Unterwerfung?

Ist die von Michel Houellebecq beschriebene „Unterwerfung“ nur eine ästhetische Spielerei oder entspringt sie einer politischen Vision? Eine mediale Spurensuche

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist schon ein sehr zynischer Vorgang gewesen, der Michel Houellebecq einen internationalen Bestseller beschert hat: In der Woche des Erscheinens seines neuen Romans „Unterwerfung“ verüben islamistische Attentäter einen Anschlag auf ein französisches Satiremagazin, das auf dem Cover seiner aktuellen Ausgabe ebenjenen Houellebecq präsentiert, mitsamt einem Interview zu seinem dystopischen Roman, in dem die schleichende politische und soziale Islamisierung Frankreichs beschrieben wird. Ein Roman von ebenjenem Houellebecq, der in seinem 2001 erschienenem Werk „Plattform“ bereits von einem islamistischen Terroranschlag erzählt hat und in einem Interview kurz darauf die viel zitierte Äußerung fallen ließ, der Islam sei nun mal ‚die bescheuertste Religion von allen‘ (gerne wird beim Zitieren dieser Äußerung bewusst verschwiegen, dass sie mit den Worten, alle Religionen seien bescheuert, beginnt). Dass direkt nach den medial tagelang omnipräsenten Anschlägen inklusive der live im Internet verfolgbaren Jagd nach den Attentätern, die in einer filmreifen Schießerei endete, „Unterwerfung“ zum internationalen Bestseller werden würde, überrascht nicht. Genausowenig übrigens, dass das Werk nahezu unisono als fragwürdige Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Islam und dem so genannten Westen gedeutet wurde – egal, ob das Ergebnis eine positive oder negative Bewertung war. Geschieht es doch allzu selten, dass ein Buch, gewollt oder ungewollt, eine plötzliche tagespolitische Brisanz entwickelt, als habe der Autor bewusst den Finger in eine Wunde gelegt, welche der Nation bereits seit langer Zeit Schmerzen bereitet. „Unterwerfung“ wird somit – und natürlich ist ein Autor, der sich mit solch brisanten Themen auseinandersetzt, auch selbst dafür verantwortlich zu machen – auf seine soziopolitische Ebene reduziert und vielleicht auch in diesem Zusammenhang etwas zu Unrecht katalogisiert, weniger vielleicht vom aufgeklärten Feuilleton, sondern vielmehr von weniger aufgeklärten Lesern, die ihr Wissen heutzutage häppchenweise aus sozialen Medien, Blogs oder Werbung zusammensetzen. Und vielleicht war die zeitliche Koinzidenz von Anschlägen und Publikationsdatum dann doch keine. Vielleicht haben auch die Attentäter den Provokateur Houellebecq nicht als den Ästheten gesehen, der er eigentlich ist, sondern als sozialen Kommentator vom rechten Rand, der seinen  Hass auf den Islam in einer fiktiven Dystopie ablässt.

Wenn selbst Georg Diez in einem Essay im „Spiegel“ etwas über eine Woche nach den Anschlägen Houellebecq als ‚rechten‘ Schriftsteller bezeichnet, so kann dies zugleich als Provokation und ernst gemeinte Feststellung gedeutet werden. Immerhin hat Diez in einem – zumindest was die intellektuelle Debatte um die ‚korrekte‘ Rezeption eines Werkes angeht - nicht unähnlichen Fall völlig zu recht die politische Fragwürdigkeit von Christian Krachts Roman „Imperium“ thematisiert und dafür einen feuilletonistischen Shitstorm sondergleichen durchstehen müssen. Natürlich strebt Houellebecq mit seiner ästhetisierten Dystopie keinen Beitrag zu einem aufgeklärten Diskurs über die Problematik des Umgangs mit dem Islam, zudem noch in einem Einwanderungsland wie Frankreich an, wo spätestens seit den Unruhen vor einigen Jahren ein großer gesellschaftlicher Diskurs am Laufen ist. Vielleicht, damit mag Diez Recht haben, ist in diesem Zusammenhang jemand wie Houellebecq eher sogar kontraproduktiv. Doch wird dieser Autor und vor allem sein neuester Roman überhaupt richtig gedeutet?

Vielleicht ist es – auch hier lohnt der Rekurs auf die „Imperium“-Debatte – nicht unbedingt von Vorteil, ein literarisches Werk auf das zu reduzieren, was es auf den ersten Blick darstellt und dem durchschnittlichem Leser oberflächlich zu bieten vorgibt. Aus diesem Blickwinkel ist „Unterwerfung“ rasant und spannend geschrieben. Das entworfene Szenario ist bedrückend und dunkel, im Grunde auch latent islamophob, aber es ist keinesfalls übertrieben und unrealistisch, was ja die Grundbedingung einer funktionierenden Dystopie ist. Die Hauptfigur strahlt die notwendige Passivität aus, um sie als leere Leinwand zu interpretieren, auf der sich gesellschaftliche Umbrüche abzeichnen und die nur als exemplarischer Katalysator einer eher allgemein-gesellschaftlichen Handlung dient. Keine agierende Figur also, sondern eine passiv reagierende, sich unterwerfende, die trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihres Status als Ich-Erzähler keine eigene Persönlichkeit entwickelt. Natürlich muss so eine Figur in einem solchen Roman im Mittelpunkt stehen, sonst würde die Grundidee der Unterwerfung als letzte Möglichkeit der Erfüllung einer sinnlosen Suche des Menschen nach Glückseligkeit nicht funktionieren.

Hier ist auch eine Parallele zu einem anderen Roman von Christian Kracht, „1979“ zu erkennen, den der Autor zunächst „0“ nennen wollte, denn die Hauptfigur sei eben eine Null, eine leere Leinwand, die niemals agiert sondern deren absurder Werdegang nur zustande kommt, weil sie unreflektiert immer genau so handelt, wie ihr befohlen wird. Interessanterweise hören die Parallelen zu „Unterwerfung“ dort nicht auf. Wie unschwer zu erkennen ist und bereits vielfach diskutiert wurde, ist Houllebecqs Roman auch eine Hommage an Joris-Karl Huysmans: Der Ich-Erzähler ist nicht umsonst Huysmans-Forscher und versucht sich in der Gestaltung seines Lebens zumindest unbewusst an einer zeitgenössischen Rekreation des Werdegangs seines Vorbilds. Nur, dass er sich statt dem Katholizismus eben dem Islam zuwendet. Krachts Protagonist in „1979“ wird in einer an Huysmans „A rebours“ angelehnten Szene in einer Nachbildung der ‚Verderbung‘ von Oscar Wildes Dorian Gray zum Bösen verführt.

Letztlich gehe es, so Houellebecq, seinem Erzähler Francois doch auch nur um das kleine persönliche Glück: Eine stabile Partnerschaft, einfach zubereitete Mahlzeiten statt dem ständigen Fertigessen aus der Mikrowelle, Treffen mit Freunden. Doch selbst dies ist für den Menschen unerreichbar. Diese Erfahrung habe schon Huysmans gemacht, so der Autor in einem am 28.2.2015 erschienenen „Spiegel“-Interview, und die mache nun eben auch sein Erzähler, der ja immerhin ein intimer Kenner und Bewunderer jenes Schriftsellers ist. Was also einfacher für eine Figur, die keine größeren Ideologischen Ziele verfolgt, als sich der absoluten Unterwerfung hinzugeben? Denn die Welt sei letztlich ganz einfach, ist man denn erst gewillt, sich in diese simplen Strukturen einzugliedern, auf denen nach Houellebecq der Islam basiert: Die Frau unterwirft sich dem Mann und der Mann unterwirft sich Gott. Hier liege das eigentlich gesellschaftliche explosive Gemisch der Verbindung ‚Islam‘ und ‚humanistisches Europa‘. Und nichts anderes fordern die gewaltlosen, politisch organisierten Moslems in „Unterwerfung“, und dieses Konzept scheint dem Erzähler Francois attraktiv genug.

