Schöne neue (Drogen-)Welt

Selim Özdogans Roman „DZ“ entwirft brüchige Utopien

Von Silke SchwaigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silke Schwaiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wir kennen hier kein Wort für Schmerz. Das glauben zumindest viele Menschen draußen. Sie stellen sich vor, dass wir vierundzwanzig Stunden am Tag selig lächeln. So ist es nicht“, resümiert ein Ich-Erzähler zu Beginn von Selim Özdogans Roman „DZ“. Das psychedelisch anmutende Buchcover – grelle Farbtöne, die ineinander übergehen – als auch der Romanauftakt versprechen den Aufbruch in eine andere, verstörend-schöne Welt. In seinem 2009 erschienenen Roman „Zwischen zwei Träumen“ erkundete Özdogan die bewusstseinserweiternde Grenzwelt der Träume, in „DZ“ ist es jene der Drogen. 

Unter dem sperrigen Titel verbirgt sich ein außergewöhnlicher Roman um zwei Welten und zwei Brüder. Ziggy wohnt in Europa, Damian in der DZ – einem imaginären Gebiet in Südostasien, in dem sich mehrere Länder zusammengeschlossen haben und Drogen frei zugänglich sind. Als ihre Mutter im Sterben liegt und diese Damian ein letztes Mal sehen möchte, macht sich Ziggy auf die Suche nach seinem Bruder. Um Damian zu finden dringt er immer tiefer in die Drogenszene ein, die sich über Chatrooms austauscht und in virtuellen Communities organisiert. In der Zwischenzeit kommt in der DZ eine neue Droge, genannt wmk, in Umlauf. wmk ist eine bewusstseinserweiternde Substanz, die alle Sprachen der Welt entschlüsselt und neue Wörter entstehen lässt. Damian erkennt die Macht und gleichzeitig die Gefahr der Droge und beschließt, gemeinsam mit seiner Freundin Zoe, in den Untergrund abzutauchen.   

Özdogans Roman ist binarisch gegliedert, wenn auch diese Trennung im Laufe des Romangeschehens zunehmend relativiert wird: Europa und die DZ, Damian und Ziggy – zwei Brüder in zwei Lebenswelten. „DZ“ kann nicht nur als Chiffre für „Drogenzone“ gelesen werden, sondern steht unter anderen auch für Damian und Ziggy. Auf formaler Ebene sind die einzelnen Kapitelüberschriften abwechselnd aus der Perspektive der beiden, auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirkenden, Charaktere verfasst. Damian lebt in der DZ vom Drogenversandhandel und ist erfahren im Umgang mit diversen bewusstseinserweiternden Substanzen. Ziggy in Europa wirkt hingegen bürgerlich-angepasst; er hat Frau und Sohn, einen gut bezahlten, sicheren Job. Doch sowohl Damian als auch Ziggy interessieren sich für das Überschreiten der Wahrnehmungsgrenzen. Damian erprobt dies an sich selbst, Ziggy hingegen geht an die Sache analytischer heran. Er ist in der Wissenschaft tätig und forscht zu luziden Träumen. Er hofft, ein neurochemisches Korrelat zu finden, um Klarträume induzieren zu können. Wie die beiden Charaktere, so sind auch ihre Lebenswelten konträr. Özdogan lässt seinen Roman in einer (erschreckend nahen) Zukunft spielen. Es ist eine Dystopie, wenn auch bunter und psychedelischer als etwa Aldous Huxleys „Brave New World“. Özdogans sicherheitsüberwachtes Europa erinnert an George Orwells totalitären Überwachungsstaat. Das Internet ist das dominierende (Kommunikations-)Medium dieser Zukunft und jeder Schritt seiner BürgerInnen wird mit Sicherheitskameras festgehalten. Ständige staatliche Überwachung begleitet den Alltag. Ähnlich düster sieht es in der DZ aus. Viele, so auch Damian, zogen in die DZ in der Hoffnung auf eine bessere, freie Zukunft: „Wir dachten, das hier würde ein freies Land werden. Wir haben gedacht, es würde um Menschen gehen, nicht um ein System“. Doch die DZ wurde nicht „freier“, als es Europa ist. Neoliberalismus ist das Schlagwort der DZ: EA, RecDrugs, und Psyche-Daily, Konzerne der Pharmaindustrie, bestimmenden den Markt; freie Forschung gibt es nicht mehr.   

Liest man Interviews mit dem Autor und Rezensionen über den Roman, so gewinnt man schnell den Eindruck, als ginge es in „DZ“ primär um die bunte Welt der Drogen. „DZ“ ist jedoch mehr. Es ist einerseits, da Özdogan eine Zukunft entwirft, die beinahe Gegenwart zu sein scheint, ein sehr gesellschaftskritischer, moderner Roman. Andererseits werden größere Themen wie Fragen nach Identität und Zugehörigkeit verhandelt und Utopien entworfen. Nicht nur nach einem anderen gesellschaftlichen System, sondern auch nach einer anderen Sprache. Özdogan selbst kreiert im Roman neue Wörter. wmk etwa ist in der Erzählung eine fiktive Droge, die es erlaubt, wie in einer Zeit vor der „Babylonischen Sprachverwirrung“, alle Sprachen zu verstehen. Die Abkürzung deutet auf wortmacht klang hin (unter diesem Synonym bewegt sich Özdogan auch im Internet, zumindest was die Kanäle youtube, twitter und soundcloud betrifft). „Wenn Sprache Heimat ist, dann macht wmk die ganze Welt zu deinem Zuhause. Es entfernt einen nicht […] sondern gewährt Einsicht in zutiefst menschliche Dimensionen. Es enträtselt dabei nicht die Welt wie andere Entheogene, sondern enträtselt die Sprache“ – es ist eine Sehnsucht, eine Utopie, die hier zum Ausdruck gebracht wird und zumindest im Roman Erfüllung findet.

Titelbild

Selim Özdogan: DZ. Roman.
Haymon Verlag, Innsbruck 2013.
378 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783709970843

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