Eine Kult-Biene auf ihrem langen Flug durch Literatur, Film und Fernsehen

Eine Aufsatzsammlung über die ungebrochene multimediale Wirkung des Kinderbuchklassikers „Biene Maja“ von Waldemar Bonsels (1912)

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt sie nicht, die kleine Biene Maja, die pummelige freche Biene mit den blonden Haaren und großen Augen? Allseits bekannt und populär ist sie besonders durch die Zeichentrickserie des ZDF in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts. 2012 feierte ihre Buchvorlage von Waldemar Bonsels sein 100-jähriges Jubiläum, ein Umstand, ­­der zum Anlass genommen wurde, einen Einblick in die Geschichte dieses 100-jährigen Medienprodukts zu unternehmen und die vielfältigen literarischen, gesellschaftlichen, technischen und ökonomischen Faktoren ihrer Gestaltung zu beleuchten. Der vorliegende, von Harald Weiß herausgegebene Band bietet einen guten informativen Einstieg in die Welt des Medienphänomens der kleinen Biene.

Der Herausgeber selbst eröffnet den Band mit einem biografischen Beitrag über den heute in Vergessenheit geratenen literarischen Schöpfer der Biene Maja, Waldemar Bonsels (1880-1952). Bonsels war zu seinen Lebzeiten ein überaus gefragter und viel gelesener Autor, der allerdings nach seinem Tod rasch in Vergessenheit geriet und nurmehr am Rande als einstiger Schöpfer der Kultbiene auftaucht. Weiß begibt sich auf die Lebensspuren des einst so erfolgreichen Autors, berichtet interessante Details über sein familiäres Umfeld, seine Schul- und Ausbildungszeit und seinen literarischen Werdegang. Mit Ende des Ersten Weltkrieges tritt sein Roman den Siegeszug an, die Auflagezahlen der „Biene Maja“ beginnen geradezu zu explodieren. Bonsels märchenhafte Erzählungen entführten den Leser in eine romantische Traum- und Wunschwelt, ermöglichten eine Flucht aus dem Alltag und trafen genau den Zeitgeist der damals so schweren Zeiten. Die Anbiederung an das NS-Regime mit seinem Jesusroman „Dositos“ (Erstausgabe 1943) und die darin enthaltenen antisemitischen Äußerungen blieben nach dem Zweiten Weltkrieg als Makel an Bonsels haften. Bettina Kümmerling-Meibauer erforscht in ihrem Aufsatz das Phänomen des sogenannten Crosswriting, da die „Biene Maja“ sich an zwei Lesergruppen gleichzeitig wendet: an Erwachsene und Kinder gleichermaßen.

So enthält das kinderliterarische Werk Bemerkungen und intertextuelle Anspielungen, die erst bei näherer Lektüre augenscheinlich werden. So verortet Kümmerling-Meibauer in Bonsels Roman Elemente des klassischen Entwicklungsromans, narrative Strukturen des Vagabundenromans und geht der Bedeutung der verschiedenen Sprachregister beziehungsweise der Namensgebung im Buch nach. Durch die Anthropomorphisierung von Insekten bei Bonsels wurden erstmals eine solche Spezies als Handlungsträger in Kinderbüchern salonfähig gemacht. Der Beitrag von Jürg Häusermann analysiert die unterschiedlichen Lieder in Bonsels Roman, in denen die Tiere Maja und dem Leser etwas über ihren Charakter und ihre Weltanschauung preisgeben. Auffallenderweise fehlen sowohl in der Fernsehserie von 1976 als auch in sämtlichen Hörbüchern und Hörspielen diese nicht unbedeutenden Liedeinlagen. Die Lieder weisen über den allgemeinen akustischen Hintergrund, der vornehmlich aus einem vielfältigen Brummen, Surren, Brausen, Pfeife und Sausen besteht, hinaus und dienen zur Charakterisierung der Hauptfiguren. Das Singen an sich steht hier noch ganz im Dienst einer ländlichen, rückwärtsgewandten Romantik und verweist indirekt auf die drohende Zunahme von Lärm und technischen Geräuschen in einer immer stärker industrialisierten Welt.