Doch gerade in dieser Grundidee liegt der Kern der Auseinandersetzung mit Houellebecq als innerhalb der Gesellschaft agierender Autor, also auch als Mensch, und nicht nur als reiner Schöpfer einer literarischen Fiktion. Durch die anfangs erwähnte, ungewollte Übertragung des Plots in die französische, vielleicht auch europäische, Wirklichkeit wird Houellebecq (nicht zum ersten Mal in seiner Karriere) zum sozialen Kommentator und seine stark ästhetisierte Weltsicht zu einer scheinbaren Gabe der Prophetie. Diese Rolle nimmt der Autor selbstredend nur allzu gerne an, wie besagtes „Spiegel“-Gespräch zeigt. In diesem versucht der Interviewer Romain Leick erst gar nicht, dem Autor jene Rolle abspenstig zu machen. Zu gerne nimmt man die Parallele zur Wirklichkeit in „Unterwerfung“ an und ernennt Houellebecq zum Seismographen französischer Befindlichkeit. Heraus kommen, kurz zusammengefasst, Sentenzen wie: Sollte Hollande (oder ein anderer linker Politiker) 2017 die Wahl gewinnen, drohe ein Bürgerkrieg. Auf die erschreckte Nachfrage des Journalisten, ob er das ernst meine, entgegnet der Autor nur, man wüsste in Deutschland eben zu wenig über Frankreich. Er sei überzeugt, dass es in der Natur der Sache liege, dass die Frau wieder ihre alte Rolle übernehmen werde und sich dem Mann somit unterwerfe. Er heiße das ja nicht gut, aber das sei nun mal so, dass wer die meisten Kinder gebiert, die Übermacht über den gesellschaftlichen Diskurs gewinnt, und wer sich ausschließlich um die Kindererziehung kümmern müsse, sei von feministischen Ideen ja eher nicht so angetan. Auch auf diese Aussage reagiert Leick mit Unverständnis, doch die Krönung ist Houllebecqs Theorie, welche diese Ideen zusammenführt, nämlich dass es schließlich der geburtenreiche Islam sei, bei dem die Unterwerfung unter Gott und die traditionelle Frauenrolle im Mittelpunkt stehen, und er somit keine Dystopie geschrieben habe sondern nur eine realistische Vision einer nahen Zukunft. Der schockierte Leick bezichtigt den Autor nun ganz direkt des rechtsradikalen Gedankenguts, aber der antwortet nur gewohnt larmoyant: „Ja, ja, das ist schockierend. Es ist ein rechter, identitärer Standpunkt, der aber durchaus seinen Sinn hat. […] Der Humanismus ist tot.“

Solche Äußerungen tatsächlich als Meinung des Autors zu verstehen, wäre jedoch der falsche Weg. Houellebecq ist quasi der Anti-Kracht. Wo dieser sich nämlich in der Rolle des mysteriösen Schweigers gefällt, der die Vorwürfe bezüglich rechten Gedankenguts eher mittels eines gewieften intellektuellen Spiels im Grunde selbst schürt, um ihnen nur Schweigen entgegenzusetzen und sich die überzogene und fehlgeleitete feuilletonistische Debatte schmunzelnd aus der Ferne anzusehen, macht der Franzose genau das Gegenteil: Er plappert sich um Sinn und Verstand und inszeniert sich dabei als zeitgenössische Variante eines dekadenten Intellektuellen, dessen Dekadenz bis hin zu seinem verwahrlosten Erscheinungsbild durchexerziert wird. Fast schon im Stile zynischer Despoten erwidert er auf jede empörte Nachfrage nur schulterzuckend, die Welt sei nun mal so, er heiße das ja nicht gut, er habe sich das alles nun mal nicht ausgedacht, das sei eben der Weg der Menschheit, usw.

In einem zwar sinnentleerten, doch gerade aus diesem Grund äußerst aufschlussreichen Interview in der „Welt“, in dem die Journalistin Hannah Lühmann Houellebecq bewusst kaum nach seinem Roman oder nach Politik bzw. Religion befragt, sondern nur nach seinem Äußeren, kommen dann auch die notwendigen Erklärungen: Den speckigen Parka trage er nur, weil der dutzende Taschen habe, in denen alles, was er braucht griffbereit verwahrt werden kann. So werde das Leben vereinfacht. Die billigen Jeans-Hemden im 80er Jahre DDR-Look? Kann man im Internet im Dutzend bestellen, so wie seine Hosen. So werde ihm morgens die Entscheidung abgenommen, was er anzuziehen habe, das erleichetere das Leben doch ungeheuer. Und die Frisur? Schneidet er bei Bedarf selbst mit der Küchenschere nach. Noch eine Erleichterung.

Langsam sollte man sich dessen bewusst werden: Dieser Autor ist eine Kunstfigur. Er heißt ja nicht mal Michel Houellebecq sondern Michel Thomas (Houellebecq, der Mädchenname seiner Großmutter, ist sein Künstlername), und auch sein Geburtsjahr ist nicht mit Sicherheit überliefert; 1956? 1958? Seine Aussagen hierzu widersprechen sich. Zu Zeiten von „Elementarteilchen“, also um die Jahrtausendwende, inszenierte er sich noch als übersexualisierter Dandy mit Schlag bei Frauen, nun also als verwahrloster, in den Augen vieler Journalisten oder Leser, die ihm begegnen, auch krank wirkender, desillusionierter Intellektueller, der sein Leben einfach nur konstant vereinfachen will: Der Parka, die Hemden, die Küchenschere. Besonders viele Frauen springen darauf wahrscheinlich nicht mehr an. Es ist eine Unterwerfung unter ein fremdbestimmtes Diktat, das ihn, ähnlich seiner jüngsten Figur, zur leeren Leinwand werden lässt, auf die Leser und Kritiker ihre Ängste projizieren können. Dieses Diktat ist die Komplexität der Welt selbst und Houellebecq spielt die Rolle des endlosen Simplifizierers, der sich physisch und mental jener Komplexität unterwirft; mit dem Ziel , wie seine Romanfigur Francois, wie dessen Held Huysmans, ein einfachen, und nur deswegen erfülltes Leben zu führen. Nicht umsonst brachte er sich selbst im Vorgängerroman „Karte und Gebiet“ selbst bestialisch um; zuvor hatte er den Ruf des menschenscheuen Einsiedlers kultiviert, der alleine in der irischen Natur lebt. Nun ist ein neuer Houellebecq geboren. Warum er aus der Einsamkeit Irlands überhaupt zurückgekehrt sei. Ach, es sei zu anstrengend, immer Englisch zu sprechen.

Es ist somit vielleicht der falsche Weg, Houellebecq als sozialen Kommentator zu deuten, als jenen in Deutschland schon seit jeher beliebten ‚Intellektuellen, der sich einmischt und auch mal unangenehme Wahrheiten verbreitet‘. Denn tut man dies, dann liegt es nahe, sein in „Unterwerfung“ dargelegtes Weltbild unter die Lupe zu nehmen und ihn damit zu konfrontieren – ebenso, wie es Romain Leick im „Spiegel“ auf journalistisch durchaus gekonnte Weise tut. Beschreitet man diesen Weg, muss man ihn allerdings, wie Georg Diez, tatsächlich als rechten Schriftsteller, oder, wie Leick es tut, seine Thesen eventuell sogar als rechtsradikal bewerten. Problematisch dabei ist nur, dass, obwohl die Frage, auch bei Leick, immer wieder im Raum steht, so gut wie niemand in alldem ein Konstrukt erkennen will, ein fast schon ermüdendes mediales Spiel um eine endlose Ästhetisierungskette. Insofern ist Hannah Lühmanns Artikel – der übrigens bebildert ist mit einer Reihe von lustigen Selfies, welche die Journalistin beim Herumalbern mit Houellebecq zeigen – vielleicht der Text, der uns den Autor am Nahesten bringt. Zumal der arme Romain Leick bekennen muss, Houellebecq habe in den anderthalb Stunden, die das Interview dauerte, keine Miene verzogen und kein einziges Mal gelächelt. Vielleicht hätte er mal sein Smartphone zücken sollen.

Titelbild

Michel Houellebecq: Unterwerfung.
Aus dem Französischen übersetzt von Norma Cassau und Bernd Wilczek.
DuMont Buchverlag, Köln 2015.
300 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783832197957

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