Ein Familienschicksal im Dreißigjährigen Krieg

Heidrun Horsts historischer Roman erzählt von den „Kindern des Bergmanns“

Von Isabel SteinbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabel Steinbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen Einblick in das Leben einfacher Bergarbeiter und deren Lebensumstände zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges erhält der Leser der jüngsten Publikation von Heidrun Hurst. Der vorliegende Roman bildet den Auftakt von insgesamt zwei Bänden und ist in drei Teile gegliedert. Es ist bereits der dritte historische Roman aus der Feder der Schriftstellerin, die sich durch gut recherchierte Exempla dieses Genres auszeichnet. Die Protagonisten, die meist einer niederen sozialen Schicht angehören, erleben ihre Abenteuer zum Großteil in der Heimat der Autorin, am Rhein.

Der erste Teil beginnt im Jahre 1606 in der Nähe von Freiburg und erzählt die Vorgeschichte der beiden Protagonisten Jakob und Bärbel sowie ihrer Eltern, Johann und Anna Selzer, die das Bild einer ärmlichen Bergarbeiterfamilie repräsentieren. Die Mutter stirbt bereits bei Jakobs Geburt und hinterlässt den schwer arbeitenden Johann mit den Neugeborenen.

Geprägt durch den frühen Verlust seiner großen Liebe,findet Johann eine neue Frau inMarie, einer guten Freundin der Familie. Sie stellt für ihn gewissermaßen eine ‚Notlösung’ dar, da er eine Mutter für sein Kind braucht. Er bekommt mit ihr nach mehreren Fehlgeburten die kleine Bärbel. Der harte Broterwerb eines Bergarbeiters und die täglichen Abläufe im Bergwerkgeschehen begleiten die ersten Jahre der Kindheit von Jakob und Bärbel, die schon in jungen Jahren körperlich arbeiten und zum Überleben der Familie beitragen müssen. Einige Jahre später stirbt Marie, woraufhin sich Johann Selzer das Leben nimmt.Er lässt Jakob und Bärbel im Alter von etwa elf und neun Jahren alleine zurück.

Mit der Not der zwei Kinder, die nicht länger in ihrem Wohnhaus bleiben können und sich auf die Suche nach ihren Verwandten machen, beginnt der zweite Teil des Romans. Ihre beschwerliche und von schicksalhaften Ereignissen geprägte Reise führt sie über Freiburg den Rhein hinaufund endet schließlich in Straßburg bei dem Onkel der Kinder. Dabei gelingt es der Autorin, die Reise den Rhein entlang spannendzu beschreiben und gleichsam nebenbei die Besonderheiten eines jeden Ortes darzustellen; u. a. werden so verschiedene Reisemöglichkeiten der damaligen Zeit beschrieben: zu Fuß, mit der Kutsche und schließlich per Schiff. Angekommen in Straßburg, werden Jakob und Bärbel gezwungen sich zu trennen, da ihr Onkel lediglich bereit ist, den Jungen bei sich aufzunehmen. Die Folgen dieser Trennung ermöglichen dem Leser im letzten Teil einen Einblick in das Leben der Menschen in verschiedenen Gesellschaftsschichten des 17. Jahrhunderts, da die beiden Kinder in Familien mit unterschiedlichem Rang und Beruf aufgenommen werden. En passant rückt Hurst die nahe Bedrohung des ausbrechenden Krieges immer mehr in den Mittelpunkt, indem sie die Kinder Gespräche von Menschen in der Stadt mithören lässt. Darin wird deutlich, dass niemand ernsthaft mit einem Krieg rechnet. Das Buch endet überraschend: Zum Entsetzen aller Bürger bricht der eben noch nicht für möglich gehaltene Krieg aus; die Konsequenzen und das Schicksal der Geschwister bleiben ungewiss, der Leser wird auf den zweiten Band vertröstet.

Hursts Darstellung lässt auf eine intensive Beschäftigung mit den Geschehnissen des 17. Jahrhunderts schließen. Hinweise darauf begegnen dem Leser auch im Anhang am Ende des Buches in Gestalt eines knappen Quellenverzeichnisses sowie eines kleinen Lexikons, in dem die Autorin einzelne Wörter aus dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit erklärt. Eine Karte, auf welcher der Leser die Reise der Geschwister nachvollziehen kann, wäre ein zusätzliches Bonbon gewesen. Durch einen auktorialen Erzählstil, der anfangs nur Jakobs Perspektive, später auch diejenige Bärbels zu inkorporieren vermag, erhält der Leser einen Einblick in die Gefühlswelt der beiden Protagonisten. Die Autorin verwendet hierbei vielfach wörtliche Rede: „‚Herr Pfarrer?‘, fragte sie plötzlich. ‚Das… was ich getan habe, war eine große Sünde, nicht wahr?‘. Der Mann nickte ernst. ‚Ja, das war es.‘“ Derlei pointierte und behutsam instrumentierte Dialoge sind essentieller Bestandteil der anschaulichen (Selbst-)Darstellung, die Heidrun Hursts Figuren in diesem Roman erfahren. So gelingt es der Autorin, ihre Figuren lebendig und vielschichtig wirken zu lassen – anstatt sie als bloße Schattenrisse in einem historischen Tableau vorzuführen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Heidrun Hurst: Die Kinder des Bergmanns. Roman.
mediaKern, Friesenheim-Schuttern 2013.
320 S. , 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783842923058

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