Der Unsinn des Lebens

John Cleese fragt sich in seinen Memoiren: „Wo war ich nochmal?“

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass mit John Cleese ein Mitglied von Monty Python seine Autobiographie vorlegt, ist eigentlich in mehrfacher Hinsicht ein Grund, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, eine Beschwerde beim Ministerium für alberne Gangarten einzureichen oder das eigene Auto mit einer Weidenrute zu traktieren, wie es Cleese selber in einer legendären Folge von „Fawlty Towers“ vorgemacht hat: nicht schon wieder ein Erinnerungsbüchlein aus prominenter Feder, und bitte nicht schon wieder die Geschichte des wohl einflussreichsten britischen Comedy-Exports aufgewärmt! Schließlich liegt mit „The Pythons“ eine verschwenderisch schön ausgestattete und informative Biographie des Teams vor, und existieren mit „Almost the Truth“ (2009) sowie „The Meaning of Live“ (2014) allein zwei Dokumentationen, die alle noch lebenden Mitglieder versammeln, dazu – wenn man es noch ein wenig genauer wissen mag – Michael Palins detaillierte Tagebücher („The Python Years“, 2006), von Biographien und Analysen aus fremder Feder einmal ganz zu schweigen.

Es brauchte also nicht noch ein Buch darüber, wie sich die Gruppe fand, wie der Name Monty Python entstanden ist, welche Grüppchenbildungen erst die skurrilsten Pointen und später nicht mehr zu kittende Risse zeitigten, und welche Drehschwierigkeiten Graham Chapmans Alkoholabhängigkeit den Pythons bescheren sollte. Cleese taucht denn auch nicht abermals ins Feld der bereits abgeernteten und zum Trocknen ausgelegten Anekdoten ein, sondern verlegt sich in seinen Memoiren darauf, in erster Linie seine Kindheit, Jugend und Universitätszeit, schließlich seine Jahre als Lehrling in der Welt des Showbusiness aufzuzeichnen. Der Autor gestattet sich ein kleines Postskriptum, das die Londoner Python-Reunion anno 2014 in den Blick nimmt, doch der epische Bogen endet im Jahr 1969, mit dem Zusammenfinden der sechs Komödianten, die in Film und Fernsehen Geschichte schreiben sollten. Der Fokus des Buchs liegt damit zu einem Großteil auf jenem Lebensabschnitt, den man als legendenhungriger Leser von Lebenserinnerungen wenn nicht zu überblättern, dann doch zumindest eher mit geringerem Interesse zu würdigen pflegt als diejenigen Episoden, in denen es um die Schaffung des Lebenswerks geht und die im Fall Monty Python durch die Fankultur ohnehin längst ins Reich der Mythen überführt worden sind.

Insofern sind Cleeses Memoiren für Python-Jünger vermutlich ein wenig enttäuschend geraten: Weder leisten sie eine abermalige Auseinandersetzung mit dem Mythos Monty Python, noch unternehmen sie einen Versuch, die Konventionalität der Gattung zu unterwandern oder gar hinsichtlich Abschweifungen, Kontinuitätsbrüchen und fantasievoller Ausschmückung mit der einzigen bereits vorliegenden Lebensbeichte eines Pythons, nämlich Graham Chapmans famoser „Autobiografie eines Lügners“ (im Original 1980, auf Deutsch erst 2012 erschienen) mitzuhalten. Cleese treibt zwar auch seine gelegentlichen Späße mit Phrasen und geheiligten Erzählkonventionen, führt den Leser einige Male an die Abgründe der Wortspielhölle (Yvonne Badals Übersetzung hält sehr gut mit), doch niemals wird hier der Bruch mit dem Format vollzogen. Das kann man durchaus bedauern, denn man hätte natürlich auch prima weiterleben können, ohne zu erfahren, wie die lebende Legende ihre Unschuld vor, von der Religion enttäuscht wurde und ihr Lampenfieber in den Griff bekam. Stattdessen hätte Cleese sicher auch mit etwas Ambition die Gattung der Autobiografie ein wenig auf den Kopf stellen können, wie er es in seinen besten Zeiten mit reformbedürftigen Formaten wie der Sketchrevue, der Sitcom und der Krimikomödie geschafft hat.

Dass es dennoch 480 kurzweilige und amüsante Seiten geworden sind, die auch diejenigen gut unterhalten dürften, die weder über tote Papageien noch über fußballspielende Philosophen oder sportliche Wettbewerbe im Proust-Resümieren lachen können, verdankt sich sowohl der milden Ironie, die Cleese über das eigene Leben ausgießt (glaubt man den Berichten seiner Co-Stars, dann war so viel Selbstkritik nicht unbedingt zu erwarten), als auch den durchaus gut ausgewählten Schnurren, die der wohl bekannteste und eigenwilligste Python (der als erster den „Flying Circus“ verließ und an dessen Veto die meisten Versuche einer Wiedervereinigung gescheitert sind) aus seiner Schul- und Universitätslaufbahn sowie aus seinen bislang wenig geschilderten Jahren in den USA auswählt. In seiner Schulzeit arbeitet sich Cleese vom Novizen zum Musterschüler und Lehrerassistenten hoch (die für Nicht-Engländer kaum verständlichen Regeln und Rituale im Privatschulkosmos sind deutlich als Wurzel des letzten Monty-Python-Films „Der Sinn des Lebens“ dechiffrierbar) und immatrikuliert sich mangels Begeisterung für die Naturwissenschaften im Fach Jura am Downing College in Cambridge. Sein Selbstbild ist irgendwo zwischen akademischem Hochstapler und Bummelstudent angesiedelt – ein wenig Understatement und Koketterie dürfte in Cleeses Einschätzung, er sei zu ungebildet gewesen, „um begreifen zu können, wie ungebildet ich war“, mitschwingen, auch wenn er am Studium gänzlich uninteressiert gewesen sein und das erste Staatsexamen nur dank ein paar Wochen Lernmarathon im Endspurt gepackt haben will. Den Leser nimmt es freilich für ihn ein, und aus dem mit wenig Enthusiasmus betriebenen Studium, das Cleese immerhin Zeit lässt, um bei den legendären „Cambridge Footlights“ erstmals Bühnenluft zu schnuppern, leitet er glänzend in die Lehr- und Wanderjahre als Komik-Azubi über.

Hier erfährt man dann amüsant geschilderte Interna aus der Welt der BBC, wo Cleese mit seinen ersten Sketchen hausieren ging. Da längst nicht alle Frühwerke auf DVD vorliegen, baut Cleese ein ums andere Mal (und nicht ohne Stolz) detaillierte Schilderungen und Transkriptionen der von ihm gemeinsam mit Kollegen wie Tim Brooke-Taylor oder Marty Feldman geschriebenen und aufgeführten  Sketche ins Buch ein, was den hiesigen Feuilletons dann sogar noch zu ihrem Skandälchen verhalf: Loriot hat eine der frühen Nummern nahezu im Wortlaut (für seinen Sketch „Der Astronaut“) plagiiert.

Tatsächlichen Neuigkeitswert haben die letzten Kapitel, die einen längeren Amerika-Aufenthalt Cleeses in den 1960er-Jahren schildern. Hier lernt er seine erste Ehefrau Connie Booth kennen, mit der er später die grandiose Hotelserie „Fawlty Towers“ schreiben wird (sie ist dort auch als findiges Zimmermädchen Polly zu sehen), dilettiert (ohne jegliches sängerisches Talent) in einer kleinen Rolle in einem Broadway-Musical und kehrt schließlich nach England zurück, um es (im zweiten Anlauf) zu erobern. Der Rest ist Geschichte – wenn auch nicht die Geschichte dieses Buchs.

Titelbild

John Cleese: Wo war ich noch mal? Autobiografie.
Blessing Verlag, München 2015.
450 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783896675057

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