Abgrund Fußball

In Dominique Manotti rasantem Krimi „Abpfiff“ geht es um Doping und einen Fußballkönig

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

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Radsport oder Fußball? Wenn abgewogen werden soll, welcher Sport mehr vom Doping verseucht und korrupter ist, dann ist die Antwort schnell gefunden, aber stimmt sie auch? Wenn man die Dauerquerelen um die FIFA Sepp Blatters einmal beiseitelässt, dann ist der Fußball außerordentlich wenig von Korruptionsskandalen, Dopingvergehen und auch sonstiger Kriminalität belastet. Hin und wieder einmal ein Wettskandal, in den einer der Heroen des runden Leders verwickelt ist, aber sonst?

Dabei ist das erstaunlich, denn der Fußball ist heute so flexibel, athletisch und schnell geworden, dass es wenig plausibel ist, dass Fußballer in Sachen Doping weniger anfällig sein sollen, als andere Sportler. Und wo so viel Geld bewegt wird wie im Fußball, ist es unwahrscheinlich, dass nicht irgendwer auf die Idee kommen sollte, mit dieser großen Maschine auch Geld zu waschen. So sehr uns also der Fußball am Herzen liegen mag, er wird auch seine schmutzigen Ecken haben, vor denen wir nicht die Augen verschließen können. Aber seiʼs drum.

Dominique Manotti hat jedenfalls auf die Gefühle von Fußballfreunden keine Rücksicht genommen. In dem noch in den Vor-Euro-Zeiten erstmals publizierten Krimi nimmt sie einfach und unprätentiös das Tableau, das ihr der Fußball bietet, und nutzt es zur Entwicklung einer heißen, komplizierten und doch sehr plausiblen Kriminalgeschichte.

Der Mord an einer jungen Prostituierten und ihrem Begleiter, einem Polizisten namens Romero, lässt bei den ermittelnden Kollegen alle Alarmglocken läuten. Handelt es sich um einen Versuch, eine Ermittlung zu unterbinden? Oder um einen Racheakt von jemandem, dem dieser Romero zu nahe gekommen ist? Kommissar Daquin ermittelt ˗ und Dominique Manotti folgt ihm auf den Fersen.

Manotti entwickelt in „Abpfiff“ einen Plot, in dem der Aufstieg eines Provinzpolitikers und Vereinschefs, eines Provinzvereins bis hin zur Meisterschaft, ein ungeheures Transfergeschäft und schließlich ein ausgeklügeltes Verfahren, um kolumbianisches Drogengeld zu waschen, miteinander verbunden werden. Legale und illegale Geschäfte sind eng miteinander verknüpft. Hinzu kommt die Selbstverständlichkeit, mit der im Verein Aufputschmittel und Drogen verteilt und genutzt werden. Dieses Fußballgeschäft ist bis ins Mark korrupt, anfällig für Machtmissbrauch und für Versuche, hier das große Geld zu machen.

Der Bauunternehmer, Bürgermeister und Clubchef Reynaud führt sein Unternehmen, seine Stadt und seinen Verein nicht einmal mehr hierarchisch, sondern despotisch. Er hält alle Fäden in der Hand, und verbindet Geschäft, Politik und Sport zu einer lukrativen Geld- und Machtmaschine. Sein Netzwerk, das bis weit in die nationale Politik reicht, und eine Handvoll von skrupellosen Schlägern sichern ihm Macht und Einfluss. In seiner Stadt geschieht nichts, was er nicht kontrolliert und steuert, die Polizei eingeschlossen.

Das ändert sich mit dem Mord an der jungen Frau und dem Polizisten, der sich schließlich als eine Panikaktion erweist und der stoppen soll, was bereits nicht mehr zu ändern ist. Irgendwann ist in einem solchen auf Macht und Geld gegründeten Gefüge der Punkt erreicht, in dem irgendjemand zu sehr verliert und dabei zu viel weiß. Wer aber zu viel weiß, verliert ein zweites Mal, wenn er – in diesem Fall die junge Frau – nicht umsichtig genug handelt. Und es verlieren auch alle anderen. Mit anderen Worten: Der Mord an Nadine Speck ist manifester Ausdruck der Krisis, die im Anschluss daran erst ihre wahren Ausmaße erreicht.

Was bedeutet: Das Ziel der romaninternen Akteure muss sein, wieder eine Art Balance herzustellen, in denen die verschiedenen Akteure, die die Krisis überlebt haben, wieder mit ausgeglichenen Interessen oder Gewichten agieren können. Der Banker zum Beispiel, weiterhin der Polizeichef von Lisle sur Seine, einem kleinen Vorort von Paris, und Daquin, der die Ermittlungen in diesem Mordfall leitet (obwohl es ihm nicht zusteht und obwohl er von Manotti demonstrativ als Außenseiter gekennzeichnet wird).

Dominique Manotti entwickelt in „Abpfiff“ ein Kammerspiel von Macht, Geld, Kriminalität und Sex, mit Komponenten also, die genau aufeinander abgestimmt werden müssen, damit sie ein funktionsfähiges Ensemble ergeben. Jede Störung verändert das Gefüge und kann zu seinem Zusammenbruch führen – und Manotti führt dies vor: Geld und Macht fressen ihre Kinder.

Das Ganze ist in einer atemlosen, sich zurücknehmenden, eher referierenden denn erzählenden Tonlage gehalten. Manotti erzählt ihre Geschichte nicht aus, so scheint es, sondern skizziert sie nur. Gerade damit aber treibt sie nicht nur Handlung und Ermittlung voran, die gleichermaßen ihren Textraum erhalten. Sie kann sich zugleich auf eine Position zurückziehen, die stets zu sagen scheint: Das hier könnte ich dann auch noch erzählen, aber vielleicht ist das nicht notwendig. Vielleicht.

Titelbild

Dominique Manotti: Abpfiff.
Übersetzt von Andrea Stephani.
Argument Verlag, Hamburg 2015.
256 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783867541978

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