Junge Lyrik

Daniel Noël Fleischmann beeindruckt mit seinem Gedichtband „Und die Mauern riefen sich“

Von Martin BeckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Becker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Was ich nicht sprechen kann / das werde ich euch schreiben“ heißt es programmatisch im ersten Gedicht „Element“ des Bandes und Daniel Noël Fleischmann ist es damit ernst. Die teilweise sehr persönlichen Gedichte geben Einblick in die Welt eines talentierten jungen Dichters, dem es gelingt, wundervolle sprachliche Bilder zu erzeugen.

Dabei scheint fast alles, was ihm begegnet, Anlass und Grund für ein Gedicht zu werden, wie beispielsweise Tee im gleichnamigen Gedicht, das die „friedvolle Stimmung“ eines kurzen  Augenblicks im Schreiben gegen die raue Welt setzt:

Kurz aber ein Tee
Und du kurz atmend
Dir seltsame Sturmzeilen schenkst
Und du fühlst dich bereit –

Einem Wunder gleich

In den Gedichten zeigt sich ein lyrisches Ich, das sich über die Welt um es herum wundert – eine Verwunderung, die sich manchmal zu Verachtung steigert  ̶  und doch in der Lage ist, das ihm Fremde treffend zu beschreiben und in Versen einzufangen. Dabei treiben es die Fragen junger Menschen an, die ihren Platz in der Welt suchen.

Wichtig sind sie alle nicht
So streifst du
wenn Nacht sich
dir erhellt
alleine durch
das Gescheh’n der Welt

Magst zusehen, teilnehmen
die Dinge verstehen, doch
ändern wirst du alles –
wirst du nichts

Dein Sein aber
bleibt dir jung erhalten
zu treiben und
Armen zu entfliehen

Die dich greifen mögen
Jeden Tag
dein junges Herz belügen

Wo soll all der Körper hin?
Wo findet Liebe ihren Platz?

Ganz bei sich
dann äußerlich
streifst du alleine durch die Nacht

Es fällt leicht, sich bei diesen Versen das Berliner Nachtleben vorzustellen – und den schalen Beigeschmack.  Rausch und Exzess, Sexualität und Liebe sind für das lyrische Ich nicht Anschluss an Gleichgesinnte, sondern  Erfahrungen, die erst recht deutlich machen, wie einsam der Mensch inmitten anderer Menschen sein kann. Alleinsein, das nicht nur physisch gemeint ist, sondern auch durch Barrieren in der Kommunikation zustande kommt, ist das durchgehende Motiv des Bandes. Doch die Gedichte heben diese Isolation zumindest in Richtung des Lesers auf, dem die Einsamkeit vermittelt wird. Die Lyrik wird zum Ausdruck einer jungen Seele, die an der Welt leidet und sich mit der Negativität der Welt doch nicht damit abfinden will. Die Suche nach einer Sprache der Verständigung  wird damit überlebenswichtig.

Der Gedichtband ist das vorläufige Ergebnis dieser Suche und zeigt, dass es um die deutsche Lyrik auch in Zukunft nicht schlecht bestellt ist. Denn für solch existenzielle Lyrik braucht es nicht nur Talent, sondern auch Mut, verletzlich und schwach zu erscheinen: gerade in Zeiten, in denen  der Mensch es vorzieht beispielsweise in sozialen Netzwerken eine perfekte Version seiner selbst zu kreieren. Der Gedichtband erscheint in einer Reihen mit dem Titel „Vorsprechen“ und lässt als erster Band der Reihe auf weitere interessante Projekte des Verlags hoffen. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Daniel Noel Fleischmann: Und die Mauern riefen sich.
Wolff Verlag, Berlin 2014.
94 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783941461161

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch