Pop wird Geschichte

Mit zwei Bänden zur Popgeschichte wird ein wichtiger Anstoß für die zeitgeschichtliche Erforschung der Popkultur gegeben

Von Kristin SteenbockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristin Steenbock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis von Pop und Geschichte ist seit jeher innig. Im Laufe der letzten 50 Jahre hat sich ein permanent aktualisierender Zugang von Pop auf seine eigene Geschichte derart verfestigt, dass die Rede von einer Popgeschichte leicht missverstanden werden kann. Denn die Geschichte des Pop resultierte bisher aus immanenten Reflexionen, die aus nostalgischen Beweggründen die Flucht in die Archive antrat. Retromanie und Verklärung standen dabei stets im Zeichen von Pop als Gegenwartskultur. Pop durfte zwar zurückblicken, jedoch allein im Zeichnen der Wiederholung und der Aktualisierung.

Es ist nicht Aufgabe der Historiographie, die Gegenwart zu erforschen, sondern vor allem Aspekte der Gegenwart aufzugreifen, die auf die Vergangenheit verweisen. Dass Pop ein Gegenstand der Zeitgeschichte darstellt, besaß bis zuletzt in der deutschen Geschichtsschreibung anscheinend keine Plausibilität. Zu dicht und unabgeschlossen lag das Phänomen bislang fest in den Händen von Feuilleton und Kulturwissenschaft, Massenmedien und Pop-Intellektuellen. Pop war auf seinem Marsch durch die Institutionen an den Historikern bislang vorbeigegangen.

Die beiden von Alexa Geisthövel, Bodo Mrozek und Jürgen Danyel nun herausgegeben Bände zur Popgeschichte sollen dieses Versäumnis der deutschsprachigen Historiker nachholen. Programmatisch will man den Nichthistorikern, die sich mit Popgeschichte befassen, durch Ernüchterung und Distanzierung als Korrektiv dienen, auf dem Gebiet des zeithistorischen Zugriffs auf Pop einen Anfang machen, der Diskussionen, Ergänzungen und Folgeprojekte anzustoßen vermag. Die Notwendigkeit der historischen Betrachtung von Pop liegt dabei nicht auf Seiten der Popkultur selbst, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass die jüngste Geschichte ohne Pop nicht zu denken ist. Pop ist kein Nischenphänomen, sondern ist als signifikanter Bestandteil von Gesellschaft zu behandeln: „Ohne Pop keine Zeitgeschichte“ – das ist die Haltung der beteiligten Historiker, die nun Schule machen soll.

Der erste Band der Popgeschichte ist als theoretisch angelegter Sammelband konzipiert, der von den Cultural Studies über Körper-, Gender- und Konsumgeschichte bis zur Sound History verschiedene Zugänge zur Popkultur vorstellt und den zweiten, empirisch ausgerichteten Band methodisch flankiert. Vom Begriff „Theorie“ wird in der Titelgebung jedoch mit Bedacht abgesehen. Um sich vom Theoriehype der Nachbardisziplinen abzugrenzen, verhandelt man im ersten Band „Konzepte und Methoden“, die Perspektiven und Deutungshorizonte eröffnen sollen. Neun Beiträge, allesamt wohlstrukturiert und mit Fazit versehen, werden um einen „hidden track“ ergänzt, der dem kritisch-historischen einen emphatischen Zugang zur Popgeschichte neben stellt.

Der zweite Band versammelt zeithistorische Fallstudien und nimmt damit die vier Jahrzehnte zwischen 1958-1988 in den Blick. Er bemüht sich, die Anschlussfähigkeit der neu gewonnenen Forschungsperspektive exemplarisch aufzuzeigen. 17 umsichtig und hervorragend recherchierte Aufsätze geben einen Einblick in das, was Popgeschichte leisten kann: Die Beantwortung originärer Fragen auf breiter empirischer Quellengrundlage. Die einzelnen Beiträge gehen auf die im November 2011 stattgefundene Tagung „PopHistory. Perspektiven einer Zeitgeschichte des Populären“ in Berlin zurück und zeichnen in chronologischer Abfolge ein punktuell ausgewähltes Bild der Popkultur bis 1988.

Dass diese Auswahl unvollständig ist, liegt in der Natur der Sache begründet. Dass der eindeutige Schwerpunkt der Sammlung auf Phänomene der Pop-Musik liegt, hätte jedoch unter Umständen verhindert werden müssen. Auch wenn explizit im ersten Band darauf hingewiesen wird, dass keine endgültige Definition von Pop als Gegenstand der Geschichtswissenschaft geliefert werden soll, legt diese Auswahl doch ein Verständnis von Pop-Kultur als erweiterte Pop-Musik nahe. Als Pionierarbeit und als Anstoß für weitere Forschungsbeiträge zeigt sich das Projekt jedoch im Ganzen als gelungen.

Titelbild

Alexa Geisthövel / Bodo Mrozek (Hg.): Pop Geschichte. Band 1: Konzepte und Methoden.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014.
274 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783837625288

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Bodo Mrozek / Alexa Geisthövel / Jürgen Danyel (Hg.): Pop Geschichte. Band 2: Zeithistorische Fallstudien 1958-1988.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014.
378 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783837625295

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch