„Ich brauche eine große Gewissheit“

Auf Alexandru Vonas Roman „Die zugemauerten Fenster“ folgt nun eine schmale Werkausgabe

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in verschiedenen Grautönen gehaltene und einen unwirtlichen Raum schaffende Umschlagillustration von Maria Sulymenko suggeriert Bedrohung, Leere, Verlassenheit; geheimnisvoll und fremdartig klingt der von Alexandru Vona nach der gleichnamigen Lyriksammlung gewählte Buchtitel „Vitralii“, der rumänischen Bezeichnung für Kirchenfenster (Plural). Die Wahl des Titels ist programmatisch – heißt doch der einzige Roman des Autors „Die zugemauerten Fenster“ – und so veranschaulichen beide die These, der Autor schaute nur durch undurchsichtige Hindernisse in die Zukunft.

Der Herausgeber Alexandru Bulucz, gleichzeitig auch der Übersetzer, hat Texte von Alexandru Vona zusammengetragen, die der noch ganz junge Architekt sephardischer Herkunft in der kurzen, mit genanntem Roman endenden Schaffensphase zwischen 1940 und 1947 verfasst hatte. Aufgrund der politischen Entwicklung in seiner Heimat Rumänien emigrierte Vona, wie andere Intellektuelle auch, nach Frankreich. Nur wenig später durch die einschneidende Erfahrung des tödlichen Unfalls seiner jungen Frau gebrochen, verzichtete er auf die Fortsetzung seiner schriftstellerischen Tätigkeit.

Der Band enthält zwölf Gedichte, denen die Faksimiles aus den jeweiligen Nummern der „Revista fundaţiilor regale“ (Zeitschrift der Königlichen Kulturstiftung) beigefügt sind, eine „Die Glocke“ betitelte Erzählung, neun Essays und sieben Kritiken zu rumänischen, englischen, amerikanischen und französischen Werken, die erhellende Auskunft über seine Interessen und Positionen geben.

Geheimnisvoll wie der Titel, dabei voller Melancholie, Düsternis und Undurchdringlichkeit ist auch seine von großer Empfindsamkeit zeugende Lyrik: die Nacht ist schwarz und tief, die Seele eine Wunde, ein hässliches Mal. Auf einer Feier irren Engel umher, halten die Hände mit „Fingern, die vom Flug erblasst […] einen schlaffen Bogen“, in Jahren voller Antriebslosigkeit „verwelken: das Haar, die Arme, die Girlanden“. Im Liebesgedicht ist die Freude „ein Vogel, sonderbar und schwer“, ein „ruheloser, schreckhafter Flug“ ist ihm eigen. Aber der Dichter formuliert auch explizit ein Bedürfnis: „Ich brauch eine große Gewissheit […] eine große, eine wahre Gewissheit für meine 22 Jahre“. So schreibt er gegen seine Skepsis an, die nicht nur aus der, dieser Lebensphase eigenen Suche, sondern wohl auch zwangsläufig aus der beschädigten Geschichte seines Volkes und seiner Familie, den tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche der damaligen Zeit und einer ungewissen Zukunft resultiert.

Dieser junge, aber durchaus reife Künstler beschreibt in „Die Glocke“ den Morgen eines alten Mannes aus gutem Hause, der sich traumversunken an Vergangenheit und seine jung verstorbene Frau erinnert. Dabei bewegt sich dieser Großvater, Kettenglied in einer langen Familiendynastie, kraftlos und unentschlossen in einem altmodischen Ambiente. Vona nimmt hier bereits einige Motive seines Romans vorweg. Es scheint, als habe er in dieser Dichtung aus den 1940er-Jahren sein späteres persönliches Schicksal bereits vorausgeahnt.

Gar nicht zweifelnd, sondern selbstbewusst präsentiert sich Vona dagegen in seinen essayistischen Texten, in denen es sowohl um sein ästhetisches Selbstverständnis als auch um eine Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb geht. Kritisch betrachtet er das Verhältnis zwischen gestandenen und oft dominanten Schriftstellern und den um sie kreisenden jungen Talenten, den „Orbitern“. Der Autor reflektiert über Selbstdarstellungsstrategien von Dichtern, die ihren Status nicht mehr wie einst durch ihren Habitus präsentieren, sondern allein durch gedruckte Lyrikbände, die in den Bücherregalen um Aufmerksamkeit heischen. Nicht zu Unrecht gelten für ihn aber allein jene Verse, die zu Papier gebracht, vor allem den Dichter nahebringen, also eine Einheit von Schöpfer und Werk vermitteln. Dies spiegelt die Position des jungen Vona selbst wider, der damals zwar noch nicht auf einen editierten Lyrikband verweisen konnte, aber ein Jahr später, 1947, bereits für das Manuskript des Gedichtbandes „Vitralii“ den „Preis der Königlichen Kulturstiftung für junge Autoren“ erhalten sollte.

Vor dem Hintergrund einer romantischen Vorstellung vom Künstler als Genie beschäftigt ihn die Diskrepanz zwischen den Bildern, die sich die Gesellschaft vom Künstler als Mensch beziehungsweise als Schöpfer von Kunstwerken macht, ebenso wie die ihm erstrebenswert erscheinende Konkordanz von Schöpfer und Werk. Allzu oft sieht Vona unter dem Aspekt des Ruhms den Autor von seinem Werk abgetrennt, vor allem angesichts der Tatsache, dass so manchem Künstler – zu Lebenszeit in materiellem Elend und unbeachtet – der spätere Glanz seines Werkes nicht mehr zugutekommt.

In seinen Rezensionen zu Werken zum Beispiel von Oscar Wilde, Pearl S. Buck oder des rumänischen Kulturanthropologen und Dichters Ion Frunzetti sucht er die ästhetische Qualität, Schönheit und Musikalität in der Dichtung, die „nichts anderes über die Lippen des Dichters bringen [darf] als das, was nicht zu rekonstruieren ist“ oder auch die „Intimität zwischen Leser und Figur“. Bei Antoine de Saint-Exupéry oder auch Albert Camus, überzeugten Franzosen, findet er, der Heimatlose, die auch von ihm ersehnte Identifizierung mit einem Ideal.

Das den Band abschließende Personenverzeichnis zeugt von Vonas umfassender Bildung. Neben so bedeutenden Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, Rainer Maria Rilke, Lord Byron oder Wladimir Wladimirowitsch Majakowski enthält es auch Persönlichkeiten wie den rumänischen Regisseur Ion Savu, der 1944 bei der rumänisch-italienischen Koproduktion „Squadriglia Bianca“ (rumän.: „Escadrila albă“) für Drehbuch und Regie verantwortlich war, oder den in Rumänien sehr berühmten Komödienschauspieler Vasiliu Birlic, die dem deutschsprachigen Leser unbekannt sein dürften. Hier hätten biographische Angaben zum besseren Verständnis der Texte beigetragen.

Der Verfasser des einfühlsamen Nachwortes, Peter Henning, scheint einen Seelenverwandten in Vona gefunden zu haben, der als Mensch „querschlug“, als Schriftsteller seinen Blick auf die Welt, seine Melancholie und seine Ängste in Form von Innenbildern darbot. Laut Einleitung des Herausgebers präsentiert die vorliegende Werkausgabe zusammen mit dem Roman „ein Gesamtbild seines schriftstellerischen Werks“, während Henning im Nachwort eine 2001 in Rumänien erschienene Ausgabe mit Erzählungen erwähnt, der dort übrigens 2003 noch eine weitere folgte. Offenbar hatte Vona doch nicht so endgültig auf seine schriftstellerische Tätigkeit verzichtet, wie die Legende vom „Autor eines einzigen Buches“ besagt.

Titelbild

Alexandru Vona: Vitralii. Frühe Gedichte und Prosa.
Herausgegeben von Alexandru Bulucz.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Alexandru Bulucz.
editionfaust, Frankfurt am Main 2014.
104 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783945400005

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