Unbekümmert um das Urteil der Literaturkritik

Zur Studie von Jeffrey L. Sammons über Alfred Meißner

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der deutschböhmische Schriftsteller Alfred Meißner (1822–1885) ist längst in der Versenkung der Literaturgeschichte verschwunden, mehr noch, er ist nach einem seinerzeit Aufsehen erregenden Literaturskandal mit einem Schlag in Verruf geraten. In der Vormärz-Ära und noch um 1848 galt er jedoch als einer der engagiertesten Gegner des Absolutismus, als unversöhnlicher Gegenspieler des Ultramontanismus und nicht zuletzt als begabter Lyriker – als Verfasser des Gedichtzyklus Žiška (1847). Seine Gedichte erschienen in Leipzig. Die österreichischen Behörden sorgten dafür, dass auch er selbst ins Exil getrieben wurde; sie konnten indessen nicht verhindern, dass Meißner immer öfter im Anschluss an Nikolaus Lenau, Anastasius Grün und Karl Beck, in der Regel gemeinsam mit seinem Freund Moritz Hartmann genannt, als eine der größten Hoffnungen der böhmischen Poesie gewürdigt wurde.

Auf das Scheitern der Revolution von 1848, das die gesamte demokratischgesinnte Intelligenz in eine Krise stürzte, reagierte Meißner zunächst wenig kompromissbereit, mit seinen Revolutionären Studien aus Paris (1849), zwei Bänden, die später zu den Raritäten der sozialistischen Literatur gerechnet werden sollten, aber auch mit einem Wechsel der literarischen Strategie: Er verfasste Dramen. Obwohl Heinrich Heine ihm attestierte, er könnte das Erbe Friedrich Schillers übernehmen und sich neben Friedrich Hebbel bestimmt behaupten, fand Meißner bald heraus, dass er auch auf diesem Feld nicht viel bestellen würde. Folglich verlegte er sich ein weiteres Mal auf ein für ihn neues Genre, diesmal auf den Roman.

„Die europäische Reaction war auf ihrem Höhepunkt angelangt. Es gab nirgends mehr eine Rebellion, nicht einmal Widerstand, ja kaum eine Reclamation mehr. Die Völker […] beugten sich, da der Himmel sichtbar mit den Gewalthabern war […]. Die bluterkaufte Kirchhofsruhe Rußlands war das staatsmännische Ideal.“ So fasst einer seiner Erzähler – im Roman Schwarzgelb – zusammen, was Meißner ab 1855 antrieb, in kürzester Zeit einen Roman nach dem anderen zu konzipieren und sich dabei ungeniert an ein Vorbild anzulehnen, das ihn in Frankreich beeindruckt hatte: Dort brachte ein Autor in atemberaubender Folge Bücher auf den Markt, die jeweils über Nacht zu Bestsellern avancierten, wie Die drei Musketiere oder Der Graf von Monte Cristo – und jeder wusste, dass deren Verfasser mehrere Mitarbeiter angestellt hatte, um diese Romanfabrikation bewältigen zu können. So produzierte auch Meißner, à la Alexander Dumas, seine Romane mehr oder weniger in Kooperation mit einem Mitstreiter, nämlich Franz Hedrich, ohne darüber viel Aufhebens zu machen oder dessen Namen auf den Titelblättern auch nur zu erwähnen. Mehrere Versuche Hedrichs, in späteren Jahren Meißner zu erpressen (der inzwischen nach Bregenz übersiedelt war und ein 16-jähriges Mädchen geheiratet hatte), führten schließlich nicht nur zum Zerwürfnis zwischen den beiden, sie trieben Meißner auch mehr und mehr zur Verzweiflung. 1885 unternahm er einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er im selben Jahr noch starb.

Die Literaturkritik, die ihm zeitlebens zumeist wohlwollende Aufmerksamkeit geschenkt hatte, erfuhr erst Jahre später, 1889, aus einer von Hedrich selbst veröffentlichten Darstellung, dass Meißner seine Romane gemeinsam mit einem sonst nie sonderlich hervorgetretenen Ghostwriter geschrieben hatte. Meißners Aktien fielen ins Bodenlose. „Seine“ Romane wurden nicht mehr verkauft, nicht mehr diskutiert, nie mehr auch nur einer kritischen Betrachtung unterzogen. Ganz zu Unrecht, meint der US-amerikanische Heine-Forscher Jeffrey L. Sammons – und in diesem Punkt ist ihm vollauf zuzustimmen.

Dass sein Buch nun der Forschung neue Impulse geben könnte, ist gleichwohl (leider) kaum anzunehmen. Denn Sammons beschränkt sich allzu sehr darauf, Meißners Leben und seine literarischen Arbeiten in groben Zügen darzustellen, ohne auch nur wenigstens hin und wieder eine eingehende, tiefer schürfende Analyse zu riskieren. Meißner habe, behauptet Sammons, zeitlebens gegen den Obrigkeitsstaat und die eigene Resignation angekämpft, und er untermauert diese These, indem er der Reihe nach Meißners Gedichte, Theaterstücke, Erzählungen, Essays, Editionen und Romane jeweils knapp und stark gerafft charakterisiert. Etwas ausführlicher beschäftigt er sich lediglich mit Meißners Erinnerungen an Heinrich Heine, die, nach seiner Auffassung, den Autor „vor dem völligen Vergessen bewahrt“ hätten. Im Übrigen begnügt er sich mit kurzen Inhaltsangaben und noch kürzeren Kommentaren zur politischen Dimension der Werke, während er die ästhetischen Konzepte und Strategien Meißners fast vollständig links liegen lässt. Die Sansara, so argumentiert Sammons beispielsweise, „ist wohl der bekannteste Roman Alfred Meißners, aber nach meinem Urteil nicht sein bester“; der im Titel angesprochene Begriff sei nämlich „zu wenig entwickelt, um die äußerst zerfaserte Handlung zusammenzuhalten“ – Punkt.

Meißner hatte anderes im Sinn. Vor allem: die Idee Josephs II., „die Riesenmacht des Klerus“ zu zerbrechen, in unzähligen Handlungssträngen aufzugreifen und weiter zu verbreiten: „Es war dies in der That die Urbedingung aller Reformen und Verbesserungen, aller Gedanken- und Gewissensfreiheit, aller Fortschritte wissenschaftlicher Bestrebung, aller Ausbreitung der Bildung, kurz die Vorbedingung des ganzen künftigen Vernunft- und Culturstaates“, schreibt er dazu im ersten Teil seines auf vier Bände angelegten Romans Die Kinder Rom’s (dessen Hauptfigur übrigens Victor Baron Ebenstein heißt und nicht, wie bei Sammons, Baron Victor Eberstein).

Anders als die Literaturkritik, die mit Meißner (nach seinem Tod) oft und zumeist streng ins Gericht gegangen ist, anders auch als Sammons, der ihm (passagenweise, das ist zu sagen, mit guten Gründen) ebenfalls nicht unkritisch gegenübertritt, ganz anders hat Franz Kafka Meißners Spätwerk eingeschätzt. 1918 schreibt er an Max Brod, vertieft in Meißners letzte große Arbeit, seine Memoiren (Geschichte meines Lebens, 1884), das Buch sei außerordentlich lebendig, aufrichtig „und in politischer Hinsicht von einer geradezu blendenden Aktualität“. Nach wie vor gibt es nichts, was die Literaturwissenschaft hindern würde, eine gründliche Revision ihres Urteils über Alfred Meißner vorzunehmen.

Titelbild

Jeffrey L. Sammons: Alfred Meißner.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2015.
128 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783865254269

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