Heinrich Bölls Aktualität

Zum 30. Todestag des Kölner Literaturnobelpreisträgers

Von Dieter KaltwasserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Kaltwasser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bücher wie „Irisches Tagebuch“, „Ansichten eines Clowns“, „Gruppenbild mit Dame“ oder „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ sind noch heute Schullektüre. Heinrich Böll gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde Bölls Werk 1972 in Stockholm mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

Heinrich Böll kam 1917 in der südlichen Kölner Neustadt zur Welt. Er hat lange Zeit in seiner Heimatstadt gelebt und gearbeitet. Kaum ein Schriftsteller ist im Bewusstsein seiner Leser so sehr mit einer Stadt verbunden wie Böll mit Köln. In einem Text aus dem Jahr 1959 nennt er seine väterlichen Vorfahren britische Katholiken, die „der Staatsreligion Heinrichs VIII. die Emigration vorzogen“ und von Holland herauf als Schiffszimmerleute und Tischler rheinaufwärts zogen. „Die Vorfahren mütterlicherseits waren Bauern und Bierbrauer“, die in einer Generation wohlhabend lebten und in der nächsten verschwenderisch, „bis sich im letzen Zweig, aus dem meine Mutter stammte, alle Weltverachtung sammelte und der Name erlosch“. Der Schriftsteller verband mit Köln etwas Niederländisches: „Ich entdecke das wieder, wenn ich manchmal in Utrecht bin, in Antwerpen bin, Brügge, Gent. Es war was sehr Niederländisches. Leider nicht im politischen Sinne. Wir waren Deutsche und werden wohl welche bleiben.“

Böll ist nicht nur als Schriftsteller bekannt, sondern als Verfechter einer kritischen Publizität, auch sein politisches Engagement sorgte für Aufsehen und Zeit seines Lebens für erregte Diskussionen in der medialen Öffentlichkeit. So warb er 1969 im Bundestagswahlkampf offensiv für Willy Brandt, auch sein leidenschaftliches Eintreten für die Friedensbewegung erhitzte die Gemüter. In seinen Werken beschreibt Böll die frühere und mittlere Bonner Republik. Und er mischte sich ein, immer wieder, und geriet sogar in Verdacht, mit der RAF zu sympathisieren. Heute, 30 Jahre nach seinem Tod am 16. Juli 1985, berufen sich auch Konservative auf ihn, den kritischen Katholiken.

Dass seine Heimatstadt Köln zur starken Solidarität Böll gegenüber fähig war, bewies sie mehrfach. So kontrovers die Beziehungen zwischen ihr und dem Schriftsteller auch waren, so  kritisch die Äußerungen auf beiden Seiten, beschloss der Rat der Stadt im Jahr 1982, Böll die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. 1977 gab es zum 60. Geburtstag einen Empfang im Kölner Rathaus, ein Zeichen besonderer Wertschätzung angesichts der im „Deutschen Herbst“ kulminierenden Hetze gegen ihn und seine Familie. Seit 1985 wird der Heinrich-Böll-Preis von der Stadt Köln im Gedenken an den Literaturnobelpreisträger verliehen.

2015 feiert auch die Verfilmung der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“ ihr Jubiläum. Sie wurde von Volker Schlöndorff, der in den 1970er-Jahren auch die „Blechtrommel“ von Günter Grass verfilmte, und Margarethe von Trotta gedreht und basiert auf der 1974 erschienenen gleichnamigen Erzählung von Böll. Sie handelt von einer bisher unbescholtenen Frau, die wegen ihrer Freundschaft zu einem Straftäter Opfer der menschenverachtenden Berichterstattung der Boulevardpresse wird. In einer Vorbemerkung schreibt Böll: „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ Der Autor betrachtete seine Erzählung als ein Pamphlet. Daher ist Bölls Erzählung nicht nur eine gesellschaftskritische Betrachtung der 1970er-Jahre, sondern darüber hinaus eine Beschreibung der wirklichkeitsverzerrenden Manipulationen durch die Massenmedien – und sie hat an ihrer Aktualität nichts verloren.

Dass Widerstand ein Freiheitsrecht ist, wurde Böll Zeit seines Schaffens nicht müde zu betonen. Diese Haltung führt direkt zum „Empört Euch!“ von Stéphane Hessel und verbindet ihn noch mit der Occupy-Bewegung der Gegenwart. Böll lehnte sich auf gegen Notstandsgesetze und Radikalenerlass, gegen Willkür, wo immer sie ihm begegnete. 1972 fand er auf einem Parteitag der SPD Worte, die bereits damals irritierten und es noch immer tun: „Es gibt nicht nur eine Gewalt auf der Straße, Gewalt in Bomben, Pistolen, Knüppeln und Steinen, es gibt auch Gewalt und Gewalten, die auf der Bank liegen und an der Börse hoch gehandelt werden.“

In dem Roman „Fürsorgliche Belagerung“, der 1979 erschien und die Bundesrepublik als Überwachungsstaat beschreibt, bemängelte die deutsche Literaturkritik „literarische Schwächen“. Die Kritik rieb sich allerdings auch immer heftiger an Bölls politischen Ansichten und Aktivitäten. Es gibt zudem Literaturkritiker, die Böll nicht zu den Großen seiner Zunft zählen, schriebe er doch so „schlicht wie die so beliebten zeitgenössischen Amerikaner“. Während der Vergleich schon für sich und gegen die Behauptung spricht, ignoriert er zugleich, dass es für Böll keine scharfe Trennungslinie zwischen Prosa und Essay gab. Böll hält in seinem Werk der Gesellschaft das entgegen, was sie in ihrem alltäglichen Wortgebrauch unterschlägt. Bereits Theodor W. Adorno zollte ihm dafür seinen Respekt. In seinen „Frankfurter Vorlesungen“ beschreibt Böll, das eigentliche Vorhaben eines Autors sei „die Sprache, in der er schreibt, bewohnbar zu machen“, als „Suche nach einer bewohnbaren Sprache in einem bewohnbaren Land“.

Die Schriften und Reden über Literatur, Politik und Zeitgeschichte waren für Böll ein integraler Bestandteil seines literarischen Schaffens. Daher werden sie in der Kölner Ausgabe seiner Werke in chronologischer Folge geführt. Seit 2011 liegt in seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch eine kommentierte Auswahl der „einschlägigen“ Texte vor: Vom „Bekenntnis zur Trümmerliteratur“ über „Gibt es die deutsche Story?“, „Ich gehöre keiner Gruppe an“ und den „Frankfurter Vorlesungen“ bis zu „So viel Liebe auf einmal. Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?“. In ihnen äußerte sich Böll zu dem, was ihn gerade bewegte, und er sagte in den Texten das, was andere nicht zu sagen wagten. Bölls Selbstverständnis nach bilden die Essays, Kritiken und Reden keine von seiner literarischen Produktion separate Sphäre: „wenn sie schön ärgerlich sind, ist es gerade das Literarische an ihnen, sagen wir meinetwegen das Poetische daran, das Gefährliche …“

Die oft als „östliche Zwillingsschwester“ von Heinrich Böll genannte Christa Wolf fand am Ende ihrer Festrede auf der Matinee zum 80. Geburtstag Bölls im Jahr 1997 in Berlin die eindrucksvollen Worte:

Karoline von Günderrode, aus dem Rheinland gebürtig wie Heinrich Böll, hat gesagt: ‚Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.‘ Das ist nun bald zweihundert Jahre her. Der Atem der Hoffnung zieht, manchmal beinahe erstickt, durch die Jahrhunderte. Nicht eine bläßliche, schwächliche, tatenarme Hoffnung meine ich. Ich meine jene unersättliche, ununterdrückbare, brüllende Hoffnung, von der Böll schreibt: ‚Die Hoffnung ist wie ein wildes Tier.‘ Sie habe ich in Heinrich Bölls Lebensfreude, die sein ganzes Werk trägt, in seinem Humor, seiner Menschenliebe und in seiner Unerbittlichkeit gespürt.

Titelbild

Heinrich Böll: Widerstand ist ein Freiheitsrecht. Schriften und Reden zu Literatur, Politik und Zeitgeschichte.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011.
992 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783462043716

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