Finale mit Bob Geldof

Joseph O‘Connors Roman „Die wilde Ballade vom lauten Leben“

Von Friedhelm RathjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Rathjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der beliebten Fiktion „Nichts an diesem Buch ist erfunden“ lässt Joseph O’Connor seinen Ich-Erzähler die Lebensbeichte beginnen, aus der O’Connors neuester Roman besteht, und natürlich ist es die erfundene Lebensbeichte einer erfundenen Erzählerfigur, auch wenn sich in ihr Elemente realer Memoiren aus dem Rockgeschäft wiederfinden. Über einschlägige Bücher von John Lydon, Patti Smith, Pete Townshend und Neil Young hat O’Connor sich in den letzten Jahren beifällig geäußert, gelesen hat er sie wohl auch mit Blick auf die Arbeit an seinem eigenen Buch, und wer bei den genannten Namen in Begeisterungsstürme ausbricht, ist bei der Lektüre von „Die wilde Ballade vom lauten Leben“ deutlich im Vorteil. Ob das hinreicht, bei dieser Lektüre wirklich auf die Kosten für die investierte Lesezeit zu kommen, ist eine andere Frage, denn nicht nur O’Connors Erzähler ist fiktiv, ebenso fiktiv sind die Songs, die er und seine Band im Buch spielen – hören werden wir sie nie.

Robbie Goulding heißt der Erzähler, der aus dem Jahr 2012 auf seine wilden Jahre zurückblickt, insbesondere auf die als sozusagen erfolgreich gescheiterter Rockstar. Alles beginnt für ihn im Oktober 1981, als er den „besten Gefährten überhaupt“ kennenlernt, einen schrägen Vogel vietnamesischer Herkunft mit Hang zu Frauenkleidern und Schminke, der von brutalen irischen Pflegeeltern mehr ver- als aufgezogen wurde: Francis Mulvey. Francis und Robbie bekämpfen ihren gemeinsamen „Studentenbuden-Blues“ in der ödesten englischen Provinz („Wenn man den Wasserkocher einsteckt, wird die Straßenbeleuchtung dunkler“), indem sie „Glimmertwin-Kumpel“ werden und zu den „sechstbesten Straßenmusikern von Luton“ heranreifen. Das Studium droht derweil vor die Hunde zu gehen, aber es gibt Schlimmeres, etwa die Befürchtung, irgendwann „unter ‚Easy Listening‘ landen“ zu müssen, weil sie nur zwei Akustikschrammler sind und keine Rockband. Selbst als die Cellistin und Bassistin Trez zu ihnen stößt und dann auch noch deren Zwillingsbruder, der Schlagzeuger Seán, hat Robbie immer noch den „Verdacht, wir seien überhaupt keine ‚Band‘, nur ein paar Außenseiter mit Instrumenten.“

Um das zu ändern, muss zunächst ein selbstproduziertes Demo-Band her, dann eine professionelle Aufnahme, deren Produktion höllisch teuer ist, die sich aber an Radiostationen und wichtige Leute verschicken lässt. Die Hoffnungen der Band, die vielleicht gar keine ist, werden auf erschreckend harte Proben gestellt, Trez und Seán und selbst Francis schauen sich nach anderen Lebensperspektiven um, nur Erzähler Robbie will seine einzige Chance nicht aufgeben: „Als am wenigsten begabter Musiker liebte ich die Band am meisten.“ Dann geschieht das Wunder, ein doppeltes sogar: John Peel will eine Aufnahme mit ihnen machen, sie erhalten sogar eine Einladung zu „Top of the Pops“, der Durchbruch steht bevor – doch all das endet in einem doppelten Fiasko, und die „Ships in the Night“ lösen sich auf.

Mehr oder weniger als Ex-Band finden die vier sich in Amerika wieder, zelebrieren „eine zunehmende chemische Loslösung von der Realität“ und erleben ein drittes Wunder, ihre von einem selbstlosen Produzenten (wie gesagt, die Geschichte ist fiktiv!) betriebene Wiederauferstehung als Band, eine selbstmörderische US-Tour und dann doch noch den Ruhm, zu den Größten zu gehören. Sie sind Weltstars auf Zeit, auf sehr kurze Zeit genauer gesagt, denn jetzt steigt Frontmann Francis aus – und die Geschichte ist zu Ende. Eigentlich.