Bei der medialen Verwertung des Biene-Maja-Sujets hat letztendlich nur das Titellied der Fernsehserie aus den 70er-Jahren überlebt. Diese von Karel Gott gesungene Melodie wurde prägend für das gemeinsame Zuschauererlebnis und bekam dadurch eine starke sozial-gesellschaftliche Bedeutung. Kaspar Maase beleuchtet Bonsels Wert als Bestseller-Autor und geht der Frage nach, was denn nun genau einen Klassiker der deutschen Populärkultur ausmacht, als welche man die Biene Maja unumwunden bezeichnen kann. Die „Biene Maja“ wurde über Generationen von Lesern hinweg gekauft. Sie überschritt somit also nicht nur in ihrer Auflagenhöhe das Normalmaß, sondern auch die Generationengrenzen.

Zu den hohen Verkaufszahlen des Romans kamen dann auch noch die zahlreichen Verfilmungen und Vertonungen hinzu. Durch das Ansprechen eines möglichst großen Publikums, die Vermenschlichung der Tierwelt, die versteckten pädagogischen Botschaften und die erhebende Liebe zur Natur werden Bildungswerte eines breiten Bürgertums transportiert. Maase bezeichnet die Biene Maja schließlich als einen Klassiker bürgerlicher Populärkultur, der sich aber eindeutig trotz Einsatz effektvoller Erzähltechniken von der zeitgenössischen Kitsch- und Schundliteratur abzugrenzen verstand.

Marti Loiperdinger konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Schlacht der Bienen und Hornissen, in der die Handlung des 1912 publizierten Buches kulminiert. Dieser Kampf zwischen den beiden Insektenvölkern kostet viele Tote auf beiden Seiten. Anders verhält es sich in der Fernsehserie, wo dieses Thema in der 52. Folge völlig unblutig abgehandelt wird. In der Rezeption des Buches war diese Schlacht allerdings essentiell und thematisch prägend, symbolisierte sie doch die erste deutsche Weltkriegsniederlage. Die positive moralische Einstellung der Bienengemeinschaft trägt maßgeblich zum Erfolg im Kampf der beiden grundverschiedenen Insektenvölker bei. Im „Dritten Reich“ verstand man es, diese Botschaft der „Biene Maja“ für propagandistische Zwecke zu instrumentalisieren. Erst mit der Fernsehadaption in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts fand die bis dahin in Buch- und Filmen propagierte Verherrlichung der Selbstaufopferung für Volk und Staat ein Ende.

Harald Weiß untersucht die Vorgeschichte zu den Verfilmungen des Biene-Maja-Stoffes und gibt einen fundierten Überblick über die Kulturpolitik im „Dritten Reich“. Waldemar Bonsels selbst verfasste während des Zweiten Weltkrieges bereits Drehbuchskizzen für eine Zeichentrickverfilmung, zudem kam es zu einer kurzfristigen Zusammenarbeit mit der NS-Drehbuchautorin Thea von Harbou. Die Skizzen von Bonsels für den geplanten Zeichentrickfilm Anfang der 40er-Jahre zeigen eindeutige und signifikante Abweichungen von der Buchvorlage, die sich als dem Zeitgeist entsprechende Ideologisierungen interpretieren lassen. Das einfache Gut-Böse-, Freund-Feind-Schema dominiert, und Bonsels gestaltete seine Biene Maja zu einer Art Weltkriegs-Zeichentrick-Maja um, wo Kampflugzeuggeräusche dominierten und SA-Truppen aufmarschierten. Thea von Harbou (1888-1954) hinterließ zwei Fassungen für ein Drehbuch für einen Biene-Maja-Film, worin sie interessanterweise Bonsels Buch mit Figuren und Handlungselementen aus William Shakespeares Drama „Ein Sommernachtstraum“ vermischt. Durch diese Kombination mit Elementen aus der Shakespeaere-Komödie entstand ein Drehbuch mit zwei Erzählsträngen und eine Abenteuer- und Eifersuchtsgeschichte. Letztendlich wurden aber weder Bonsels Zeichentrickfilm-Drehbuch aus den 1940er-Jahren noch Thea von Harbous Biene-Maja-Drehbuch von 1952 realisiert.

