilhelm von Humboldt wurde das griechisch-römische Text- und Kunsterbe dann zum dominanten Inhalt der gymnasialen Erziehung; deren Fortleben ins „Dritte Reich“ hinein inzwischen vielfach erforscht ist. Wohl die meisten Offiziere der Wehrmacht waren in humanistischen Gymnasien großgeworden, hatten die Emphase ihrer graekomanen Lehrer erduldet oder geliebt; und wer diese Schulbildung nicht besaß, holte sie nach. Gerade weil es hier seit 1900 mit Wagner, Nietzsche, Spitteler, George, Hauptmann und Heidegger einen neuen Schub an hellenistischer Emphase gab, konnten diese Offiziere 1941 in Griechenland einmarschieren im Bewusstsein, die besseren Griechen, wenn nicht überhaupt originale „Achaier“ zu verkörpern; Erhart Kästner, der einstige Sekretär des Dichters Gerhart Hauptmann, hat das als Offizier auf Kreta regelrecht bedichtet. Lebende Griechen konnten als „Untermenschen“ massenhaft getötet werden, wie Mark Mazower in seiner Studie „Inside Hitler’s Greece“ (1993) detailreich beschreibt, eben weil H. F. K Günthers Rassenkunde von 1929 inzwischen den Diskurs beherrschte. Chapoutot behandelt den Auftritt der Deutschen im Blitzkrieg von April 1941 nur auf ein paar Seiten, doch ist es dieser Krieg mit seinen Massakern in mindestens einem halben Dutzend Dörfern ebenso wie die folgende Nahrungsblockade, auf der die hartnäckigen Ansprüche der Griechen auf Reparationszahlungen heute, 2015, basieren.

Der Umschlag von der Ideen- zur schieren Bluts- und Körpergeschichte in Hitlers Propaganda wird von Chapoutot gleichwohl penibel rekonstruiert, besonders eindringlich beim Wechsel der Referenzrahmen zwischen griechischer und römischer Antike. Ist erstere mit ihrer strahlenden olympischen Emphase und vorbildlichen Sparta-Pädagogik für den Aufstieg  von Wehrmacht, SS und Hitlerjugend beispielhaft, so changiert die Werbung bei drohender Niederlage zur römischen Standfestigkeit des Volkes. Römisch ist der Untergang. Verdis erste Oper „Rienzi“ (1842), Geschichte eines römischen Volkstribuns, der vom Volk erst hochgetragen, dann schmählich vernichtet wird, war Hitlers Lieblingsoper. 

Beiläufig wie den Blitzkrieg erwähnt Chapoutot auch nur das frühe einschlägige Zentralwerk für seinen ideologiekritischen Ansatz, nämlich die Kampfschrift zur literarischen Genealogie der deutschen Graekomanen, „The Tyranny of Greece over Germany“ der britischen Germanistin Eliza Butler von 1935; und gar nicht erst erwähnt wird die gigantische linguistische Frontstellung gegen den „arischen“ Philhellenismus in „Black Athena“ (1987) von Martin Bernal. Mag sein, dass dies der rassistischen Perspektive des Buches geschuldet war, die ja keine linguistische mehr sein konnte, wie noch um 1850; aber warum wird dann andererseits Martin Heidegger so ausführlich erörtert, der zumindest aus freundlich französischer Perspektive doch nie ein Rassist war? Heidegger, heißt es vielmehr, ging mit dem NS „in schöner Aufrichtigkeit“ konform, wenn er auf die „mathematisch-technische Modernität“ abwehrend reagierte. Dass er diese in seinen Tagebüchern dem Judentum unterschob, wissen wir seit einem Jahr durch die Publikation der „Schwarzen Hefte“, die den vielgescholtenen Kritiker Emmanuele Faye endlich ins Recht setzen.  Dass Uwe Puschner darauf in seinem doch erst 2014 geschriebenen Vorwort nicht eingehen mochte, kann man verstehen; schließlich handelt es sich bei Chapoutot um deutsche Geschichte aus französischer Sicht. Wozu wohl noch mehr gehört. Jedem Bildungshistoriker hierzulande leuchtet ein, dass Chapoutot mit wuchtigen Belegen eine Säule der deutschen Identität zwischen 1755 und 1945 und weit darüber hinaus demontiert und demontieren musste. So konnte er gleichsam ein komplementäres Panorama zu jenem großen Werk aus französischer Hand liefern, das unter dem Titel „Deutsche Erinnerungsorte“, im Geist von Pierre Nora, zur letzten Jahrtausendwende erschien. Wer dieses Werk studiert, wird keinen deutschen Erinnerungsort für die geliebte griechische Seelenheimat mehr finden. Band eins beginnt vielmehr mit dem Lemma „Der Kampf um Rom“.

Titelbild

Johann Chapoutot: Der Nationalsozialismus und die Antike.
Übersetzt aus dem Französischen von Walther Fekl.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2014.
500 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783805347686

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch