Erzähler und Zuhörer
Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Uwe Timm ist der Essayband „Montaignes Turm“ erschienen
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Seele einen besonderen Teil haben, der einem anderen vorbehalten ist. Dort sehen wir die Idee unserer anderen Hälfte, wir suchen nach dem Vollkommenen im anderen“, erklärte der männliche Protagonist Eschenbach in Uwe Timms letztem Roman „Vogelweide“ (2013). Mit diesem äußerst anspielungsreichen Buch hatte Timm nicht nur einmal mehr seine immense Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, sondern den Gipfel seines bisherigen künstlerischen Schaffens erklommen.
„Ich bin nicht nur ein Erzähler, ich höre auch sehr gern zu“, hatte Timm vor einigen Jahren in einem Interview erklärt. Tatsächlich wirken die meisten seiner Bücher so, als seien sie direkt dem Leben abgelauscht. Seine größten Erfolge feierte Uwe Timm, der am 30. März 1940 in Hamburg als Sohn eines Kürschners geboren wurde, Anfang der 1990er-Jahre mit der Verfilmung seines Kinderbuchbestsellers „Rennschwein Rudi Rüssel“ und dem Roman „Die Entdeckung der Currywurst“, der in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde und zu dessen Erscheinen in Fernost Uwe Timm im Herbst 2003 eine große Lesereise durch Japan und China machte.
Zunächst deutete in Timms Leben nichts darauf hin, dass er Schriftsteller werden würde, denn einer Kürschnerlehre folgte das Abitur erst auf dem zweiten Bildungsweg, dann in den unruhigen späten 1960er-Jahren ein Studium der Germanistik und Philosophie in München und Paris, das Uwe Timm 1971 mit der Promotion über Albert Camus abschloss. Erst mit 31 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch – den Lyrikband „Widersprüche“ mit politischen Gedichten, die unter dem deutlichen Einfluss der Studentenbewegung standen.
Ein wiederkehrendes Thema, dem sich Timm nicht nur in seinem ersten Roman „Heißer Sommer“ (1974), sondern auch in „Kerbels Flucht“ (1980) und noch einmal in seinem Roman „Rot“ (2001) widmete. Uwe Timm, der sich einst aktiv im SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) engagierte, hat im Laufe der Jahre ein immer distanzierteres Verhältnis zur Studentenbewegung und den „linken Romantikern“ entwickelt. Auch das Verhältnis zu seinen oft scheiternden Protagonisten wurde im Laufe der Jahre von immer stärker werdender Ironie geprägt. Schon sein Protagonist Christian Kerbel verspürte im Blick zurück „das Gefühl, Zeit vertan zu haben.“
Neben den vielen gescheiterten Existenzen aus der 68er-Generation tauchen als weitere literarische Sujets auch wiederholt die „Dritte Welt“ (in den Romanen „Morenga“, 1978, und „Der Schlangenbaum“, 1986) sowie die Metropole Berlin („Johannisnacht“, 1996, und „Rot“, 2001) auf. Auch Timms vorletzter, etwas aus der Art geschlagene Roman „Halbschatten“ (2008) spielt zumindest teilweise in Berlin – auf dem Invalidenfriedhof. Verstorbene Figuren und der Lebensweg der Flugpionierin Marga von Etzdorf werden in diesem polyphonen Erzählwerk nebeneinander gestellt, und es entsteht eine sonderbare Mixtur aus tragischer Liebesgeschichte, historischem Puzzle und assoziativem Essay.
Längere Auslandsaufenthalte (unter anderem in Rom), Gastdozenturen und viele Literaturpreise (zuletzt den Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln): Uwe Timm ist in der Eliteliga der deutschen Schriftsteller angekommen und dabei angenehm bescheiden geblieben. Kartoffelbrei, Spinat und Bratei bezeichnet der seit einigen Jahren in München lebende Autor, der der Currywurst ein literarisches Denkmal setzte, als sein Lieblingsgericht.
Pünktlich zum 75. Geburtstag ist nun der zehn höchst unterschiedliche Essays umfassende Band „Montaignes Turm“ erschienen. Vorträge, Zeitungsaufsätze, Preisreden und ein Reisebericht (aus den Jahren zwischen 1997 und 2014) stehen nebeneinander. Da fällt es bisweilen schwer, den verbindenden roten Faden zwischen einem intelligenten Beitrag über eine neuerliche Zauberberg-Lektüre und einem Reisebericht ins Flüchtlingslager Darfur im Tschad zu knüpfen. Uwe Timms Brückenschlag zu seiner literarischen Figur Lena Brücker (Protagonistin des Romans „Die Entdeckung der Currywurst“) ist mehr als gewagt: „So bin ich der sudanesischen Frau Brücker begegnet. Dieser Frau möchte ich, auch wenn sie ihn nicht lesen wird und gar nicht lesen kann, meinen Bericht widmen.“ Das wirkt arg konstruiert und ziemlich dick aufgetragen.
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