Das Frauenstimmrecht ist nicht genug!

Kristina Schulz, Leena Schmitter und Sarah Kiani haben eine Quellensammlung zur Neuen Frauenbewegung in der Schweiz herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der berühmte Tomatenwurf Sigrid Rügers auf einer SDS-Delegierten-Konferenz im Herbst 1968 gilt als symbolischer Startschuss für den Aufbruch der deutschen Frauenbewegung. Wann und wie aber entstanden die anderen deutschsprachigen Frauenbewegungen? Die Österreichs und die der Schweiz? Über Letzteres kann man sich nun in der von Kristina Schulz, Leena Schmitter und Sarah Kiani herausgegebenen Dokumentensammlung „Frauenbewegung. Die Schweiz seit 1968“ informieren. Es lässt sich dabei zugleich lernen, dass die Schweizer Frauenbewegung, dem Land gemäß, keineswegs nur deutschsprachig war, was wiederum einige Auswirkungen auf ihre Vielfalt hatte.

Wie die Herausgeberinnen eingangs informieren, orientiert sich die „Konzeptionalisierung des Quellenteils“ ihrer Publikation zwar an der von Ilse Lenz edierten Quellensammlung der Frauenbewegung in der BRD, doch unterscheidet sich die Schweizer Publikation von dieser nicht zuletzt dadurch, dass sie darüberhinaus einen Archiv- und Bestandsführer bietet.

Ziel des Bandes ist es nicht nur, „den Strukturwandel der Frauenbewegung zu dokumentieren“, sondern eben auch der bereits angesprochen „Vielfalt“ der Schweizer Frauenbewegung gerecht zu werden. Darum liegt der Publikation ein breites „Feminismus-Verständnis“ zugrunde, das es nicht nur erlaubt, das „spannungsreiche Wechselspiel zwischen Innovation und Kontinuität feministischen Handelns“ einzufangen, sondern auch „Merkmale, Themen, Ereignisse und Äußerungsformen der Bewegung zu profilieren“.

1968 begannen junge Schweizer Feministinnen erste Netzwerke der Frauenbewegung zu knüpfen. Wie sie und ihre Nachfolgerinnen bis in die Gegenwart hinein an diesem Netz fortwirkten und -wirken und wie sich das Netz dabei nicht nur vergrößerte, sondern auch veränderte, macht die Quellensammlung des Bandes sichtbar.

Schult, Schmitter und Kiani haben den Band in zwei Teile und einen Anhang untergliedert. Der erste und umfangreichste Abschnitt enthält die Quellendokumentation, die nicht nur einen Blick in die wichtigsten Transformationen und Umgestaltungen der Frauenbewegung von 1968 bis 2011 bietet, sondern zudem die dokumentierten Quellen ausnahmslos annotiert. Es ist dieser Teil, der das eigentliche Herz des Buches bildet. Im zweiten Teil werden Archive und Bestände sowie Spezialbibliotheken zum Thema verzeichnet. Der Anhang schließlich bietet eine Chronologie der „Entstehung und Formierung“ der Schweizer Frauenbewegung im vorgestellten Zeitraum sowie eine „Bibliographie publizierter Quellen und grauer Materialien“. Den beiden ersten Teilen haben die Herausgeberinnen jeweils eine erläuternde Einleitung vorangestellt. Diese Einleitungen sind zumindest ebenso erhellend wie die Quellen selbst. Die Frauenbewegung wiederum wird von den Herausgeberinnen in vier sich teilweise überlappende Phasen gegliedert: „Formierung, Mobilisierung und Vernetzung“ (1968-1978), „Neuausrichtung und Reorganisation“ (1975-1981), „Professionalisierung und Pluralisierung“ (1981-1996) „Rechtliche Verankerung, dauerhafte Organisation und globale Vernetzung“ (1995-2011).

Weit stärker noch als die Mehrsprachigkeit der Schweiz wirkte sich eine andere Besonderheit des Landes auf die heimische Frauenbewegung aus. Im Unterschied zu anderen westlichen Ländern erhielten die Frauen in dem Alpenland erst zu Beginn der 1970er-Jahre das Wahlrecht. Nun ist es zwar wenig erstaunlich, dass Feministinnen auch in der Schweiz schon seit dem 19. Jahrhundert für dieses Recht stritten, doch die Neue Frauenbewegung grenzte sich gerade hiervon nicht nur dezidiert ab, sie erwuchs geradezu aus dieser Abgrenzung, indem sie unter dem Motto „Das Frauenstimmrecht ist nicht genug!“ Protestaktionen auf Veranstaltungen der sich für das Frauenstimmrecht einsetzenden älteren Frauenorganisationen durchführte. Es dauerte bis Mitte der 1970er-Jahre, bis sich die so entstandenen beiden Flügel der Schweizer Frauenbewegung im Zuge der Kampagne für die 1981 schließlich erfolgte verfassungsrechtliche Gleichstellung einander annäherten. Als zweite zentrale Kampagne dieser Zeit nennen die Herausgeberinnen „das Ringen um die Liberalisierung der Abtreibung“, womit natürlich die Liberalisierung des Abtreibungsrechts gemeint sein dürfte.

In den 1980er- und beginnenden 1990er-Jahren vollzog sich innerhalb der Frauenbewegung ein mit einem Generationenwechsel einhergehender Strukturwandel. Die jungen Feministinnen dieser Zeit hingen nicht mehr wie ihre aus der 68er-Bewegung hervorgegangenen Vorkämpferinnen einer „grossen Utopie“ an, sondern verstanden sich als „Glieder einer selbstbestimmten Bewegung, die ohne Hierarchien und unabhängig von staatlichen Strukturen agieren wollte“. Inhaltlich standen nun „Debatten über neue genetische und reproduktive Technologien, über Verwissenschaftlichung feministischer Diskurse sowie über Vor- und Nachteile einer Strategie, die auf die Herausbildung überregionaler und über nationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen (NGOs) setzte“, im Mittelpunkt.

Mitte der 1990er-Jahre wurden zentrale Forderungen der Frauenbewegung etwa im Bereich des Sexualstrafrechtes, der Verfolgung sogenannter häuslicher Gewalt und der Opferhilfegesetze rechtlich verankert. Doch „dieser positiven Bilanz im Bereich der Gesetzgebung standen negative Erfahrungen im politischen Alltag entgegen“, wie die Herausgeberinnen feststellen müssen. Herrenrechtsbewegungen und „längst überwunden geglaubte Mütterlichkeitsideale“ erstarkten. So forderte etwa der 1967 geborene SVP-Politiker René Kuhn 2010 in einem Buchtitel „Weg mit Mannsweibern und Vogelscheuchen“. Im gleichen Jahr gründete er die Schweizer „Interessengemeinschaft Antifeminismus“, die sich dem Kampf „gegen den Feminismus und seine untragbaren Folgen“ verschrieben hat, wie die Herausgeberinnen des vorliegenden Buches aus deren Webauftritt zitieren.

Abschließend sei noch eine kleine formale Kritik vermerkt: Der Druck der „Quellenbeispiele“ und der sie erläuternden Ausführungen ist sehr klein und die graue Hinterlegung ersterer fördert nicht eben deren Lesbarkeit. Dessen ungeachtet haben die Herausgeberinnen mit dem vorliegenden Band eine sehr hilfreiche Handreichung für die noch in ihren Anfängen stehende analytische Erforschung der Neuen Frauenbewegung in der Schweiz erstellt.

Titelbild

Kristina Schulz / Leena Schmitter / Sarah Kiani: Frauenbewegung – Die Schweiz seit 1968. Analysen, Dokumente, Archive.
Hier und Jetzt, Baden 2014.
236 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783039193356

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