Gender Matters
Jan Schlieckers kritischer Episodenführer durch die "Star Trek"-Originalserie wartet mit detailliertem Hintergrundwissen auf
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm Februar verstarb der amerikanische Schauspieler Leonard Nimoy. Sein Ableben wurde in den Feuilletons ebenso betrauert wie von den immer noch zahlreichen Fans der Fernsehserie Star Trek, in der er den Vulkanier Mr. Spock verkörperte. Nimoy war keineswegs der erste Tote, den die Trekkis der ersten Stunde zu beklagen haben. 1999 starb DeForest Kelley (Leonard McCoy genannt Bones oder Pille, wie die deutsche Synchronisation den nick name übersetzt), sechs Jahre später folgte James Doohan (Montgomery Scott, genannt Scotty) und 2008 Majel Barrett. Sie gab Christine Chapel, die Assistentin des Arztes Pille sowie in den 1980ern und 1990ern in „The Next Generation“ und „Deep Space Nine“ die Betazoidin Lwaxana Troi. Im wirklichen Leben war sie die Ehefrau des Star Trek-Erfinders Gene Roddenberry, der selbst bereits im Jahre 1991 verstorben war.
„Roddenberrys Idee“ aber lebt in den Herzen der Trekkis noch immer weiter. So stiftete sie gerade jüngst den Titel eines „kritischen Episodenführers“ der „Original Series“ aus den 1960er-Jahren. Sein Autor Jan Schliecker verspricht, „die Star Trek-Originalserie im Wandel der Zeit“ zu beleuchtet. Die Spanne, in der die Serie gedreht und uraufgeführt wurde, umfasst nun zwar nur die Jahre 1966 bis 1969, doch waren gerade die ausgehende 1960er eine gesellschaftlich und politisch besonders ereignisreiche Zeit, so dass sich deren Wandel ungeachtet der kurzen Lebensdauer der Serie auch in ihr niederschlagen konnte, wie Schliecker zeigt.
Ein in Form einer Einleitung oder eines Vorworts vorangestellter Text zum Aufbau des Buches als Ganzem sowie der Artikel über die drei Staffeln und deren einzelnen Episoden wäre hilfreich gewesen. Doch geht das Buch unmittelbar in medias res und setzt mit dem Kapitel „Die Geburt von Star Trek“ ein. So müssen sich die Lesenden selbst zurechtfinden, was allerdings aufgrund der unmittelbar einleuchtenden Struktur des Bandes nicht allzu schwer fällt.
Schliecker wartet mit einem geradezu stupenden Detailwissen auf. Doch nicht alle Informationen, mit denen der Autor die Seiten seines Buches füllt, sind von Belang. Dass Roddenberrys Bruder Chemiker war oder dass William Shatner, der Darsteller Kirks, als „mittleres Kind zwischen zwei Schwestern“ aufwuchs, muss man nicht unbedingt wissen, wenn man sich für die Serie interessiert. Relevanter wären hingegen filmwissenschaftliche Analysen einzelner Episoden oder Sequenzen gewesen. Gerade die aber bietet der Autor nicht.
Auch informiert Schliecker nicht so sehr über den Inhalt der einzelnen Episoden, die eher kursorisch wiedergegeben werden, sondern vor allem über ihr Zustandekommen, die Diskussionen in der Crew vor und hinter der Kamera, die verschiedenen Drehbuchfassungen und die politisch-gesellschaftlichen Hintergründe, die Einfluss auf ihre Entstehung ausübten. In den einzelnen Episoden gewidmeten Texte verweist er zudem immer wieder auf Zusammenhänge mit anderen Episoden oder spricht Weiterentwicklungen, ungelöste Widersprüche und Wiederholungen von Problemstellungen, mit denen sich die Crew konfrontiert sieht, an.
Die jeweils einer der drei Staffeln gewidmeten Hauptteile des Buches bieten neben ausführlichen Artikeln zu den einzelnen Episoden einleitende Bemerkungen und Hinweise zu jeder der Staffeln als Ganzer. Diese einleitenden Bemerkungen sind nicht nach einem gleichbleibenden Schema aufgebaut, sondern orientieren sich sinnvollerweise an den Besonderheiten der jeweiligen Staffel. Hingegen folgen die Ausführungen zu den Kinofilmen weitgehend einer einheitlichen Gliederung. Eine Ausnahme bildet nur das um einige Abschnitte erweiterte Kapitel zum ersten der acht vorgestellten Filme. Beschlossen wird der Band durch einen als solchen nicht ausgewiesenen Anhang, der die Quellen des Autors nennt, ein Verzeichnis der zahlreichen Abkürzungen, ein Register sowie ein deutsches Titelverzeichnis und eine denkbar knappe Chronologie enthält.
Vorangestellt ist all dem ein erstes Kapitel, in dem Schliecker zunächst Gene Roddenberrys Lebensweg bis zum Beginn der Dreharbeiten zu Star Trek umreißt, auf das Format und das Genre der Serie eingeht sowie Roddenberrys schließlich erfolgreiche Verhandlungen mit der Produktionsfirma Desilu schildert. Zudem wirft er einen ersten Blick auf die Gesellschaftskritik der Serie, wobei er insbesondere auf die damaligen Beschränkungen einer solchen Kritik etwa durch die Wünsche von Werbekunden oder die Publikumserwartungen eingeht. Eine weibliche First Lieutnant, wie Roddenberry sie ursprünglich vorgesehen und im abgelehnten Pilotfilm umgesetzt hatte, stieß etwa auf die vehemente Ablehnung nicht zuletzt weiblicher ZuschauerInnen, so dass er schließlich der Produktionsfirma nachgab, die darauf drängte, auf sie zu verzichteten. So hoffte er, wenigstens Mr. Spock beibehalten zu können. Denn die spitzohrige Figur Spock war ebenfalls nicht leicht durchzusetzen, da man fürchtete, die frommen Leute im Bible Belt könnten sich an den Teufel erinnert fühlen und die Serie ablehnen. Auch war es keineswegs selbstverständlich, dass sich mit der von Nichelle Nichols verkörperten Afrikanerin Lieutnant Uhura eine Schwarze auf der Brücke der Enterprise befand. Allerdings spielte Nichols schon bald nach Beginn der Dreharbeiten zur ersten Staffel mit dem Gedanken, die Rolle aufzugeben, da ihrer Figur kaum einmal mehr als belanglose Dialoge und die monotone Aufgabe, Kommunikationsfrequenzen zu öffnen, zugestanden wurde. Schließlich aber war es Martin Luther King, der sie erfolgreich bat, die Rolle beizubehalten. Es sei wichtig für das Selbstbewusstsein der Schwarzen Amerikas, eine Schwarze auf der Kommandobrücke des Schiffes zu sehen, argumentierte er. Schliecker zufolge war es entgegen Nichols damaliger Annahme nicht der Produktionsfirma anzulasten, sondern wohl eher Roddenberry, „dass gute Uhura-Szenen, die in den Büchern standen, regelmäßig in den letzten Revisionen verloren gingen“. Woran immer dies nun gelegen haben mag, einzelnen Episoden thematisierten und kritisierten das Rassismus-Problem nicht nur Amerikas unübersehbar. In „Let That Be Your Last Battlefield“, einer der letzten Episoden der Serie, geschah dies sogar ganz explizit oder, wie Schliecker formuliert, „in formell drastischer Weise“. Allerdings, moniert er, dass die Episode von „kaum passabler Machart“ gewesen sei.
Die Geschlechterkonstruktionen der Serie waren hingegen sehr konventionell, ja konservativ, wofür im Unterschied zu ihrer sehr zurückhaltenden Religionskritik nicht alleine gesellschaftliche Restriktionen verantwortlich gewesen sein dürften. Dass die Miniröcke der weiblichen Uniformen kaum kürzer hätten ausfallen können, erklärt der Autor damit, dass sie „für Jugend, Sommer und Aufbruch standen“ und gerade eine Zukunftsserie, „von der Mode her nicht in die falsche Richtung deuten“ sollte. Jedenfalls waren die Röcke so kurz, dass bei ihrer Vorstellung durch die Kostümdesignerin allen „der Atem stockte“.
Dem konservativen Weiblichkeitsklischee der emotionalen und unselbständigen Frau wiederum entspricht etwa, dass sich in der Episode „Who Mourns for Adonais“ das einzige weibliche Mitgliedern einer auf einem bislang unbekannten Planeten gelandeten Gruppe des Raumschiffs schnell und grundlos in dessen einzigen Bewohner Apollo verliebt – und sich kurz darauf ebenso problemlos von Kirk zum Liebesverrat überreden lässt, da die Pflicht vorgehe. Schliecker geht darauf wenig ein, sondern hebt insbesondere den – tatsächlich im Zentrum stehenden – religiösen Aspekt der Episode hervor und erläutert, dass das Thema damals vom Fernsehen ganz allgemein und so auch von dem Atheisten Roddenberry „nur mit Samthandschuhen berührt“ wurde.
Hat die Frau in besagter Episode vor dem Liebesverrat offenbar Sex mit Apollon, so lässt der virale Captain Kirk seinerseits kaum einmal etwas bei einer hübschen Außerirdischen anbrennen, sobald sich die Gelegenheit für ein kleines erotisches Abenteuer ergibt. Es sei denn, sie ist sexuell initiativ wie etwa Deena in der Episode „Wink Of an Eye“, oder aber die Zurückweisung der Frau dient der Sache der Föderation. Dann widersteht er in der Episode „Elaan of Troyius“ selbst der liebestrank-ähnlichen Wirkung der Tränen einer humanoiden Bewohnerin des Planeten Elas und führt sie pflichtgemäß einer Zwangsehe zu. Schliecker charakterisiert die anstehende Hochzeit allzu milde als eine „Heirat, die sie sich selbst nicht wirklich wünschen konnte“. Ansonsten erklärt er anlässlich der Episode „Wink Of an Eye“, „dass in der dritten Staffel Frauen in Gastrollen voll zum Zuge kamen und dabei dem von G[ene] R[oddenberry] und [Gene L.] Coon bisher eher verschlafenen, sich wandelnden Selbstverständnis vieler Frauen und ihrer Behauptung in der Gesellschaft deutlicher Rechnung trugen.“ Mag man dem Befund dieser Entwicklung auch nur mit Abstrichen zustimmen, so räumt Schliecker damit doch implizit ein, dass sie nicht aus Roddenberrys eigenem Antrieb geschah, sondern nur als notwendig erscheinende Reaktion auf ein sich wandelndes gesellschaftliches Frauenbild.
