Aporien des Krieges, des Erzählens und der Theorie

Die lesenswerte Studie „Writing War“ von Daniela Kirschstein widmet sich der Kriegsliteratur von Ernst Jünger, Louis-Ferdinand Céline und Curzio Malaparte

Von Wolfgang M. SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang M. Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg ist ein ambivalentes Ereignis. Auf der einen Seite destabilisiert er die gewohnte, friedliche Ordnung, auf der anderen Seite ist er jedoch nicht nur reines Chaos, sondern selbst wiederum eine durch militärische Hierarchien, Strategien und Kriegsgesetze konstituierte Ordnung. Literarische Texte über den Krieg sind häufig Ausdruck dieser Ambivalenz, die sich sowohl inhaltlich als auch formal zeigt. In ihrer Studie „Writing War“ widmet sich die Komparatistin Daniela Kirschstein drei bis heute umstrittenen Autoren: Ernst Jünger, Louis-Ferdinand Céline und Curzio Malaparte und ihren kanonischen Kriegserzählungen „In Stahlgewittern“, „Reise ans Ende der Nacht“ und „Kaputt“. Kirschsteins Anliegen ist es, „Kriegstexte als Transkription, Kriegsliteratur als Ethnographie zu lesen“, denn darin liege ein besonderer Reiz, weil „sie keine Ethnographie sind“. Ja, der Literatur, so Kirschstein, gelinge es, Leerstellen der Ethnographie zu füllen.

Mit einer Exkursion zu den ethnographischen Theorien erläutert Kirschstein den originellen Ansatz ihrer Arbeit in einem einleitenden Kapitel, das die Grundlage für die folgenden in drei Großkapiteln vorliegenden Interpretationen bildet und zugleich einen Blick auf eine aktuellere Literaturdebatte wirft, in der sich wie in einem Brühwürfel enorm viele Aspekte, welche die Rezeption von Jünger, Céline und Malaparte beherrschten, wiederfinden lassen. Die Rede ist von Jonathan Littells Monumentalwerk „Die Wohlgesinnten“, das nicht nur mit literarischen Anspielungen auf eben diese drei Autoren durchzogen ist, sondern auch im Hinblick auf die kontroverse Rezeption parallel gelesen werden kann. Die nur wenige Seiten umfassende und dabei sehr schlüssige Analyse von Littells Roman erweist sich als kluger Schachzug, weil so dem Leser auch gleich das Konzentrat der daran anschließenden Argumentation präsentiert wird und durch diesen Bezug die Texte Jüngers, Célines und Malapartes buchstäblich vergegenwärtigt werden. Deutlich wird so noch einmal, dass eine literaturwissenschaftliche Diskussion zwingend fortgesetzt werden muss. Es gehe, so Kirschstein, „bei Littell um ein Wahres, das die Grenzen des Wahrscheinlichen mühelos überschreitet“ – eine Beobachtung, die auch auf die drei ‚Urtexte‘ zutrifft.

Die Kriegsliteratur als Ethnographie zu interpretieren bietet viele Vorteile, die Kirschstein zu nutzen weiß. Liefert die Ethnographie mithilfe der Feldforschung Beschreibungen des Fremden beziehungsweise des Anderen, so handelt Kriegsliteratur ebenfalls von Begegnungen mit dem Unbekannten. Dabei kann, wie zum Beispiel bei Malaparte aufzeigt wird, die Alteritätserfahrung auch im eigentlich Bekannten liegen: „Wir haben es in Kaputt vielmehr mit einem Anderen zu tun, das einerseits unter allen Umständen fremd bleiben muss und uns andererseits immer schon viel zu nahe ist.“ Die Position des Ethnographen ist höchst ambigue. Sie ist eine, bei der die Trennlinie zwischen Nähe und Distanz durchlässig werden kann. Transponieren lässt sich dies auf die Erzählungen Jüngers, Célines und Malapartes, in denen eine klare Trennung zwischen Autor, Erzähler und Protagonist nicht mehr erkennbar ist. Indem sich Kirschstein bei der Analyse dieser narrativen Melange auf den Text konzentriert, kann sie sich aus den stark ideologisch aufgeladenen Diskussionen über Un- und Amoral, Schuld und Unschuld der betreffenden Autoren heraushalten. Auch der Leser der Studie profitiert davon, wenn beispielsweise die Frage nach Fakt und Fiktion in „Kaputt“ nicht biographisch abgeklopft wird, sondern der Erzähler mit der Trickster-Figur literaturwissenschaftlich greifbar wird.