Im darauffolgenden Beitrag von Josef Göhlen geht es dann explizit um die filmische Realisierung in den 1970er-Jahren, um die Zeichentrickserie des ZDF, die den eigentlichen Grundstein für die auch heute noch ungebrochene Popularität der kleinen Biene gelegt hat. Konzipiert wurde die Zeichentrickserie als Nachfolger für die überaus erfolgreiche Serie „Wickie und die starken Männer“, die mit 78 Episoden 1974 ein Riesenerfolg im deutschen Fernsehen war. In Zusammenarbeit mit japanischen Animatoren mutierte die literarische Vorlage von Bonsels zu einer aufgeweckten, frechen kleinen Biene, die in ihrer witzig-lustigen Art genau den Wünschen und Vorstellungen der jungen Zuschauer entsprach. Der Grashüpfer wurde zum Erzähler der 104 Episoden, die durch eine Vielzahl neuer Charaktere angereichert wurden, um den Unterhaltungswert zu maximieren. Die Biene Maja wurde auch durch die Erneuerung der Serie als computeranimierter Trickfilm 2013 zu einer Kindermarke, deren Beliebtheit beim Publikum ungebrochen bleibt.

Daran anschließend analysiert Heinz Hengst das Leben der Biene Maja im Medienverbund und geht insbesondere der Frage nach, inwiefern durch die Serie in den 1970er-Jahren japanische Einflüsse und Charakteristika auf dem medialen Sektor stattgefunden haben. Am Beginn des Medienverbunds und seiner Einwirkung auf den (west)europäischen Medienkultursektor standen die Serien „Biene Maja“ (1976), „Heidi“ (1977) und „Pinocchio“ (1977), die allesamt Stoffe aus der klassischen europäischen Kinderliteratur thematisierten, aber mithilfe japanischer Zeichner und japanischen Knowhow auf dem Gebiet der Animationsfilme entstanden. In engen Zusammenhang zu dem starken audiovisuellen Medium des Filmes/Fernsehens kam im Falle der „Biene Maja“ auch noch ein ausgeklügeltes System des Merchandising zum Vollzug, das sich in Puppen, Comics, Magazinen und ähnlichem manifestierte. Hengst erwähnt auch das Phänomen des Pokémon, das als „mass media toy“ kein eigenständiges Gebilde mehr ist, sondern nur innerhalb des Medienverbundes existiert.

Den Abschluss des Bandes über den Siegesflug der kleinen Biene Maja bildet der Aufsatz von Jana Mikota, in dem auf die Bedeutung der Biene in schulischen und außerschulischen Lernkontexten eingegangen wird. Die Biene Maja stellt zweifelsohne eine wichtige Medienfigur dar und dient als Quelle für didaktisches Material. Mikota analysiert in der Folge Lernmedien, in denen die Biene Maja als Zentralfigur agiert und die eine weite Spannbreite von Klappenbüchern, Bilderbüchern und Erstlesebücher haben. Diese Bücher greifen allesamt auf die bekannte TV-Serie zurück und berücksichtigen somit eine medienorientierte Kindheit. Sie verstehen sich primär als Unterhaltungsliteratur und streben weniger eine literarästhetische Qualität an. Des Weiteren wird auch die Lesesoftware „Antolin“ analysiert, die 12 Bücher zu Biene Maja anbietet und an Grundschulkinder adressiert ist. Allen Lernmedien bleibt aber als grundlegendes Charakteristikum gemein, dass sie die Fernsehserie „Biene Maja“ zur Vorlage haben und die ursprüngliche literarische Quelle des Textes von Waldemar Bonsels so gut wie in allen Lernkontexten in den Hintergrund gedrängt wurde.

Der vorliegende, von Harald Weiß herausgegebene Beitragsband beleuchtet das Phänomen der Biene Maja in einem umfassenden kultur- und medienwissenschaftlichen Kontext und bietet einen umfangreichen informativen Überblick über den aktuellen Wissensstand über die Kultbiene, die 2012 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte. Die international renommierten Beiträger geben fundierte Einblicke in ihre spannenden Forschungsgebiete und regen durch die jeweils ausführlichen bibliografischen Angaben zu einer weiteren Beschäftigung mit diesem Klassiker der Kinderbuchliteratur und Medienkultur an.

Titelbild

Harald Weiss (Hg.): 100 Jahre Biene Maja – Vom Kinderbuch zum Kassenschlager.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2014.
186 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783825363789

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