Durchaus progressiv ist hingegen, dass überhaupt Liebe und Sexualität zwischen verschiedenen Spezies verhandelt wurden. In der Episode „Metamorphosis“ steht sogar die Liebe zwischen einem Menschen und einem nicht humanoiden Energiewesen im Mittelpunkt, das letztlich allerdings in den Körper einer sterbenden Frau eindringen muss, um diese Liebe auch für den Mann befriedigend leben zu können. Zudem war Star Trek stehts „bemüht, herüberzubringen, dass vorehelicher Geschlechtsverkehr im Prinzip nichts Schlimmes war“. Anders hätten sich alle die stets auf eine Episode beschränkten Liebschaften Kirks auch kaum erzählen lassen.
In der Episode „Metamorphosis“ wird außerdem die Relevanz des Geschlechts von AkteurInnen betont. Denn zunächst nehmen die Crew-Mitglieder wie selbstverständlich an, dass das recht formlose Energiewesen auf dem fremden Planeten männlichen Geschlechts sei. Diese Annahme ist sogar so selbstverständlich, dass sie nicht einmal ausgesprochen und thematisiert werden muss. Doch als sie erkennen, dass es sich tatsächlich um ein weibliches Wesen handelt, erklärt Spock: „The matter of gender could change the entire situation“. Wenn Kirk daraufhin allerdings sogleich feststellen zu müssen glaubt, dass „the idea of male and female are universal constants“, irrt er gründlich, wie man nicht erst heute weiß. Auch fabulierte etwa die SF-Autorin Naomi Mitchison schon einige Jahre vor Roddenberrys Idee von fremdartigen Geschlechtern. Immerhin aber wird auch Kirk wenige Episoden später eines anderen belehrt. Denn in der humoristischen Episode „The Trouble with Tribbles“ stößt er auf die titelstiftende Spezies, deren Angehörige nicht nur bisexuell sind, sondern auch noch schwanger geboren werden, was Dr. McCoy zu der launischen Bemerkung veranlasst, das sei „quite a time safer“. Ob Kirk sich da allerdings noch an die vermeintliche Universalität der zwei Geschlechter erinnert, ist ungewiss.
Zu Beginn der allerletzten, durchaus misogynen Episode „Turnabout Intruder“ wird Kirk schließlich sogar durch einen Körpertausch in einen weiblichen Körper versetzt und lernt so die „indignity of being a woman“ kennen. Die deutsche Synchronisation tilgt den zentralen Geschlechterbezug allerdings und übersetzt, er begreife nun vielleicht, „was es heißt, gedemütigt zu werden“. Die deutsche Untertitelung ist da schon passender: Nun erlebe er „die Erniedrigung, eine Frau zu sein“. Allerdings spielt die Erfahrung, die der Mann Kirk im Körper einer Frau macht, in der weiteren Handlung der Episode keine größere Rolle mehr. Denn sein Dasein als Frau tritt gegenüber demjenigen der Frau im Männerkörper Kirks ganz in den Hintergrund. Schliecker lässt zu Recht kaum ein gutes Haar an dieser völlig verunglückten Episode und moniert, „wie wenig ernst die Macher das Spiel nahmen“. Doch was das misslungene Spiel mit den Geschlechterkonstruktionen betrifft, erweist auch er sich nicht als besonders feinsinnig und befindet, Shatner habe die Frau Lester im Körper des Mannes „mit teils subtilen, teils deutlichen Unterschieden zu Kirk“ gespielt. Tatsächlich bedient sich Shatner zur Darstellung der Frau im Körper eines Mannes ausgiebig misogyner Weiblichkeitsklischees. Für Schliecker aber zählt es schon zu den – wie er sagt, vom Drehbuch plattgewalzten – „Nuancen“ des Geschlechterspiels, wenn Shatner sich die Nägel feilt.
Hingegen brilliert Schliecker immer wieder mit seinem offenbar in langen Jahren zusammengetragenen Hintergrundwissen zu den einzelnen Episoden. Positiv hervorzuheben ist auch, dass es sich bei dem Autor zwar ganz zweifellos um einen großen Star Trek-Fan handelt, er darum allerdings keineswegs blind für die diversen Schwächen etwa einzelner Episoden ist.