Die weibliche Seite des Sturms

Die Kunsthistorikerin Karla Bilang stellt die Künstlerinnen der Sturm-Galerie von Herwarth Walden vor

Von Katharina RudolphRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Rudolph

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch ist ein eigentümlicher Gattungs-Zwitter. Und seine Doppelexistenz schadet ihm. „Frauen im ‚Sturm‘. Künstlerinnen der Moderne“, geschrieben von der freischaffenden Kunsthistorikerin Karla Bilang, changiert zwischen wissenschaftlicher Monographie und Sachbuch. Es scheint, als habe die Autorin sich einfach nicht entscheiden können, wer denn nun eigentlich ihre Leser sein sollen. Experten oder Laien? Ausgesprochen gelungen wirkt das Buch nach rund 290 Seiten Lektüre dann weder aus der einen noch aus der anderen Perspektive. Was schade ist, denn Bilang widmet sich einem durchaus spannenden, bisher nur wenig bearbeiteten Thema: Der Rolle und Bedeutung der Künstlerinnen – über ihre männlichen Kollegen ist bereits viel gesagt worden – im Sturm-Imperium des deutschen Verlegers und Galeristen Herwarth Walden zwischen 1910 und etwa 1930.

Walden, der eigentlich Georg Lewin hieß und von seiner ersten Ehefrau, der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler, sein Pseudonym bekommen hatte, gründete 1910 in Berlin die Zeitschrift „Der Sturm“, die in kurzer Zeit zu einer der wichtigsten Publikationen der literarischen und künstlerischen Avantgarde avancierte. Hier wurden Bilder oder Texte veröffentlicht von Alfred Döblin, Karl Kraus, Kurt Schwitters, René Schickele, Else Lasker-Schüler, Guillaume Apollinaire, Franz Marc, László Moholy-Nagy, Albert Ehrenstein, August Stramm, Max Brod, Oskar Kokoschka, Fernand Léger, Hans Arp, Claire Goll, Marc Chagall und Paul Klee. Der heute wenig bekannte Autor Rudolf Kurtz verkündete in der ersten Nummer Programmatisches: „Wir wollen sie“, gemeint sind die Leser, „nicht unterhalten. Wir wollen ihnen ihr bequemes ernst-erhabenes Weltbild tückisch demolieren. Denn wir halten ihren Ernst für Lebensträgheit, Hinterwäldler-Dumpfheit. […] Mit der provokantesten Geste werden wir jede Aeußerung dieser Kultur verhöhnen, die statt der Ausschöpfung des Lebens auf Erhaltung ihrer Konventionen abzielt“. – Kämpferisches Pathos, das kennzeichnend war für eine junge Generation von Künstlern und Intellektuellen vor dem Ersten Weltkrieg. Im Verlauf der Jahre entstanden neben der Zeitschrift eine Sturm-Kunstschule, eine Sturm-Buchhandlung, eine Sturm-Bühne, Sturm-Bücher, Sturm-Künstlermappen, Sturm-Abende. Und im März 1912 eröffnete die Sturm-Galerie. Mit den dort gezeigten oder von dort organisierten Ausstellungen verhalf Walden vielen ganz unterschiedlichen Künstlern vor allem aus Deutschland, Frankreich und Russland, deren Stile man heute unter dem Begriff „Klassische Moderne“ subsummiert, zu großer Verbreitung, ja teils zum Durchbruch.

Karla Bilang nun befasst sich mit der weiblichen Seite des Sturms, indem sie rund 30 biographische Porträts, etwa von Gabriele Münter, Marianne von Werefkin oder Sonia Delaunay, aber auch von heute weniger bekannten Künstlerinnen wie Jacoba von Heemskerck, Marcelle Cahn oder Lis Deinhardt aneinanderreiht. Dem interessierten Leser macht sie es dabei unter anderem dadurch schwer, dass immer wieder erklärende Zusätze fehlen, die das Gesagte einordnen und es in einen größeren Zusammenhang stellen. So wird zum Beispiel erwähnt, die aus der Ukraine stammende Malerin Elisabeth Epstein habe die Kunstschule von Anton Ažbe besucht, ohne zu erläutern, dass es sich bei der Ažbe-Schule um eine der damals bedeutendsten privaten Münchner Malschulen handelte, modern und international ausgerichtet, und dass es ein Privileg und zugleich eine Auszeichnung war, dort unterrichtet zu werden. Oder es heißt über einige Bilder der Russin Natalja Gontscharowa, sie ließen „über die Eigenständigkeit des rayonistischen Weges keinen Zweifel“. Rayonistisch? Was bitte? Hätte die Autorin nicht hinzufügen können, was Rayonismus eigentlich ist? Ein Stil nämlich, den Gontscharowa zusammen mit ihrem Lebensgefährten Michail Larionow entwickelt hat und bei dem Gegenstände in Farbstreifen aufgelöst werden, die als Lichtstrahlen gedacht sind.

Nun wäre einzuwenden, zumindest der Experte, der mit allen Ismen der Kunstgeschichtsschreibung vertraut ist, sollte auch ohne solche Erläuterungen auskommen. Das kann er durchaus. Allerdings dürfte ihm anderes fehlen. Zwar hat das Buch, wie für eine wissenschaftliche Publikation üblich, einen Anmerkungsapparat, doch werden Annahmen und Aussagen der Autorin nur selten mit Sekundärliteratur unterfüttert. Fußnoten dienen hier hauptsächlich dazu, dem Leser mitzuteilen, wo welche Zitate nachzuschlagen sind. Das ist ein bisschen wenig. Auch wirkt manches oberflächlich, weil die Autorin ihre Ausführungen nicht immer ausreichend präzisiert und begründet. Da schreibt sie etwa über die niederländische Künstlerin Jacoba van Heemskerck: Sie „vertrat bei aller Begeisterung für den ‚Sturm‘ stets ihre eigenen Positionen. Als Walden sich um 1919 der kommunistischen Bewegung anschloss, wurde der Kontakt von ihrer Seite förmlicher.“ Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Warum wurde der Kontakt förmlicher? War Heemskerck Anti-Kommunistin? Oder mochte sie einfach keine politischen Parteien? 

Man kann dieses Buch mit Gewinn lesen. Als knappe Einführung zu den Sturm-Frauen ganz allgemein – dann am besten Einleitung und Resümee anschauen – oder als eine Art Nachschlagewerk zu den einzelnen Künstlerinnen und deren Aktivitäten im Sturm, die die Autorin, das ist ein Verdienst dieses Werkes, mit vielen historischen Quellen en détail recherchiert hat. Zur mitreißenden und erkenntnistiefen Lektüre allerdings taugt es nicht.

Titelbild

Karla Bilang: Frauen im "STURM". Künstlerinnen der Moderne.
AvivA Verlag, Berlin 2013.
286 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783932338571

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