Ein Meister des geschliffenen Wortes

Zum Tod Ludvík Vaculíks am 6. Juni 2015

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Mit seinem Manifest der „2000 Worte“ im Sommer des dramatischen Jahres 1968 ist Ludvík Vaculík über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus berühmt geworden. Damals wurde unter der Führung des charismatischen Reformkommunisten Alexander Dubček der Versuch unternommen, das verkrustete politische System in der ČSSR zu reformieren. Die Schlagworte „Prager Frühling“ und „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ mobilisierten in der damaligen Tschechoslowakei die Massen und gingen in die Weltpresse ein. Da der Druck der Gegner dieses Reformprozesses aus Moskau und Ostberlin immer deutlicher wurde, appellierte Ludvík Vaculík an die Prager Reformer wie auch an das tschechoslowakische Volk, sich jetzt nicht vom eingeschlagenen Kurs abbringen zu lassen. Wenige Wochen später erfolgte freilich die gewaltsame Niederschlagung des „Prager Frühlings“.   

Im Rahmen der politischen Konsolidierung wurde 1969 der unter der neuen Führung unter Gustáv Husák verantwortete Prozess der sogenannten „Normalisierung“ eingeleitet. Ludvík Vaculík wurde, wie hunderttausend andere reformorientierte Genossen, aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen.

Im mährischen Brumov 1926 geboren, hatte Ludvík Vaculík ursprünglich das Schuhmacherhandwerk erlernt. Seine Herkunft aus der ostmährischen Walachei hat Vaculík nie geleugnet: „Entstanden bin ich in Mähren, leben tu ich in Böhmen in Prag, begraben wird man mich wieder in Mähren: Daheim ist daheim!“ Die Herkunft aus einfachen Verhältnissen prägte seine Mentalität als lebenslustiger Mensch mit einer Bindung zum ländlichen Leben – bei festlichen Anlässen trat Vaculík auch in der landesüblichen Tracht auf.

Wenn ihm abstrakte Diskussionen zu langweilig wurden, wich er gerne auf ein Gespräch über Gärten aus. Damit irritierte er auch in den bleiernen 1970er- und 1980er-Jahren zuweilen die Beamten der Staatssicherheit, die ihn immer wieder zu Verhören vorgeladen hatten. Und Vaculík wiederum griff derlei groteske Situationen auf, um darüber ein neuen Text für das Feuilleton – stets geschliffen und pointiert – zu schreiben.

Bereits seit den 1960er-Jahren gehörten Vaculíks Erzählungen, Glossen und Romane wie „Das Beil“, „Die Meerschweinchen“ oder „Tagträume“ zu den Zeugnissen eigenständiger Stimmen in der tschechischen Literatur. Da er, wie die allermeisten der besten tschechoslowakischen Schriftsteller, während der 20 Jahre anhaltenden Phase Phase der „Normalisierung“ von der Öffentlichkeit seines Landes abgeschnitten war, gründete Vaculík kurzerhand seinen eigenen Verlag. Die „edice petlice“ (Edition hinter Schloss und Riegel) stellte eine Publikationsform im Untergrund dar, die von Hand zu Hand auf Schreibmaschinen abgetippt weitergegeben wurde. An die 400 Titel konnten auf diese Weise im sogenannten Samisdat erscheinen.

Auch nach der „samtenen Revolution“ von 1989 hat Vaculík sein Temperament als Querdenker und Tabubrecher nicht eingebüßt. Wiederholt wandte er sich entsetzt gegen das Unrecht der Vertreibung der sudetendeutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei. Dass das reformkommunistische Ringen um mehr Bürgerrechte und Freiheiten in der heutigen Zeit ausgerechnet von Persönlichkeiten kleingeredet wird, die in den schweren Jahren angepasst oder gar als Zuträger über die Runden gekommen waren, hat ihn verbittert.

Unermüdlich focht er bis zuletzt in seinen regelmäßig erscheinenden Kolumnen des „Literárny noviny“ gegen eine Mischung aus Ahnungslosigkeit und Zynismus, die sein Land heute in weitem Maße bestimmt.

Am 6. Juni 2015 starb Ludvík Vaculík im Alter von 88 Jahren in Dobřichovice bei Prag.