Nun kann zwar die Geschichte einer Band so schnell zu Ende sein, wie sie begonnen hat, die Geschichte vierer noch blutjunger Menschen, die eine berühmte Band waren, aber noch lange nicht. Gegen seine Gewohnheit überaus knapp rafft Robbie die nachfolgenden 25 Jahre zusammen, mit Musik will er nichts mehr zu tun haben, sein Leben geht in die Brüche, mit Francis verkehrt er höchstens noch über Anwälte – bis zu jenem einen, einzigen und letzten Auftritt in Dublin anno 2012, bei dem Bob Geldof die Ehre hat, ihr Vorprogramm zu gestalten. Wenn es denn Wirklichkeit wird und nicht wieder alles schiefgeht (es sei hier nicht verraten).

Diese ganze einerseits unglaubliche andererseits sämtliche Klischees bestätigende Geschichte von Aufstieg und Fall im Rockbusiness spinnt Joseph O’Connor durchweg munter und gekonnt aus, so munter und gekonnt leider, dass des Erzählers von seiner Tochter beklagte „Fassade an schlechten Witzen“ allzu selten Risse bekommt. So ausführlich und anschaulich auch von Frust, Scheitern, Abstürzen und geplatzten Hoffnungen die Rede ist, so wenig vermag ihre Schilderung in einem meist krampfhaft witzigen Tonfall zu berühren, und die überreichen Details der Geschichte scheitern an der Klippe der Beliebigkeit. Robbies Tochter hat allzu recht, wenn sie stöhnt: „Dad gehört zu diesen Iren, die ewig lange brauchen, um eine Story zu erzählen.“ Die Faszinationskraft, die wahren Lebensgeschichten aus dem Rockgeschäft oft selbst dann eignet, wenn sie schlecht erzählt werden, geht dieser fiktiven Rockbiographie ab, weil wir sie mit keinem realen Soundtrack untermalen können. Das Buch bleibt stumm.

Für Joseph O’Connor ist dieser Roman ebenso ein Comeback-Versuch im Rock-Genre wie der finale Auftritt für seine „Ships in the Night“, begann er doch 1991 seine Karriere mit „Cowboy und Indianer“, einem Roman um einen gescheiterten Punk-Musiker. Jener Erstling war kein Meisterwerk, gab aber zu Hoffnungen Anlass, die der Autor zunächst enttäuschte. Erst als er sich für längere Zeit Stoffen aus der Vergangenheit zu- und vom dauerwitzelnden Jugendjargon seiner Generation abwandte, schrieb er sich in die vorderste Riege der irischen Gegenwartsliteratur vor. „Die wilde Ballade vom lauten Leben“ zeigt, dass er heute weitaus geschmeidiger und professioneller zu schreiben versteht als zu Beginn seiner Karriere, aber auch, dass die Themen und Sprechweisen seiner eigenen Generation ihm offenbar zu nahe sind, als dass er sie literarisch bewältigen könnte. Er fällt zurück in den journalistischen Munterkeitsmodus jener auf Witz getrimmten Sachbücher, mit denen er in den 1990er-Jahren auf einem Nebenschauplatz der Schriftstellerei reüssierte („The Secret World Of The Irish Male“, „The Irish Male at Home and Abroad“ und „Sweet Liberty: Travels in Irish America“). Für den literarischen großen Wurf, wie er ihn uns zuletzt mit mehreren grandiosen Romanen (vor allem „Wo die Helden schlafen“ und „Irrlicht“) geboten hat, braucht er offensichtlich die Distanz zur eigenen Lebenswelt. Die Rockmusik möge er künftig wieder seiner Schwester Sinéad überlassen, die im vorliegenden Roman an historisch inkorrekter Stelle auftaucht, oder notfalls auch Sir Bob Geldof, der in diesem Roman seinen überreichlichen Anteil an Lob abbekommt und sich dafür mit völlig überzogenen Klappentextanpreisungen bedankt hat.

Titelbild

Joseph O'Connor: Die wilde Ballade vom lauten Leben. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Malte Krutzsch.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
416 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783100022967

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