Überhaupt ist es die Form und die Sprache selbst, der Kirschsteins Interesse gilt. Wohl deshalb auch zitiert sie beispielsweise die einschlägige Jünger-Forschung, die gerne biographisch argumentiert, nur sehr spärlich. Erkenntnisfördernd ist diese Aussparung besonders dort, wo die Funktion des Rauschs in „In Stahlgewittern“ herausarbeitet wird, wo sich eine klare Freund/Feind-Unterscheidung auflöst, weil so eine Rückkopplung dieses Textes an die darauf folgende politische Publizistik Jüngers, in der das Freund/Feind-Schema das vorherrschende Denkmuster sein wird, nicht so einfach zu haben ist. Gute Literatur ist in ihrer Mehrdeutigkeit komplexer als der Autor. Jedoch wären einige Überlegungen der Jünger-Forschung durchaus hilfreich gewesen, denn das Spiel mit den Gegensätzen ist bei diesem Autor grundsätzlich heraklitisch aufzufassen: Ist für Heraklit „der Krieg Vater aller Dinge“, so ist Heraklit für Jünger der Vater allen Denkens. Richtig ist, wie es in der Studie heißt, dass für Jünger das Freund/Feind-Schema nicht in der Opposition bleibt – „An die Stelle der Abgrenzung vom Feind tritt eine Mischung aus Neugierde, Empathie, Respekt und Erotik.“ –, doch dies ist vor allem Heraklits Idee von der Einheit der Gegensätze geschuldet. Gefallen aber hätte Jünger, der dem Akademischen bewusst weitgehend fernblieb, gewiss Kirschsteins These, dass die Literatur jenseits einer positivistischen Wissenschaftlichkeit Erkenntnisse und Wissen vermitteln kann.  

Beeindruckend ist das Kapitel zu Céline, in dem unter anderem anhand des Körpers die Alteritätskonstellationen durchgespielt werden: „Der Körper ist einerseits ‚Verkörperung‘ des Krieges, die Strukturen, die Gewalt des Krieges haben sich im Körper eingeschrieben. Andererseits wird der Körper […] zum Medium von Ethnographie, mit dessen Hilfe Utopie, Gewalt und Ästhetik korreliert werden und durch das Moment des Exzesses, der Gewalt und Repression in Célines Gesellschaftsentwürfen sichtbar werden.“ Konzis ist zudem, was im Hinblick auf den Körper des Lesers zum irisierenden Stil Célines, der als eine Mischung aus Hochsprache, Argot und Kunstsprache Schriftlichkeit und Mündlichkeit verbindet, ausgeführt wird. Der Krieg bringt einen Stil der Art hervor, dass der Leser sich selbst auf dem Schlachtfeld wiederfindet: „Die unerzählbare Gewalt des Krieges kehrt in Form einer radikal anderen, gewaltsamen, ‚wilden‘ Sprache in die Körper seiner Leser ‚zurück‘.“

Alle drei Autoren waren große Stilisten und so ist es eine Freude, dass auch diese Studie stilistisch zu glänzen weiß, gerade dann, wenn nach teils notwendig verschlungenen Pfaden durch die Forschung die Autorin zu klaren und prägnanten Thesen gelangt. So hält sie beispielsweise in Bezug auf Jünger fest: „Der Krieg ist sein Beschreibungsexzess.“ Diese Prägnanz schafft eine Ordnung, die gewissermaßen den postmodernen und postkolonialen Referenztexten zur Hybridität, zum Parasiten, auf die sich die Arbeit stützt, zuwiderläuft. Gehört es doch zum theoretischen Mainstream, die Uneindeutigkeit stark zu machen, das Ambivalente zu betonen, überall das „Schwinden von Differenz“ (Oliver Lubrich) aufzuzeigen, und nicht selten als Wissenschaftler selbst ein Rauschen zu produzieren. „Writing War“ schreibt diesen Diskurs zwar inhaltlich fort, doch wird dieser zumindest auf formaler Ebene Dank des pointierten Stils und den manchmal gar aphoristischen Schlussfolgerungen wohltuend unterlaufen. Die Studie führt uns gekonnt sowohl die von Jünger, Céline und Malaparte forcierten als auch die durch die Kriege ausgelösten Aporien, die Destabilisierung der Ordnung und den Rausch beziehungsweise das Rauschen vor. Hervorragend eignen sich die theoretischen Texte, um all das deskriptiv zu fassen. Unfreiwillig offenbart sich dabei aber auch etwas Grundsätzliches: Wenn die postmodernen Konzepte zur Auflösung der Grenzen und dem Verschwimmen der Differenzen so ausgezeichnet zu den Texten über den Ersten und Zweiten Weltkrieges passen, wäre zu fragen, ob dann nicht auch ein Lob der Ordnung, der Grenzen und der Stabilität, all das, was heute gerne als reaktionär abgetan wird, angebracht wäre? Zum Schluss ihres Fazits wird Kirschstein normativ, wenn sie darauf hinweist, dass, wer nach 1945 die Lektüre dieser umstrittenen Autoren genießt, immer auch dabei ist, den Nationalismus Jüngers, den Antisemitismus Célines und des Faschismus Malapartes „ein bisschen mitzugenießen“. Aber gilt das nicht auch vielleicht für die Lektüre der postmodernen Theorien? – Insofern jedenfalls, dass wir bei ihnen immer auch mitdenken müssen, was die Auflösung der Ordnungen, Gegensätze und Grenzen noch bedeuten kann.

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Daniela Kirschstein: Writing War. Kriegsliteratur als Ethnographie bei Ernst Jünger, Louis-Ferdinand Céline und Curzio Malaparte.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2014.
263 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783826054020

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