Die sensuelle Gewalt einer militanten Romantikerin

FALKNERs ‚Sehnsuchtsmanifest‘ ist zu Gast beim Ingeborg-Bachmann-Preis

Von Emily JeuckensRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emily Jeuckens

Eine Wiese, Beton und elektronische Musik – dazu ein Nachname in Majuskeln, der nicht einmal das Geschlecht seiner Trägerin verrät und zugleich der Berufsbezeichnung eines Greifvogelliebhabers entspricht. Eigenwillig negiert schon FALKNERs  Videoporträt den vorherrschenden Duktus der übrigen Autorenporträts. Ein Großteil der geladenen Autoren der 28. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt stellt sich in Interviewformaten oder mit Leseproben vor. FALKNER selbst bleibt in diesen anderthalb Minuten ihrem performativen Versteckspiel treu: Die 1970 in Oberösterreich geborene Autorin Michaela Falkner begann nach ihrer Promotion in politischer Psychologie (Thema: Verbale Konstrukte) ihren Nachnamen als Pseudonym für Veröffentlichungen von Regie- und Prosawerken, Installationen und „interventionistischen“ Kunstperformances sowie politischen Manifesten zu verwenden. Dieser Kunstgriff erlaubt es ihr, den eigenen Namen als Kollektiv in der dritten Person zu verwenden: „Der Gestus von Falkners Texten ist ein theatralisch deklamatorischer“, verkündet ihre (nicht mehr erreichbare) Homepage.

Die Abgrenzung der öffentlich agierenden Kunstfigur FALKNER und der privaten Schriftstellerin Michaela Falkner ist eine geschickt gewählte. 2011 erschien der Text Du blutest, du blutest, den der Residenzverlag mangels einer Gattungsdebatte als „Roman“ deklarierte. Die Autorin selbst reiht ihn in die Sammlung ihrer 49 Manifeste ein, die kürzeste Poesie, Regie- und Hörspielarbeiten sowie mehrstündige politische Statements umfassen. Ihre Prosa ist brutal und parataktisch, in ihrer Dichte und Kraft lässt sie dem Publikum keinen Platz für Interpretationen und kaum Zeit zum Luftholen. Du blutest, du blutest zeichnet eine dystopische, brutale Welt nach einem nicht näher erklärten Kriegsausbruch. Eine Gruppe von Kindern – brutal, boshaft und in ihrer Anarchie unschuldig – zieht durch die zerstörten Straßen Wiens, zwischen den Trümmern der alten Welt tyrannisieren sie sich und andere Überlebende. „Die Kinder hängen am Baum“ –  dieser letzte Satz setzt das Fanal unter einen atemlosen Text mit albtraumhaften Zügen, der das Golding’sche Herr der Fliegen-Motiv um politische Anklage und Pathos erweitert. 2007 und 2008 veranstaltete FALKNER unter dem Titel Yearning Creatures zwischen 72 und 120 Stunden dauernde Kunstperformances, in welchen sie bis zum Rande des Zusammenbruchs teilweise nackt, teilweise im Schlamm robbend durch den Grazer Stadtpark wandelte, sich als „Fleisch gewordenes Wort“ bezeichnete und jede verfügbare Fläche mit Parolen, Zitaten und politischen Forderungen beschrieb. Als FALKNER scheut sie die Vereinfachung, die Performanz der eigenen Ergriffenheit und die Inszenierung als politisches Sprachrohr einer nicht näher definierten Bewegung mit tendenziell linksorientierten Zielen nicht.

Tritt jedoch Michaela Falkner als Autorin in Interviews auf, verschwinden die große Geste und der unbedingte Wille zur Reduzierung des eigenen Werkes auf katalogisierte Nummern unter dem indifferenten Titel: Entwicklung einer Welt- und Sehnsuchtsformel. Im Gespräch mit Feuilletonisten formuliert die Autorin bedacht und umsichtig, sie lauscht aufmerksam, wartet ab und forscht lange nach der richtigen Antwort. „Mein Bezug zu Texten und zum Schreiben ist ein sehr körperlicher, für mich auch ein wahnsinnig anstrengender. Ich spüre jeden Buchstaben, jedes k, jedes m und wie ich ihn aus mir herausziehe ist körperlich anstrengend. Es ist ja ein schöpfender, ein erschöpfender Akt sich etwas abzuringen, etwas das einem ganz nahe ist“, sagte sie 2014 im Gespräch mit Heinz Sichrovsky in der Gesprächsrunde ERLESEN. Eine militante Romantikerin sei sie unter dem Deckmantel des Pseudonyms; am Schreibtisch, als Michaela Falkner, versuche sie jedoch, die eigene Verletzlichkeit nicht zu verlieren.

Als FALKNER liest sie auf Einladung von Klaus Kastberger aus ihrem 47. Manifest, welches sie als „sehr dialogischen Text“ bezeichnet.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen