Bilder der Apokalypse

Jürgen Kaumkötter hat die Kunst in Konzentrationslagern und Ghettos recherchiert

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt kaum ein bedrückenderes – aber auch notwendigeres – Buch als dieses. Über 15 Jahre hat der Kunsthistoriker und Historiker Jürgen Kaumkötter in Gedenkstätten, Archiven und Privatsammlungen geforscht und Kunst aus den Konzentrationslagern und Ghettos recherchiert,  heute weitgehend unbekannte Künstler wiederentdeckt und Arbeiten zusammengetragen, die als Zeugnis, Überlebenshilfe,  Rekonstruktion und Denkmal eine vielfache Funktion haben. Kunst als ein Überlebensmittel.

Die Künstler aus Auschwitz, Bergen-Belsen oder Theresienstadt sind nie in den  Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen worden. Der von den Nazis deportierte jüdische Maler Felix Nussbaum ist einer der wenigen, die heute weitgehend bekannt sind. Sein „Selbstbildnis mit Judenpaß“ ist eine Ikone der nationalsozialistischen Verfolgung geworden. Aber auch seine künstlerische Qualität ist immer wieder auf seine Extremsituation im Nationalsozialismus, also auf ein Produkt seiner Mörder reduziert worden. Dabei war er bereits vorher schon ein anerkannter Künstler.

Die bildenden Künstler standen 1945 dem Völkermord und dem alles zerstörenden Krieg erst einmal sprachlos gegenüber. Das grauenvoll Erlebte blieb undarstellbar. Erst als sie eine Übersetzung gefunden hatten, als sie von einer Produktions- in eine Rezeptionsästhetik der nachfolgenden Generation wechselten, so Jürgen Kaumkötter, fanden sie ihre Sprache wieder. Sie stellten nicht das Undarstellbare dar, sondern übertrugen das Erlebte in eine für den Betrachter versteh- und ertragbare Form. Die Arbeiten, die im Konzentrationslager entstanden waren, hatten die Realität noch direkt, unmittelbar, ohne jede Symbolsprache wiedergegeben. Erst nach ihrer Befreiung benutzten die Künstler Symbole und Metaphern, diese waren aber so übermächtig, dass sie die Bilder fast grotesk wirken ließen. Die Sinnbilder waren nicht mehr kongruent mit dem Inhalt – ein Zeitphänomen, das nicht nur die künstlerischen Medien betrifft. Die Künstler trauten ihrer eigenen Sprache nicht mehr. Die Werke waren ein stummer Schrei oder in ihnen waltete ein Manierismus des Grauens.

Otto Schuberts „Auschwitz-Triptychon“ (um 1960) zeigt auf der linken Seite einen sich eine Zigarette anzündenden Mann, der gerade eine Frau vergewaltigt hat, die nackt, geschändet vor ihm auf dem zerwühlten Bett liegt. Derselbe SS-Mann droht im mittleren Bild mit erhobener Reitgerte einer den Himmel beschwörenden mosaischen Figur, während um sie herum sich grauenhafte Szenen des Tötens und Sterbens abspielen. Auf der rechten Tafel ziehen Häftlinge tote Körper aus der Gaskammer. Schubert, selbst KZ-Überlebender, lässt dem Betrachter, so schreibt Kaumkötter, „keinen Platz für seine Empfindungen, erstickt ihn im Grauen“.

Der Verfasser untersucht in seinem Buch die Kunst in Auschwitz 1940-1945 und stellt erschütternde Werke vor: Auf Czeslaw Kaczmarczyks Aquarell  „Nachtszene“ (1943-44) flieht ein Mann entlang einer Mauer, hinter der Häuser im Dunkeln liegen (nur ein Fenster ist erleuchtet), vor  unsichtbaren Verfolgern. Wlodzimierz Siwierski zeigt in der Bleistiftzeichnung „Regulierung der Sola 1“ (1940), wie ausgemergelte Häftlinge mit Spitzhacken und Schaufeln einen Wassergraben ausheben müssen. Halina Olomucki skizziert mit Bleistift einen zu allem entschlossenen „Widerstandskämpfer in Auschwitz“, während Wincenty Gawron eine Karikatur des SS-Offiziers Karl Fritsch und seiner menschenverachtenden Haltung angefertigt hat (1942).

Auftragsarbeiten der SS-Schergen sicherten manchen Künstlern ein Stück Überleben. Polnischen Häftlingen war es gelungen, im Stammlager Auschwitz ein Lagermuseum einzurichten. Die Mitglieder des Arbeitskommandos Malerei waren privilegierte Häftlinge, sie konnten sich mit ihren Auftragsarbeiten für die SS ein Stück Leben erkaufen, einen Teil persönliche Integrität und Freiheit bewahren.

Mieczyslaw Koscielniaks Radierungen „Die Operation eines Mannes“ (1944) – ein Häftling wird vom Arzt Dr. Jan Gabczynski im Krankenlagerbau operiert – sind Porträt, Genrebild, Zeugnis und ein versteckter Akt des Widerstands zugleich. In der Kohlezeichnung „Erledigt“ (1942) desselben Künstlers marschiert ein SS-Mann davon, einen zu Boden geprügelten Häftling hinter sich lassend. Waldemar Nowakowski lässt in seinem  Aquarell  „Vor der Gaskammer“ eine verzweifelte Mutter mit ihren beiden Kindern den nahen Tod ahnen.

Entsetzen auslösende Menschenbilder aus Auschwitz, Bilder über das Leiden und Sterben – „Rückkehr von der Arbeit“ (auch tote Häftlinge mussten vom Arbeitseinsatz wieder ins Lager zurückgebracht werden) oder „Auswahl – jeder Zehnte“ (den Tod trifft jeder Zehnte in der Reihe) – hat Nowakowski viele geschaffen. Dem Porträt „Krystyna Madej“ (1944) verlieh Jan Markiel den Charakter eines Sehnsuchtsbildes: Der Künstler hat aus dem Fenster seiner Baracke dieses Mädchen, deren Familie den Häftlingen half, nur aus der Ferne gesehen und war von ihren strahlend blauen Augen beeindruckt. In ihr verkörpert er nun seine Hoffnung auf das Überleben. Sein „Selbstbildnis mit Pinsel“ (1930er Jahre) ist Marian Ruzanski Ausdruck seiner künstlerischen Besessenheit, seine  „Auschwitz-Mappe“  – Kaumkötter bezeichnet sie als „polnisches Guernica“ – enthält erschütternde Porträts von Häftlingen, denen die alltägliche lebensbedrohende Realität von Auschwitz ins Antlitz eingeschrieben ist.

In einem beonderen Kapitel widmet sich Kaumkötter Peter Kien und Peter Weiss, die sich 1937 als Studenten der Kunstakademie in Prag kennen lernten. Kien rettete für Weiss, der 1939 nach Schweden fliehen konnte, dessen Prager Bilder (doch 2005 wurden fast alle Kunstwerke von Peter Weiss aus einem schwedischen Museumsspeicher gestohlen), wurde selbst 1941 nach Theresienstadt deportiert und malte und dichtete dort weiter. Wenn er Szenen des Lageralltags in Zeichnungen festhielt, waren es kleine Geschichten, die nur sehr entfernt die Bedrohung sichtbar werden lassen. In ausdrucksstarken Porträts, auch in Karikaturen gab er den Traum der Porträtierten wieder, eine zarte Ironie voller Menschenliebe. Das Grauen des Lagers findet sich dann in seinen Gedichten wieder. In Auschwitz überlebte Kien zwar die Selektion, starb aber Ende 1944 vermutlich an einer Infektion.

Mit Recht verweist der Verfasser darauf, dass sich Peter Weiss in seinen Bildern – etwa „Maschinen greifen die Menschheit an“ (1935), „Das große Welttheater“ (1937), „Die Kannibalenküche“ (1942) oder „Obduktion“ (1944), die Metaphern für das Menschenschlachthaus des Krieges sein könnten – vorrangig mit seinen Selbstzweifeln, seinem unentschiedenen Leben beschäftigte und die dramatischen Ereignisse der aufziehenden Katastrophe nur den Hintergrund darstellen. Allein „Parade“ (1945) und „Der Krieg“ (1946) sind eindeutig in ihrer politischen Richtung, sie sind zugleich die Vorboten von Weiss’ späteren Collagen. Und doch wird man wohl seinen apokalyptischen Weltuntergangsbildern nicht den Rang einer visionären Vorausschau absprechen können.

Dem in Auschwitz ermordeten Künstler Felix Nussbaum wiederum ist in der wissenschaftlichen Literatur eine Art rückwärtsgewandte Prophetie, eine allwissende Voraussicht unterstellt worden. Kaumkötter wendet dagegen ein, dass Nussbaum nach 1938 aber nicht passiv seine Lebenssituation ins Bild bannen wollte, es ging ihm um mehr, als nur „Beweisstücke“ für den Holocaust zu schaffen. Nussbaum begann sich jetzt erstmals mit politischen Phänomenen zu befassen, die gesellschaftliche Gegenwart zu reflektieren. Er wurde vom reagierenden zum agierenden Künstler, er schuf nicht „Opferkunst“, sondern Widerstandskunst, wobei er mit Symbolen und Allegorien arbeitete. Sein „Selbstbildnis mir Judenpass“ ist Porträt, aber auch ein Ausdruck der Zeit, ein Historienbild, eine Allegorie der NS-Verfolgung, ein Sinnbild der Shoa. Nussbaum weist hier seinen Pass mit dem Judenstempel vor und hebt zudem den Aufschlag seiner Jacke an, um auch den Judenstern zu zeigen. Er schaut dem Betrachter direkt ins Gesicht. Er kehrt die Stigmatisierung als Jude um, der Betrachter wird in die Rolle des ihn Kontrollierenden, des Überwachers, des Täters versetzt. „Die Verdammten“ (1944) wissen, was ihnen droht: Die Särge tragenden Untoten im Hintergrund zeigen es ihnen an. Von den ihre Gefühle offenbarenden „Verdammten“ hebt sich Nussbaum mit einem Selbstbildnis ab, er ist Zeuge des Geschehens, was er malt, hat er erlebt und – jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt – überlebt. War „Der Triumph des Todes“ (1944), der immer apokalyptisch und immer retrospektiv gedeutet wurde, wirklich Nussbaums letztes Bild? Er hat sich nicht mit dem Tod abgefunden, sondern wollte – auch als er die Hölle von Auschwitz erlebte – bis zuletzt leben.

Kaumkötter geht auch dem Schicksal der tschechischen Künstlerin Dinah Gottliebova nach. Sie musste im KZ Auschwitz für die SS-Lagerärzte Lucas und Mengele Porträts von „Zigeunern“ und Nona-Kranken anfertigen, die als Opfer zu deren verbrecherischen „massenkundlichen“ Studien herangezogen wurden. Dinah Gottliebova widersetzte sich diesen Absichten und zeigte eindrucksvolle Individuen, keine abschreckenden Stereotype. Sie schuf eigenständige Kunstwerke von bedrückender Schönheit. Für sie waren es Zeichnungen des Überlebens. Würde das Museum Auschwitz-Birkenau in Oswiecim diese Porträts zurückgeben müssen, wäre das, schreibt Kaumkötter, „eine Folge ohne Ende“, man müsste dann alle Arbeiten, die einem Künstler zugeschrieben werden können, zurückgeben.

Otto Pankoks Zyklus „Passion“ (1933/34) – 60 großformatige Kohlegemälde zur Leidensgeschichte Jesu – muss als ein Akt der künstlerischen Opposition gegen die Nationalsozialisten verstanden werden. Die Menschen in der „Passion“ sind nicht biblische Figuren, sondern die verfolgten Freunde Pankoks, Juden und Sinti. Alle Werke, die Pankok nach 1937 schuf, konnten bis 1945 nicht öffentlich gezeigt werden. 1940 schuf er Kohlezeichnungen, die die NS-Verbrechen an den Juden schonungslos wiedergeben. 1948 entstand ein ganzes Konvolut großformatiger Kohlezeichnungen der überlebenden Sinti. Das Kohlegemälde  „Aus Auschwitz zurück“ (1948) zeigt eine verstörte junge Frau, eine Auschwitz-Überlebende, die 15 Jahre lang in Lagern verbracht, nie eine Schule besucht hatte – ihre Kinderzeichnungen aus dem Lager bilden den Hintergrund –, während in „Gaisa am Boden“ (1948) diese junge Frau zusammengesunken in einer Ecke kauert. Schon 1940 hat Pankok an der Gruppe der Kleinplastiken des „Gelsenkirchener Mahmals/Jüdischen Ehrenmals“ zu arbeiten begonnen. Die Figuren, chassidische Juden, lauschen einem Geiger im langen Mantel.  Dem auf den ersten Blick friedvollen Bild ist das Schicksal jedes Einzelnen eingeschrieben.

Höllenstürze, Pietas und die Apokalypse zeigen den Schrecken des Holocaust in Metaphern. Max Beckmanns Steinzeichnungen zur Apokalypse, aber auch  „Der Traum des Soldaten“ (1942, Öl a.Lw.) oder „Les Artistes mit Gemüse“ (1943, Öl a.Lw.), metaphorisch verschlüsselt, müssen genannt werden. Das Exil wurde Beckmanns produktivste Zeit, ein Drittel seines Gesamtwerkes entstand in Amsterdam.

Bis in die 1960er-Jahre nutzten die Künstler lediglich einige Motive der christlichen und antiken Ikonografie für ihre Bilder sowie wenige Metaphern, die das grauenvoll Erlebte umschreiben. Höllenstürze, Pietas und die Apokalypse waren unverfänglichere Setzungen, der Schrecken geht auf Metaphern zurück, mit der man der Wirklichkeit beizukommen suchte. Kaumkötter unternimmt Exkurse in die Kunstgeschichte, geht bis zu Albrecht Dürers „Marter der zehntausend Christen“ (1508) und Tizians „Apollo und Marsyas“ (1550-1576) zurück, um zu demonstrieren, dass Opfer und Täter immer untrennbar miteinander verbunden sind: Kain und Abel, Isaak und Abraham, Laokoon und die Schlangen, Apollo und Marsyas. Das Opfer ist meist passiv, nicht heldenhaft. Der Täter manchmal eine tragische Figur und eben nicht immer das absolut Böse. Goya gelang in der Grafikserie „Schrecken des Krieges“ die Darstellung von etwas eigentlich Undarstellbarem und Unaussprechlichem. Er machte sich zum Zeugen der Kriegsschrecken und überschritt zugleich die Schwelle, die seine Bilder nicht zu einer Opferkunst, sondern zu zeitlosen Kunstwerken machte.

1947 wurde das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau in Oswiecim eingeweiht. Hier fand die Musealisierung und Strukturierung des Gedenkens  an die Opfer der NS-Terrorherrschaft  ihren Anfang, am Ort des größten Verbrechens. Das Programm anlässlich der Eröffnung des Museums wird in Kaumkötters Buch abgedruckt, ebenso der „Kleine Führer“ durch das Lager und die Ausstellungsräume. Wie konnte die Darstellbarkeit des Undarstellbaren und Unvorstellbaren gelingen? Vielleicht lag eben die Überlebenschance der Künstler höher aufgrund der Möglichkeit, sich mittels ihrer Kunst ein Stückchen Überleben zu erkaufen. Gleich nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee organisierten die Überlebenden die „Dauernde Wache des Lagers Auschwitz“, sie bauten das Museum auf, das dann ständig erweitert wurde. Heute befinden sich in der Kunstsammlung des Museums 6.000 Objekte.

Jerzy Adam Brandhuber, erster Kurator des Museums, hat seine Kohlezeichnungs-Zyklen „Vergessene Erde“, „Oswiecim I“ und „Rampe“ in der Eröffnungsausstellung gezeigt. Kaumkötter arbeitet die Unterschiede in der Figurengestaltung bei ihm, Mieczyslaw Koscielniak, Waldemar Nowakowski und Wladyslaw Siwek heraus. Kocielniaks Menschen sind noch Individuen, Brandhubers  Figuren nur noch Schemen, geisterhafte Erscheinungen, Sinnbilder für die mörderische Arbeit im Lager, für den Übergang zwischen Leben und Tod. Auch Nowakowski will keine identifizierbaren Menschen zeigen, sondern eine Allgemeingültigkeit erreichen, die über das Dokumentarische eines Beweisstückes hinausweist. Siweks Zeichnungen und Ölbilder wiederum sind illustrative, szenische Darstellungen des Lagerlebens, gezielte Anklage und  dramatische Überzeichnung kommen hier zusammen.

„Vorwärts in die Vergangenheit“ ist das nächste Kapitel überschrieben. Bei Hans Grundigs Sinnbild „Den Opfern des Faschismus“ (1946) – ein gestrecktes Breitformat ist in zwei horizontale Zonen unterteilt, deren untere zwei tote Häftlinge bestimmen – stellt Kaumkötter zwar den Bezug zu Holbeins „Christus im Grabe“ her, erwähnt aber nicht, dass der dargestellte politische Häftling die Häftlingsnummer von Grundig trägt. Er macht Grundig überhaupt zum Vorwurf, dass dieser genauso wenig wie Siwek oder Brandhuber den formalen Widerspruch von christlicher Ikonografie und politischem Sendungsbewusstsein, Agitation und Individualisierung gegenüber den Stellvertretern des millionenfachen Todes auflöse. Dabei handelt es sich hier aber um ein Doppelwerk Grundigs, die Leipziger Fassung ist die dramatischere, die Dresdener die lyrischere, stillere. In den beiden Gemälden sind die Häftlinge zu einer Gruppe gefügt: im Tode ist die Solidarität, die im Leben nur verborgen möglich war, offenbar. Die Häftlinge liegen auf einem Goldgrund gebettet, wie er auf mittelalterlichen Gemälden als Symbol der zeit- und raumlosen Existenz des Absoluten und Verehrungswürdigen zu finden ist. Im Dresdener Bild vertreten die Häftlinge in ihrer Kennzeichnung durch Davidstern und roten Winkel zwei Hauptgruppen der Opfer des Nationalsozialismus, die rassisch und die politisch Verfolgen. Der eine ist in einer Geste des Nichtverstehens erstarrt, der andere deutet mit dem Hochreißen des Kopfes eine Bewegung der Unbeugsamkeit wie des Schmerzes an. Vereinen sich in diesem Requiem Grundigs nicht Wirklichkeit und Vision in überzeugender Weise? Und dennoch ist Kaumkötter zuzustimmen, dass sich in den stummen Metaphern des Grauens eine Krise der Kunst der Nachkriegszeit manifestiert – eine große Diskrepanz zwischen Emotionalität und Thematisierung der Gewalt. Es kommt noch nicht zu einer Versöhnung von Wut und Vernunft.       

In Franz Franks Lithografien-Mappe „Träume und Wirklichkeiten“ (1947) finden sich Blätter wie  „Der Zug der Heimkehrer“ – stumm zieht ein Elendszug, von schwarzen Vögeln begleitet, durch eine Ruinenlandschaft –, „Wer hört Kassandra?“ – Kassandras Warnung vor dem Trojanischen Krieg bleibt ungehört – oder „Die apokalyptischen Reiter“ – der Tod greift sich wahllos die hilflosen Opfer des Terrors. Frank bedient sich traditioneller Elemente für die Darstellung von Krieg, Terror und Gewalt. Obwohl die Realität jedes Maß an Grauen überschritt, sah auch der englische Kriegsmaler Leslie Cole, der 1945 die Befreiung des KZ Bergen-Belsen miterlebte, keine andere Möglichkeit, als seine Bilder dramatisch zu inszenieren. Horst Strempel verarbeitete in seinem großformatigen Bild  „Nacht über Deutschland“ (1947/48) den nationalsozialistischen Alptraum und teilte Leid und Klage durch eine Umwandlung tradierter christlicher Motive mit.

In einem Vergleich von Cremers Buchenwald-Denkmal (1954/58) mit George Segals „Holocaust“-Memorial  (1982/84) sieht der Verfasser eine pathetisch-agitatorische Überhöhung auf der einen, eine immediate und berührende Wahrheit auf der anderen Seite. Beiden Mahnmalen liegen aber grundverschiedene künstlerische Auffassungen und Welten zugrunde, Für Cremer waren „Die Bürger von Calais“ Vorbild, er wollte mit seiner Figurengruppe ein Symbol für das KZ Buchenwald, für die unterschiedlichen Haltungen der Häftlinge – eben auch des Widerstandes – geben, während George Segals Werk – mehr als zwei Jahrzehnte später – das viel umfassendere Holocaust-Thema in abstrahierender Übertragung anging. Beide Werke müssen  aus dem Geist der jeweiligen Zeit heraus verstanden werden.

Eine neue Bildsprache, in der die Katastrophe des Massenmordes versinnbildlicht werden konnte, entstand dann erst durch eine junge Künstlergeneration mehr als 20 Jahre nach dem Krieg. Acht „Heroische Sinnbilder“ (1970) von Anselm Kiefer zeigen einen Mann an einem See, der die Hand zum Hitlergruß erhoben hat. Der damals 24-jährige Künstler hatte sich in einer Performance an verschiedenen Orten in Frankreich, Italien und in der Schweiz mit erhobenem Arm fotografieren lassen  („Besetzungen“). Erst 2008 wurde der Zyklus ausgestellt. Es folgten Kiefers Bildserien „Margarete“ und „Sulamith“, keine Illustrationen von Paul Celans „Todeshymne“, sondern eine eigene, zwischen Vision, mythischem Erleben und realer Erinnerung angesiedelter Bildwirklichkeit.

Yehuda Bacon wurde erst nach Kriegsende aus dem KZ befreit, er besiegte den Typhus und hielt noch auf dem Krankenbett seine Erlebnisse in Zeichnungen fest. Von einer Zeichnung zur anderen kehrte wieder das Leben in ihm zurück. Er sagte im Frankfurter Auschwitz-Prozess als Zeuge aus – und das Protokoll hat er seinen Zeichnungen beigegeben. Wenn die Betrachter so von seiner Lebensgeschichte wissen, löst das Scham bei ihnen aus. Er hält durch seine bloße Anwesenheit den Lebenden den Spiegel der eigenen Verantwortung vor.

Von der israelischen Künstlerin Sigalit Landau gibt es das Video „Barbed Hula“ (2000) – eine unbekleidete junge Frau schwingt am Strand einen Reifen aus Stacheldraht um ihre Taille, die  Verletzungen des Drahtes werden am Körper immer sichtbarer. Ein ganzes Bündel von Assoziationen dringt hier auf den Betrachter ein: Stacheldraht als Symbol des KZ, die Wunden der Frau, der Schmerz, das Gefangensein, das Spiel am Strand.

Der Cartoonist Michel Kichka gibt in seiner Text-Bild-Geschichte „Die zweite Generation“ (Köln 2014) die Beziehung zu seinem Vater Henri wieder, der Auschwitz überlebte und für den die Erfahrungen der Shoa zeitlebens präsent blieben. Der Sohn konfrontiert seine Erinnerungen und Erfahrungen mit denen des Vaters. Eine andere Geschichte wird erzählt, nicht die Erlebnisse des Vaters in Auschwitz,  sondern die des Schattens, der auf den Nachgeborenen liegt. Kann man also heute schon von einem Paradigmenwechsel sprechen, der die Akzeptanz der Kunst dieses Themas wiederherstellt? Oder wie es Kaumkötter formuliert: „Kann in der Befreiung der Emotion aus dem Gefängnis der Metaphern der Schlüssel gegen die Entmündigung dieser Kunst liegen“?

Die Künstler aus den Konzentrationslagern haben ihre Erlebnisse in Kunst gebannt und so eine Überlebensstrategie unter der Bedrohung der Verfolgung und im Exil entwickelt.

Man mag über die künstlerische Qualität einzelner Arbeiten streiten, aber für die Künstler waren sie Überlebenshilfe, Befreiung von einem lebensbedrohenden Trauma. Vor allem aber:  Sie haben das Undarstellbare für immer festgehalten. Sie haben es geschafft, dass der Tod eben nicht das letzte Wort hatte.    

Titelbild

Jürgen Kaumkötter: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945.
Galiani Verlag, Berlin 2015.
383 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-13: 9783869711034

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