Nur die Mission zählt

Ridley Scott erschafft aus dem alttestamentarischen Moses-Mythos ein monumentales, raumpoetisches Historiendrama: „Exodus: Götter und Könige“

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Der Mensch am Beginn des 21. Jahrhunderts ist ein Kundiger. Die Naturwissenschaft hat ihm seine äußere Welt erklärt, die Psychologie seine innere und die Technik seinen Fortschritt bestimmt. Alle wichtigen Fragen sind beantwortet, alle Territorien erobert, alle Geheimnisse entschlüsselt. Aber der Wunsch nach dem Abenteuer ist geblieben, nach der übermenschlichen Erfahrung. Nur an einem Ort kann sie heutzutage wirklich noch gemacht werden: im Kino. Dass dieses sich neuerdings wieder der Bibelverfilmung zuwendet, mag in einer Zeit der Entzauberung wenig verwundern, bietet das Buch der Bücher doch einen überreichen Fundus an dramatischen Geschichten voller göttlicher und menschlicher Wesen im Ringen um Weltgestaltung.

Eine jener promethischen Persönlichkeiten ist Moses (Christian Bale). Im 13. Jahrhundert v. Chr., zur Zeit der Versklavung der Israeliten in Ägypten, wird er als Baby im Binsenkörbchen ausgesetzt, gerettet und wächst am ägyptischen Hof als Prinz auf. Mit dem späteren Pharao Ramses II. (Joel Edgerton) verbindet ihn brüderliche Freundschaft. Doch dann muss sich Moses seiner bislang unbekannten Bestimmung stellen: Tatsächlich ist er israelitischer Abstammung und von Gott zur Befreiung dessen Volkes ausersehen. Moses wird ins Exil verbannt, von wo aus er zurückkehrt, um sich gegen die Macht eines ganzen Imperiums aufzulehnen. Er tritt in zähe Verhandlungen mit Ramses, über dessen Reich erst die zehn Plagen hereinbrechen müssen, bevor er dem Auszug der Israeliten gen Kanaan, heute Israel/Palästina, zustimmt. Als Ramses den Flüchtenden dann doch mit seiner Streitmacht nachjagt, kommt es am Roten Meer zum schicksalhaften Aufeinandertreffen samt Teilung der Fluten. Zuletzt ist für die hunderttausenden Israeliten der Weg frei ins Gelobte Land.

Monumental 

Regisseur Ridley Scott, der Visionär unter den Visualisten, hat es wiederholt betont: „I love anything larger-than-life“. Solch ästhetischer Wunsch und cinematographischer Wille ist seinem Œuvre eingeschrieben, darunter Meisterwerke für die Ewigkeit wie „Alien“, „Blade Runner“ oder „Gladiator“. Neben der optischen Wucht bevorzugt Ridley Scott Storys und Figuren, die in mythische Dimensionen vordringen bzw. selbst Mythos sind/werden. Sex und Humor stellen hierbei bestenfalls Randerscheinungen dar; elaborierte Action als Konglomerat aus Dynamik und Spektakel ist hingegen ein elementares gestalterisches wie narratives Element. Tatsächlich beruht sein Interesse an der biblischen Moses-Erzählung aus dem Pentateuch (Verschriftlichung wurde etwa 440 v. Chr. fertiggestellt) weniger auf deren religiösem Kontext, also der Auseinandersetzung zwischen göttlichem mit menschlichem Willen, vielmehr auf ihrem Potential als daseinsdefinierende Legende und geschichtliches Abenteuerspektakel. Dass die Exodus-Legende sich archäologisch bislang nicht nachweisen lässt, ist völlig unerheblich. Wie es der Untertitel verheißt, geht es in „Exodus“ um mehr als Historiographie, nämlich um nichts Geringeres als ’Götter und Könige’.

Damit steht das Werk in der langen Tradition der Monumentalfilme. Biblische Geschichten boten sich hierfür geradezu an – „Intolerance“ (1916) von David Wark Griffith liefert ein erstes Beispiel – und erlebten durch den Produzenten und Regisseur Cecil B. DeMille einen entscheidenden Impuls. Allein seine Schöpfungen „The Ten Commandments“ von 1923 sowie dessen Remake von 1956 sind längst Klassiker. Auf ihren Spuren wandelt „Exodus“, entwickelt darüber Blockbusterniveau, nur um sich in eine bemerkenswerte Interpretation von Raum und Fauna als quasi-sakrale Elemente einer größtenteils profanen Welt zu wandeln.

Gigantisch

„Exodus“ ist episches Kino der Re-Mythisierung. Ridley Scott lässt historisches Menschheitsdrama sowie ahistorische Heilslegende aufeinanderprallen und sich zu einem energetisch-symbolhaften Raum umformen. Urkräften gleich dynamisieren und transzendieren ihn die Elemente: Palmen wiegen sich im Wind, Rauch und Sand wirbeln empor, tagsüber wehen Fahnen und Sonnensegel, nachts zucken Fackeln; zuletzt erhebt sich gar das Meer. Endgültig zur Bedrohung wird solche Bewegtheit durch die Tiere – im übrigen eine geniale Metapher, da diverse Arten im Alten Ägypten als Götter verehrt wurden. Tot sind sie nur Dekoration und unbeachteter Mahner der Vergänglichkeit, etwa als kostbare Zebra- oder Wildkatzenfelle auf dem Palastboden und an Schildern der Wache. In lebendiger Gestalt jedoch erfüllen sie die Prophezeiung der zehn Plagen. Frösche, Fliegen, Heuschrecken bringen Krankheit und Hunger über Ägypten; gewaltige Nilkrokodile, die ein Massaker unter Fischern verüben, lassen den Fluss zu einem Blutstrom anwachsen. Gott Sobek höchstselbst scheint sich gegen das Land zu wenden, um dessen Lebensader, den Nil, zu vergiften.

Jener Angriff der Archosaurier, nervenzerfetzend und ungeheuerlich zugleich, sowie die finale Sequenz der Meeresteilung sind Bravourstücke an Inszenierung und Technik. Ohnehin lassen sich Ridley Scotts Filme stets als ’state of the art’ kinematographischer Mittel und Filmtechnologie betrachten. Allein die 3D-Effekte sind von einer Brillanz, die förmlich in Tiefe und Weite hineinsaugt. Tableauartig breiten sich archaische Wüstenlandschaften und Steppen aus, Steinbrüche sind wie offene Wunden im Erdenkörper, die prätentiöse Flussdeltametropole Pi-Ramesse ist urbaner Gigantismus in CGI-Perfektion. Mit traumhaften Vogelperspektiven und einer atemberaubenden Präzision, die stets den Blick für die dramaturgischen Zusammenhänge im faszinierend entgrenzten Raum bewahrt, bildet Kameramann Dariusz Wolski jene fremdartige Welt ab. Eine Welt, die von den Prunkbauten und detailverliebten Kostümen bis hin zum eleganten Pferdegeschirr ägyptisch anmutet, doch eigentlich nur die Idee des dynastischen Ägyptens transportiert. Das ist vollendete illusionsbildende Kunst: Phantasie, gespeist aus den Bildarchiven des kulturellen Gedächtnisses des Okzidents und destilliert zu pseudo-historischer Exotik, erscheint realer als die Wirklichkeit.

Allmächtig

Hierin ähneln sich Kino und Bibel. Beide erzählen Geschichten, doch beide wollen mehr, nämlich emotional bzw. spirituell bewegen. Sie schaffen Projektionsflächen. Insofern wäre ein reines Abfilmen bzw. Bebildern von biblischen Erzählungen ebenso bedeutungslos wie verfälschend. Doch während sich Ridley Scott in kühner, mythopoetischer Monumental-Regie ergeht – schon die Schlacht von Kadesch gegen die Hethiter zu Beginn des Films beeindruckt als schonungslose VFX-Vision von Geschwindigkeit und Wahnsinn –, lässt das Drehbuch von Steven Zaillian, Jeffrey Caine, Bill Collage sowie Adam Cooper definitiv zu wünschen übrig. Ohne sich näher mit christlichen, kulturellen oder psychologischen Aspekten auseinanderzusetzen, arbeitet es sich nur an den ikonographischen Eckpunkten der Moses-Story ab. Kitsch wird so weitestgehend vermieden, inhaltliche Vertiefung und Zeitlosigkeit bzw. Zeitkritik allerdings auch. Obendrein bleibt das Konfliktpotential zwischen persönlichen Interessen – Moses hat sich seine Rolle als Befreier nicht ausgesucht – und Staatsraison – Ramses kann sich dem Willen ’fremder Götter’ ohne Widerstand nicht beugen – unausgeschöpft. Dabei hätte der Mythos einiges an modernen Bezügen zu bieten, etwa die Thematik von Glaube und Bestimmung, die Problematik von religiösem Fanatismus und scheinbar gottgefälligen Rebellionen oder die historischen Schicksalsschläge der Israeliten bzw. Juden. Dergleichen ist zwar nie als Subtext wegzudenken, bleibt freilich Marginalie, ohne sich parabelhaft abzuzeichnen.

Von den nur rudimentär entwickelten Charakteren wird das nicht aufgefangen. Renommierte Schauspieler wie Ben Kingsley, Sigourney Weaver oder Hiam Abbass in Nebenrollen bekommen wenig Chancen zu glänzen. Die beiden männlichen Hauptdarsteller wiederum können ihren ohnehin eindimensionalen Figuren kaum tragischen, geschweige denn mythischen Nimbus verleihen. Sie entwickeln kein Eigenleben. Joel Edgerton, eher proletarischer Aussie-Mate als rätselhafter Ägypten-Herrscher, kaschiert das ein wenig durch physische Präsenz. Christian Bale, bekannt für extreme, wenn auch tendenziell angestrengte Performances, hat als Moses immerhin einen Part, bei dem seine unterschwellige Anspannung mit der verkörperten Person zwischen Zweifel und Mission korreliert.

Wieder sind es Production-Design und Inszenierung, die Ramses und Moses erst Größe verschaffen. Schon der Palast von Ramses, ein in Flammen- und Schattenspiele getauchtes Reich, kündet von Allmacht(sphantasien). Hier, wo die Luft golden flirrt, wirkt alles leicht ’campy’; die graubraune Welt von Moses hingegen bleibt ’down-to-earth’. Seine Anführerqualitäten als religiös-rationaler Revolutionär werden eher distanziert abgehandelt, der Heldenstatus nur gemäßigt aufgebaut. Vielmehr ist er ein pragmatischer, mitfühlender Mensch, der seinem sterbenden Pferd noch den schweren Sattel vom Rücken nimmt und am meisten darunter leidet, als Gott sämtliche ägyptischen Erstgeborenen tötet. Überhaupt hadert Moses gelegentlich mit diesem alttestamentarischen, rächenden Allmächtigen, der ihm mal als brennender Dornbusch, mal als Knabe erscheint und am Berg Sinai schließlich die Zehn Gebote diktiert. Jene meißelt Moses gehorsam auf Steinplatten, denn darin sind sie sich einig: Menschen brauchen Richtlinien… und Götter. Dem würde auch Ramses zustimmen, nur dass der sich selbst für einen hält und Moses mit einem spricht.

Episch

Ridley Scotts suggestiver Stil bringt das Kino zu seinen Wurzeln, dem Erstaunen, und das Geschichtenerzählen zu seinem Ursprung, dem Fremderleben, zurück. Sein episches, affektbetont-körperliches Kino führt in unerforschte Universen, es verführt zu sinnlicher Wahrnehmung des Ungekannten, es zielt auf Überwältigung. Und erreicht sie durch kraftvolle Opulenz: „The idea of building a universe is always appealing.“ In der Realität, hier u.a. Südspanien und Fuerteventura, entstanden und verfeinert durch aufwendige Computereffekte wird dieses künstlerisch-künstliche Universum im Kopf des Zuschauers zur ’Landschaft purer Kino-Sehnsucht’. Allein der Himmel über Ägypten dürfte meteorologisch nie ’sprechender’ gewesen sein als in „Exodus“.

Dennoch entwickelt der Film mangels spiritueller Zwischentöne, der fehlenden Identifikation mit den Hauptfiguren und der Voraussehbarkeit der Story keine durchgehende Spannung. Nur der elegisch-üppige, mit exotischen Gesängen angereicherte Soundtrack von Alberto Iglesias setzt unermüdlich dramatische Akzente, während Moses teils recht zäh seinem Schicksal folgt. Weil ihm jedoch Ridley Scott zur Seite steht, wird er es schließlich mit einer visuell extravaganten Sensation vollenden. Gerade haben die Israeliten unter den Verwünschungen der ägyptischen Bevölkerung die Stadt verlassen, da setzt sich der Pharao mit einer Streitwagen-Armee auf ihre geschundenen Fersen. Am Roten Meer, umschwirrt von ahnungsvoll aufgeregten Möwen, scheint ihre Flucht zu Ende. Doch dank einer überraschenden Kraft fließt das Meer vor den Israeliten zurück, sie können passieren. Was wie eine unspektakuläre Wattwanderung anmutet, avanciert zum Mega-Event, als das von Tornados aufgewühlte Meer einer Sintflut gleich wieder seinen angestammten Platz einnimmt. Ob allerdings die Richtigen von den Wassermassen verschlungen werden, bleibt offen. „Exodus“ mag optisch ein duales Weltbild entfalten, moralisch hingegen werden Eindeutigkeiten vermieden. Im Vergleich untereinander sind Götter weder schlechter noch besser. Nur die sie verehrenden Menschen tragen bei der Ausübung ihrer Religion die ethische Verantwortung. Damals wie heute.

Am Ende werden 40 Jahre vergehen, bis die Israeliten das Gelobte Land erreichen. Moses ist darüber ein alter Mann geworden. Doch seine Mission war nicht vergebens. Zufrieden sitzt er in einem Holzkarren, immer noch auf der Wanderschaft und immer noch in Verbindung zu seinem Gott. Das Land Kanaan wird er niemals sehen, angekommen ist er trotzdem. Und hinter ihm steht die Bundeslade mit den Tafeln der Zehn Gebote. In ferner Zukunft wird sie von einem gewissen Dr. Jones erneut entdeckt werden. Aber das ist wieder eine andere (Kino-)Geschichte.

„Exodus: Götter und Könige“ (USA 2014)
Regie:
Ridley Scott
Darsteller: Christian Bale, Joel Edgerton, Aaron Paul, Ben Kingsley
Laufzeit: 144 Min.
Verleih: 20th Century Fox
Format: DVD / Blu-ray

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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