Selbst kicken macht Spaß!

Rosa Wernecke und Stine Hertel erklären dem Frauenfußball ihre Liebe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2015 verspricht ein großartiges Jahr für alle Fans des Frauenfußballs zu werden. Denn im Sommer des Jahres wird mal wieder eine Weltmeisterschaft ausgetragen. Im Vorfeld solcher Großereignisse pflegen zahlreiche einschlägige Bücher zu erscheinen, zumeist natürlich Fan-Literatur. So wird es sich vermutlich auch in diesem Fall verhalten. Die ersten Bücher sind sogar bereits auf dem Markt. Bei einem von ihnen handelt es sich nicht nur um ein Buch für, sondern auch von Fans. Die Zahl seiner LeserInnen ist noch unbekannt, dürfte die seiner Autorinnen aber um zwei, drei Zehnerpotenzen überschreiten. Es sind ihrer nämlich nur zwei: Rosa Wernecke und Stine Hertel. Wie der Titel ihrer „Liebeserklärung“ verspricht, offenbaren sie ihren LeserInnen „111 Gründe, Frauenfussball zu lieben“.

Da diese nun zwar vermutlich selbst in der ganz überwiegenden Mehrzahl bereits zu den Fans des „grossartigsten Sport der Welt“ zählen dürften, erübrigt sich das eigentlich. Aber sei’s drum. Es sind auch gar nicht Gründe, die von den Autorinnen vorgelegt werden, sondern als solche firmierende Kapitel respektive deren oft lustig gemeinte Überschriften. Vollkommen ernst gemeint ist natürlich der 64. Grund: „Wegen Birgit Prinz“. Ein anderer ist hingegen zwar inhaltlich ernst gemeint, aber vermeintlich lustig formuliert: „Weil man Blatter der alten Natter dringend ein Gatter vor sein Geschnatter knallen sollte“. Auf grammatische Korrektheit legen die Autorinnen bei der Formulierung ihrer Gründe selten Wert, wie etwa derjenige mit der Nummer 18 zeigt: „Weil wo liegt überhaupt Berlin? Wir fahren nach Köln“.

Nicht nur die Grammatik auch die Logik leidet gelegentlich unter dem selbst auferlegten Zwang zur ‚Witzichkeit‘. So ‚belegen‘ Wernecke und Hertel die in dem Grund Numero 17 aufgestellte Behauptung „Weil Frauenfußball eine Tautologie ist“ mit einem „Wortspiel“: „Tautologie bedeutet schließlich nichts weiter, als ‚dasselbe sagend‘. Fußball ist Fußball – eine Tautologie. Frauenfußball ist Fußball – eine Tautologie.“ Immerhin weisen sie diesen merkwürdigen Paralogismus selbst als „Wortspiel“ aus. Die den Autorinnen zufolge von Funktionären in den 1990er-Jahren aus Gründen der Werbeeinblendungen vorgesehene „Unterteilung“ der Frauenfußballspiele „in drei Hälften“ , wäre wiederum weder logisch noch rechnerisch möglich gewesen.

Versuchen die Autorinnen oft nur witzig zu sein, so ist ein Aphorismus des von Wernecke und Hertel zitierten britischen Literaten Oscar Wilde nicht nur witzig, sondern gewitzt: „Fußball mag ein durchaus passendes Spiel für harte Mädchen sein, als Spiel für feinsinnige Knaben ist er wohl kaum geeignet.“ In ihrem umfangreichen Endnotenapparat verweisen die Autorinnen nicht etwa auf ein Werk Wildes als Quelle, sondern auf die Hamburger Werbeagentur „Team Norden“, die eine Seite mit „333 Fußball-Zitaten, Geflügelten Worten, Weisheiten, Versprechern und Kommentaren“ ins Netz gestellt hat. Überhaupt ziehen Wernecke und Hertel fast ausnahmslos irgendwelche Webseiten als Belege ihrer Zitate heran. Auf die Originalquellen greifen sie hingegen kaum einmal zurück. Gemeinsam mit dem kunterbunten Durcheinander ihrer – zugegebenermaßen zahlreichen (teils relevanten, teils durchaus belanglosen) und kenntnisreichen – Informationen rundum dem Frauenfußball lässt dies den Eindruck entstehen, als hätten sie einfach mehr oder weniger willkürlich zusammengetragen und aneinandergereiht, worauf das Web sie gerade stoßen ließ: Geschichte und Geschichten, Essentielles und Belangloses, viele Anekdötchen und noch mehr Dönekens. Sollte dahinter etwa die Überzeugung stecken, dass „man sich unnütze Informationen immer noch am besten merken kann“, wie Grund Nr. 71 behauptet?

Jedenfalls ist das Buch mit seinem wahllosen Informationssammelsurium dem Laienlexikon Wikipedia nicht unähnlich, auf das die Autorinnen denn auch gerne verweisen. Ob alle die unzähligen Belanglosigkeiten, mit denen das Buch seine Seiten füllt, zutreffend sind, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten. Relevantere Tatsachenbehauptungen sind immerhin in aller Regel korrekt.  Aber – sorry – Abby Wambachs Kopfballtor gegen Brasilien fiel nicht im Finale, sondern im Viertelfinale der WM 2011.

Schwerwiegender als eine solche Lappalie ist allerdings, dass die Autorinnen gelegentich ehrabschneidende Gerüchte ventilieren und dabei nicht einmal eine Quelle nennen. So etwa, wenn sie von einem ehemaligen DFB-Präsidenten behaupten, dass ihm „immer wieder eine Nähe zum Naziregime nachgesagt wird“, oder dass ein ebenfalls namentlich genannter Bundesligatrainer „mehrere Spielerinnen auf unterschiedliche Art und Weise sexuell belästigt haben“ soll. So etwas schreibt man nicht einfach einmal so dahin, ohne zumindest die Existenz der Gerüchte und Vorwürfe zu belegen und zu bewerten. Die ebenfalls unbelegte Behauptung, dass die Spielerinnen im Falle des Trainers „alle, vielleicht auch unter dem Druck der Teamkolleginnen, die Vorwürfe wieder zurück“ nahmen, macht es nicht eben besser.

In gewisse dunkle Ecken des Frauenfußballs lassen die Autorinnen wiederum nur ein eher schwaches Licht fallen. Die Schauspielkünste der brasilianischen Nationalspielerin Erika in besagtem WM-Viertelfinale gegen die USA oder die zunehmende Pornofizierung des Frauenfußballs etwa durch die Nacktaufnahmen deutscher und brasilianischer Spielerinnen des jeweiligen Nationalteams respektive im Falle der deutschen eines U-Nationalteams in Sexmagazinen oder der ebenfalls für ein Sportmagazin nackt posierenden Torhüterin der US-Mannschaft Hope Solo sind ja auch schwerlich Gründe, den Frauenfußball zu lieben. Zwar vermerken die Autorinnen, dass sich deutsche Fußballerinnen für den „Playboy“ auszogen, doch vermeiden sie sorgfältig jede Kritik an den betreffenden Frauen, sondern geißeln lieber die „kapitalistische Ausbeutung des Spielerinnenkörpers“. Letzteres natürlich nicht zu Unrecht.

Nicht nachvollziehen lässt sich hingegen, warum die „magische“ Spielweise Martas wiederholt über den grünen Klee gelobt wird, ohne dass die Autorinnen weiter auf die unendliche Kette eklatanter Unsportlichkeiten der brasilianischen „Magierin“ und „Queen of Dribble“ eingehen würden, die sich zuletzt noch nach der Veröffentlichung des Buches beim Algave Cup 2015 eine hässliche Tätlichkeit gegen die deutsche Nationalspielerin Leonie Maier erlaubte. Doch statt Kritik an Marta zu üben, beschimpfen Werneke und Hertel lieber das deutsche Publikum, das die Brasilianerin wegen ähnlichen Unsportlichkeiten während der WM 2011 auspfiff, als „Hund, der aus Reflex den Postboten ankläfft“.

Dass es aber auch durchaus möglich ist, Negatives anzusprechen, ohne dass es der Liebe zum Frauenfußball Abbruch tut, zeigen Wernecke und Hertle mit ihrer Anklage der Lesbenfeindlichkeit etwa von männlichen Funktionären oder auch der nigerianischen Nationaltrainerin Eucharia Uche. Hier von „Homophobie“ zu sprechen, ist allerdings verharmlosend.

Doch selbstverständlich setzt ihr Buch – wie ja jede Liebeserklärung – nicht mit solcher oder überhaupt einer Kritik am Gegenstand seiner Liebe ein. Vielmehr werfen die Autorinnen zu Beginn einen Blick in die „Steinzeit“ des Fußballs, in der es Frauen noch verboten gewesen sei, es den Männern gleich zu tun und ebenfalls zu kicken. Dieses Verbot habe in Deutschland bis Anfang der 1970er-Jahre gegolten. Doch Frauen spielten natürlich auch zuvor schon allerorten. Dass Frauenfußball – wie die Autorinnen schreiben – bis dahin „illegal“ war, stimmt nämlich nicht so ganz. Denn das Strafgesetzbuch enthielt keineswegs einen Paragraphen, der ihn unter Strafe stellte. Allerdings hatte der Deutsche Fußballbund (DFB) den ihm angeschlossenen Fußballvereinen (und das waren praktisch alle) verboten, Frauen auf ihren Plätzen spielen zu lassen. Dies geschah selbstverständlich aus reiner Fürsorge. Denn die Herren Funktionäre fürchteten, die Gebärmutter könnte den Kickerinnen beim Tritt gegen den Ball verrutschen. Jedenfalls schützten sie derlei Unsinn vor und natürlich ließen sich Ärzte und Wissenschaftler finden, die ihnen beflissen bestätigten, dass es gegen die Zartheit der weiblichen Natur verstoße, einen solchen Kampfsport zu betreiben.

So stimmt es auch nicht ganz, dass Frauen, wie soeben behauptet, allerorten kickten. Aber doch auf jeder Wiese und auf jedem Acker – und auf städtischen Sportplätzen, die sich an die Weisungen des DFB natürlich nicht zu halten brauchten. ‚Nur‘ die Fußballfelder der Vereinen blieben ihnen verschlossen.

Anfang der 1970er-Jahre war es dann endlich soweit, die Fußballerinnen wollten ihren eigenen Dachverband gründen. Da ruderten die DFB-Herren geschwind zurück und gestatteten es ihren Vereinen doch, den Frauen ihre Plätze zur Verfügung zu stellen. Die Freude war natürlich groß. Womöglich wäre es aber von heute aus gesehen doch besser für den Frauenfußball gewesen, die Spielerinnen hätten sich damals nicht dem DFB  und somit der FIFA angegliedert. Dann bräuchten sie vielleicht ihre Weltmeisterschaft in Kanada auch nicht auf Kunstrasen austragen.

Dem Blick in die „Steinzeit“ folgt ein Kapitel, in dem die Autorinnen berichten, „was weiter geschah“. Sodann führen sie die LeserInnen in verschiedene Vereinshäuser, reisen mit ihnen ins „Mutterland des Fußballs“, hämen zu Recht, dass die deutsche Frauenelf für ihre erste Europameisterschaft in den 1980ern mit einem Kaffeeservice beglückt wurde, während die Herren Kicker schon damals Summen mit etlichen Nullen vor dem Komma einstreichen durften. In einem weiteren Abschnitt wenden sich Wernecke und Hertel „Fragen“ zu, „die uns alle beschäftigen“, wie zum Beispiel: „Was sind das für Mädchen und warum machen die das“. Eine ebenso schöne wie kurze und bündige Antwort bieten sie im Titel des nächsten Abschnitts „Wir machen alles, was wir wollen“, bevor sie sich abschließend der „Zwölften Frau“, mithin dem Publikum, zu wenden.

All das ist in einem lockeren, oft allzu flockigen Stil geschrieben, der das Buch auf Dauer zu einer manchmal recht anstrengenden Lektüre macht. Doch eins ist sicher, ungeachtet aller hier vorgebrachten Kritik dürften fußballverrückte Mädchen in helle Begeisterungsschreie ausbrechen, wenn sie es zu ihrem 13. Geburtstag auf dem Gabentisch finden. Alle anderen sind vielleicht doch mit dem 2011 erschienenen Band „Frauenfußball – Vom Abseits an die Spitze“ von Rainer Hennies und Daniel Meurer besser bedient, ohne dass dieser allerdings seinerseits frei von nicht immer geringen Mängeln wäre. So bleiben Hennies und Meurer etwa in Sachen Geschlechtersensibilität und Genderkompetenz weit hinter Wernecke und Hertel zurück.

Titelbild

Rosa Wernecke / Stine Hertel: 111 Gründe, Frauenfussball zu lieben. Eine Liebeserklärung an den großartigsten Sport der Welt.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2014.
296 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783862654055

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