Beinahe ein bisschen zu gut

Valerie Fritsch liest bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur auf Einladung von Klaus Kastberger

Von Nils DemetryRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Demetry

Die Tour de France, die am 4. Juli nur einen Tag vor der Vergabe des 39. Ingeborg-Bachmann-Preises starten wird, kennt den maillot blanc, das weiße Trikot, das den besten Jungprofi der Rundfahrt auszeichnet. Und auch wenn das Bild des Bachmannpreises als (Tor)Tour nicht ganz aufgehen mag: Die Versuchung, mit diesem Vergleich einzusteigen, ist zu groß. Denn mit Valerie Fritsch (Jahrgang 1989) und Ronja von Rönne (Jahrgang 1992) lesen zwei Autorinnen, die nicht nur noch deutlich von der Dreißig entfernt sind, sondern obendrein auf verschiedene Weisen schon jetzt provozieren: Die eine (von Rönne) durch wütende Essays, die andere (Fritsch) – wenngleich mit viel weniger Lärm – durch ihren Hang zur stilistischen Perfektion.

In Graz und Kärnten aufgewachsen, studierte Fritsch an der Akademie für angewandte Photographie in Graz, ihr Debüt, Die VerkörperungEN, erschien bereits 2011 bei Leykam. Für das Porträt-Video der Sechsundzwanzigjährigen hat sie mit dem Regisseur Matthias Zuder zusammengearbeitet: Eine an die Arbeiten David Lynchs erinnernde Gartengesellschaft, unter die sich die Autorin (mit brennenden Haaren) gemischt hat und während derer kein Wort gesprochen wird.

In Die Welt ist meine Innerei (2012), „ganz alte Texte von meinen ersten Reisen“ (Valerie Fritsch im Interview mit der „Kleinen Zeitung“), leuchtet ihr Talent bereits auf: Sie schafft es, mithilfe ihrer lockeren Reiseerzählungen, während derer u.a. Peru, Moskau und Thailand besucht werden, „poetische Tableaux zu entwerfen, auf denen man verweilen und der Zeit beim Vergehen, Verletzen und Verheilen zusehen kann.“ (Clemens Setz).

Mehr noch: Selbst den meisten Lesern nur zu bekannten Städten wie Amsterdam oder Berlin ringt Fritsch mithilfe ihrer bereits hier deutlich werdenden Begabung neue Eindrücke ab und der Bericht über Äthiopien, in dem so gut wie alle gängigen Klischees vermieden werden, gehört zu den bewegendsten und eindrücklichsten Passagen:

„Armut ist eine zermürbende Kulisse. Wenn man sie lange genug gesehen hat, hört man auf, an sie zu glauben und beginnt stattdessen ausgiebig zu hoffen. Nichts tut so weh wie Hoffnungen, die ein herzloses Stück Welt enttäuscht, weil sie es nicht besser weiß. Dann sitzt man in einem Klappstuhl über dem Abgrund und dem Affengeschrei der Steppe und trinkt Bier mit einem Engländer im einzigen Hotel des Südens. Dann misst man die Tiefe des Unglücks aus und schließlich das breite Lächeln, die weißen Zähne, den gutgelaunten Blick eines Abenteurers. Es ist der erste weiße Mann, den ich seit vielen Wochen sehe. Liebster, es ist ein Mann, den ich lieben könnte, weil er: so mitten auf der Welt ist und: mit mir hofft.“

Ihr zweiter Roman, Winters Garten, wurde von der Kritik sehr positiv aufgenommen. Gelobt wurde vor allem die Sprache, die „unerwartete ‚Abzweigungen‘ nimmt“ (Wiebke Porombka in der FAZ), die jedoch Teilen der Kritik „zu künstlich“ gerät (Dana Buchzik in der Süddeutschen Zeitung). Paul Jandl (Die Welt) erschien der Roman sogar „ein bisschen zu gut erzählt“.

Fritsch hat in ihrem jungen Alter bereits ein bemerkenswertes Œuvre vorzuweisen, das, neben den bereits erwähnten Romanen, auch Erzählbände (Das Alphabet der Kindheit und Die Großstädter. Der Mensch im Brennpunkt der Metropole, beide 2012) und eine Lyrikpublikation (kinder der unschärferelation, 2015) umfasst. Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem „Literaturpreis der Stadt Graz“ (2010), dem „Minna-Kautsky-Literaturpreis“ (2010) und dem „rotahorn-Preis der manuskripte“ (2014) ausgezeichnet.

Ihren Wettbewerbstext, so verriet Fritsch in einem Gespräch, schrieb sie innerhalb weniger Tage extra für den Bachmann-Preis und es steht zu vermuten, dass ihre Neigung zur sprachlichen Perfektion auch in der anschließenden Jury-Diskussion (und dann vielleicht nicht nur positiv) thematisiert werden wird. Doch die beiden Anwärterinnen auf den (fiktiven) maillot jaune, von Rönne und Fritsch, können sich schon jetzt sicher sein, auch über die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur hinaus in den kommenden Jahren eine nicht unbedeutende Rolle im Literaturbetrieb zu spielen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen