Mythos und Geschichte in Stein

Thomas Biller untersucht die Burgen des Templerordens

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Richtig populär wurde das Mittelalter im Jahr 1980: Als Umberto Eco in seinem Il Nome della Rosa die trutzige Benediktinerabtei im Apennin zum Austragungsort einer realen wie fiktiven Ideen-, Medien- und Sittengeschichte machte, entfachte das die massenhafte Neugier für Bettelmönche, Päpste, Heiler und Hexen. Das Interesse an Rittern und Burgen nahm ebenfalls zu, und was die steinernen Bollwerke anbetrifft, setzte gar eine ‚Burgendämmerung‘ ein. So veranstalteten 2010 das Deutsche Historische Museum (DHM) und das Germanische Nationalmuseum (GNM) eine groß angelegte Doppelausstellung in Berlin und Nürnberg mit den Schwerpunkten „Burg und Herrschaft“ und „Mythos Burg“. Das Augenmerk richtete sich auf die Feste als Sitz regionaler Macht, als Ort der Demonstration von militärischer Stärke und der Repräsentation courtoiser Lebensführung sowie als Projektionsfläche für Mythen. Bereits zehn Jahre zuvor war der mittelalterliche Multifunktionsbau in Magdeburg, Paderborn und Karlsruhe Gegenstand musealer Vergegenwärtigung gewesen. Mit einem Wort: Das Interesse an der Burg als Baukörper, Artefakt und imaginationsanregendem Phänomen ist groß. Der Architekturhistoriker und Burgenforscher Thomas Biller hat im Quellenstudium und auf Feldforschungsreisen jetzt zahlreiche Burgen, die dem hinter einem Legendenschleier ins Schemenhafte entrückten Templerorden zugerechnet werden, neu inspiziert, taxiert und interpretiert.

Biller durchstößt zunächst das ‚Geschicht‘ von Mythos und ontischer Evidenz, unter dem sich der Templerorden verbirgt. Er unterstreicht die fatale Koinzidenz von spektakulärem Untergang und (angeblich verschollenem) unermesslichem Reichtum, die dazu geführt hat, dass den Templern in einem Gestöber aus Phantasie und Legenden die Fixpunkte ihrer Realexistenz abhanden gekommen sind. Heute gebe es im Grunde genommen zwei Templerorden: einen wirklichen des 12./13. Jahrhunderts, für den sich Experten interessieren, und einen in Vermutungen, Spekulationen, Mystifikation und Realitätssplittern aufgehobenen, der spezielle Bedürfnisse eines breiten Publikums befriedigt. Die Fehlinterpretation von vermeintlichen Templerzeugnissen zeige sich gerade beim Identifizierungsversuch architektonischen Materials, wenn dieses oft zu Unrecht auf tatsächliche Templerursprünge zurückgeführt werde. Die konkreten Schwierigkeiten, mit denen der Templer- und Burgdetektiv beim Ausweis von templeroriginären Baukörpern konfrontiert ist, werden im Rahmen der hier gebotenen ‚Mythenläuterung‘ gut nachvollziehbar.

Dem Leser wird sodann ein Abriss der zweihundertjährigen Geschichte der Templer geboten, der Aufstieg und Fall des frühesten und mächtigsten unter den christlichen Ritterorden beleuchtet. Da sind zum einen die Hintergründe und Bedingungen seiner Entstehung: die notwendige Sicherung der christlichen Pilger und Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land sowie die mit der Ordensgründung verbundenen herrschafts- und kirchenpolitischen Interessen, die wichtige Schlüsselfiguren wie Bernhard von Clairvaux, mehrere Päpste, Kaiser, Könige und Fürsten auf den Plan rufen. Zum anderen kommen die Ursachen für die gewaltsame Auflösung der Templer zur Sprache: der Zusammenbruch der Kreuzfahrerstaaten 1291, wodurch die Ritterorden ihre zentrale Aufgabe als Schutzmacht einbüßten sowie der Wille des französischen Königs Philippe IV., zuerst den Ruf der Mönchsritter durch dubiose Anschuldigungen zu ruinieren, um sich danach ihren Reichtum anzueignen. Nachdem dieses Wissenspaket geschnürt ist, reist Biller zu den Burgen, Überresten und sonstigen Spuren, die als Templerbesitzungen anzusehen sind. Die Expertise des Autors zeigt sich, wenn die Templerniederlassungen bündig und genau terminologisch und nach formalen Kriterien architekturhistorisch differenziert und klassifiziert werden. Tatsächliche Burgen etwa bildeten wider Erwarten die Minderheit der Bauprojekte der Templer, weil längst nicht alle Templerstützpunkte in umkämpften Grenzzonen wie im Heiligen Land oder auf der Iberischen Peninsula lagen. Im übrigen Teil Europas, wo die Templer die meisten Liegenschaften besaßen, überwogen schwach bis gar nicht befestigte Templerhäuser, die Klosteranlagen oder Gutshöfen ähnelten bzw. als solche dienten. Schließlich fallen bei der Betrachtung von Templerbauten die Kapellen und Kirchen ins Auge, deren Prominenz durch die mönchisch-klösterliche Organisationsstruktur des Ritterordens erklärbar ist. Die den größten Teil des Bandes dann einnehmende Exkursion zu den erhaltenen Templerburgen in den Kreuzfahrerstaaten (Königreich Jerusalem, Grafschaft Tripoli), auf der Iberischen Halbinsel (Aragón und Katalonien, Portugal, Kastilien) sowie im übrigen Europa (Frankreich, England, Deutschland, insb. Brandenburg, Italien, vereinzelt Polen und Tschechien), angereichert mit geo- und topographischen Informationen über die Standorte, bieten einen vielansichtigen Schauflug über die einst von den Templern beanspruchten und nachhaltig geprägten Naturräume und Landschaften. Billers Inventur des steinernen Templererbes kulminiert in der Frage, ob es einen Typus der Templerburg gegeben habe. Nein, die Templer haben keinen idiosynkratischen, ihren Bedürfnissen und architektonischen Vorstellungen entsprechenden und oft verwirklichten Burgentypus geschaffen. Stattdessen errichteten sie Burgen in Formen, die entweder überregional in Europa wie im Mittelmeerraum verbreitet waren oder regionalen Trends gehorchten. So gesehen stellten die Burgen für die Templer Zweckbauten dar, deren Gestalt sich in Anbetracht der Primäranforderungen an eine Grenzfeste mit hoher Verteidigungskraft nach den fortifikatorisch-logistischen Architekturvorgaben richten musste. Erst später – und vorausgesetzt, die Templer hätten wie der Deutsche Orden noch viele Jahrzehnte weiter existiert, ihre Machtposition und ihr Herrschaftsgebiet ausbauen und festigen können – wäre womöglich der Gedanke aufgekommen, einen templerspezifischen Burgentypus zu entwickeln, der in einer sinn- und identitätsstiftenden Überhöhung die Struktur des Ordens, seine Stärke und seinen Führungsanspruch zum Ausdruck hätte bringen können.

Ein Lieblingswort Billers ist ‚fraglos‘. Seine stellenweise redundante aber durchweg um Objektivität und historisch belastbare Aussagen bemühte Sondierung des Templerburgenkomplexes kommt indessen gut ohne das Verstärker-Adverb aus. Die argumentativ eingängige Darstellung mit den zahlreichen selbst gemachten Fotoaufnahmen und weiteren Abbildungen von Burgen, Wällen, Portalen, Grundrissen und Standorten in zum Teil berückend schönen Landschaften bietet eine anregende und ‚anäugende‘ Expedition in ferne Zeiten und Lande. Das Templererbe umfassend und angemessen zu ästimieren, dazu leistet der Band einen wichtigen Beitrag.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Thomas Biller: Templerburgen.
Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2014.
172 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783805348065

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