Mein Name sei Johnny

Teresa Präauer entwirft in ihrem zweiten Roman „Johnny und Jean“ das Porträt eines jungen Mannes als Künstler

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich stelle mir vor“ –­ so beginnt es, und beginnt so nicht alle Literatur? Mit der Beschwörung der Geisterwelt unserer Imagination, mit der Aktivierung des Möglichkeitssinns? Und nicht nur alle Literatur, sondern gleich die Kunst und das menschliche Handeln überhaupt? Schwere, tiefe Fragen, die in Teresa Präauers zweitem Roman „Johnny und Jean“ auf leichte, aber nicht immer oberflächliche Weise gestellt und zum Glück nicht beantwortet werden.

Was auf den nächsten 200 Seiten an Geschichten und Geschichtchen, an Dialogen und Beobachtungen, an Sottisen und Bonmots folgt, lässt nicht eindeutig erkennen, zu welcher Welt es eigentlich gehören will. Gibt es hier eine Realität, oder ist alles bloß bezuglose Imagination? Denn zwischen der Fantasiewelt des Erzählers und einer behaupteten Außenwelt bewegen sich die Figuren hin und her: Johnny, der Erzähler, und Jean, sein bester Freund, dazu das halbe Kunststudentenpersonal des Campus der zweitgrößten Stadt des Landes und die halbe Hall of Fame der Kunstgeschichte. Wirklichkeit ist hier nicht nur ein Konstrukt, auch ihre Konstruktion ist konstruiert und als solche Thema. Sicher ist nichts, und nicht einmal das.

Diese Vagheit, die während des Lesens zwar immer ihrer Aufhebung entgegenstrebt, jedoch beharrlich verweigert wird, verwischt die Konturen des Textes, seine Farben verschwimmen ineinander, ohne jedoch zu einem faden Grau zusammenzulaufen. Zwischen Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Wahnvorstellung spinnt Präauer eine Erzählung, die sich um herkömmliche Wirklichkeitsversicherung nicht allzu sorgsam kümmert.

„Johnny und Jean“, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015, erzählt von einem jungen Kunststudenten, der sich selbst gern Johnny nennt, weil das cool klingt, cooler zumindest, als er selbst bislang seiner Umwelt erscheint. Er erzählt von sich als von einem, der auszog, um Künstler zu werden: noch nicht mit der nötigen Chuzpe und Verve ausgestattet, aber schon mit dem Blick für die Kunst der Selbstinszenierung. Die allerdings kann er vorerst nur an anderen bewundern, und damit kommt ein zweiter in die Welt und die Geschichte: Jean, der diese Kunst auf jeden Fall gemeistert zu haben scheint.

In der Großstadt, in die beide aus ihrem Provinzkaff gekommen sind (einem Kaff, in dem die Leute nicht wirklich Johnny oder Jean heißen), studieren beide Kunst, durchzechen die Nächte, machen ihre ersten Schritte auf dem Kunstmarkt: der eine geschickt, der andere unbeholfen. Johnnys Erzählerblick bleibt der eines Außenseiters, der seine Zeit damit verbringt, Fische zu malen und davon zu träumen, dass er ein guter Freund des angesagtesten Typen ist: einer, der sich Jean nennt (oder den Johnny so nennt?), eine coole Sau, jemand, der im Freibad Saltos vom 3-Meter-Brett macht und auch sonst seinen Körper beherrscht: „Währenddessen hat sich Jean, da bin ich mir sicher, längst auf die Reckstange geschwungen gehabt und seinen Körper dort oben herumwirbeln lassen, die Pflicht erledigt, gefolgt von einer vierteiligen Kür.“

Und so ist es vor allem dieser Antagonismus, der die Geschichte vorwärts treibt und für Reibung sorgt. Die beiden Freunde könnten unterschiedlicher nicht sein, Johnny unscheinbar, Jean Aufsehen erregend. Johnny naiv, Jean abgeklärt. Wie Johannes der Täufer ist Johnny nur der, der vor Jesus-Jean hergeht „und Zeugnis ablegt für das Licht“. Jean ist erfolgreich. Seine Kunst gefällt, er bekommt eine erste eigene Ausstellung, die Frauen lieben ihn. Johnny dagegen, der sich mit Fisch-Studien rumschlägt, die niemanden vom Hocker reißen, ist neidisch. Doch sein Neid ist ohne Missgunst, sein Blick auf den anderen, größeren von schamhafter Selbsterkenntnis geprägt: „Wenn ich zum Himmel blicke, sehe ich dort Jeans ausgerolltes Bild über mir, das die Sonne verdeckt, ein ganzes Jahr. Ich schäme mich für die Fische und dafür, dass ich es nicht verstanden habe, sie daheim zu lassen in meinem Bubenzimmer.“

In Johnnys Träumen geschieht das Unmögliche, nämlich dass der Angehimmelte vom Anhimmelnden tatsächlich Notiz nimmt, die beiden sogar Freunde werden. „Ich stelle mir vor“, eben. Jean ist so sehr Johnny wie Johnny und Jean in jedem und jeder von uns stecken, ein erträumtes Ich, ein Tyler Durden der Aktionskunst, „ein Freak in der Stadt“, wenn man Johnnys Urteil folgen will, einer, mit dem man bis in die Nacht Pastis trinken kann.

Der Umgang mit dem Blick auf den anderen, das Schwanken zwischen Angst, Zweifel und Hochmut, die Unsicherheit der eigenen Identität gegenüber, das Verlangen, jemand anders zu sein, oder auch nur überhaupt jemand zu sein – all das prägt Johnnys Erzählen noch in die kleinsten Beobachtungen. Die werden unter seinem Blick zu Kunst, beim Erzählen in dieser beweglichen, mal ironisch-abgeklärten, mal kitschig-verträumten, um Sound bemühten Sprache des Romans – alles wird hier zu Kunst, das eigene Herumeiern, das Leben der Anderen, die Kneipengespräche und die Dialoge mit Kunstheroen wie Lucas Cranach. Der ältere? Egal, ist ja eh aller nur vorgestellt. Ein wenig Realität, ja Erlösung bringt mal wieder die Frau, Louise, die Kanadierin, die Jules und Jim, sorry: Johnny und Jean einander ausspannen. Aber wer hier Realismus, Identifikation gar erwartet, wird mit Sicherheit enttäuscht.

Teresa Präauer, für ihren Debütroman „Der Herrscher aus Übersee“ 2012 mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet, zeichnet in „Johnny und Jean“ die éducation sentimentale des angehenden Künstlers. Dessen Tagträumereien zwischen Wunsch und Wirklichkeit lassen uns teilhaben an der der Geburt der Kunst aus dem Geist der Unterlegenheit, und zudem noch an einer bisweilen berührenden Freundschaftsgeschichte. Ein bisschen von allem, ein bisschen von gar nichts, und dabei heiter-unbekümmert um literarische Label, bewegt sich „Johnny und Jean“ zwischen Coming-of-Age-Geschichte, Künstler- und Bildungsroman und einer Satire über die Eigenarten des Kunstbetriebs, in dem Eigensinn vor Maßhalten geht, und wir lernen: Selbstinszenierung kann auch Arbeit machen.

Titelbild

Teresa Präauer: Johnny und Jean. Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
208 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835315563

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