Kindsraub, Krebs und KGB

In Thomas Wendrichs Debütroman „Eine Rose für Putin“ verbirgt sich hinter jeder Geschichte eine weitere

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während sich auf einem Rastplatz im Sächsischen Tennisfreaks um einen Kofferfernseher versammeln, um Boris Beckers spektakuläres Wimbledon-Finale gegen Kevin Curren zu verfolgen, verschwindet aus dem Auto eines dieser Männer die knapp ein Jahr alte Rose. Für Sportfans bleibt jener 7. Juli 1985, an dem der gerade einmal 17 Jahre alte Becker als jüngster Spieler aller Zeiten zum ersten Mal den Tennisthron bestieg, unvergessen. Für den Vater von Rose, einen jungen Installateur, unterwegs um in einem Ausflugsrestaurant eine eilige Reparatur zu erledigen – natürlich, wie das in der DDR nicht unüblich war, schwarz und mit Materialien, die er vorher in seinem Betrieb „abgezweigt“ hatte – entwickelt sich derselbe Tag jedoch zum Beginn eines lebenslangen Albtraums.

Denn Rose bleibt verschwunden. Und obwohl der Verdacht schnell auf Angehörige der in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte fällt, wird jeder Versuch von ostdeutschen Kriminalpolizisten, hinter den Kasernenmauern der „Freunde“ zu ermitteln, vom militärischen Geheimdienst in Dresden und dessen damaligem Chef Wladimir Putin abgeblockt.

Mehr als zwei Jahrzehnte später begeben sich ein Regisseur und sein Drehbuchautor ins uckermärkische Schlehdorf, um in ländlicher Abgeschiedenheit und Tatortnähe den Fall der kleinen Rose zu einem bewegenden Film zu machen. Schnell kommen sie überein, dass die Geschichte auf Zuschauer ihrer Tage noch besser wirken würde, wenn man sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart herüberholte. Und so entsteht in Thomas Wendrichs Debütroman „Eine Rose für Putin“ noch eine dritte Erzählebene, die sich um die Familie eines aufstrebenden Dresdner FDP-Politikers dreht, der den Raub seiner Tochter Marie dazu benutzt, um im Wahlkampf Gefühlspunkte zu sammeln.

Thomas Wendrich (Jahrgang 1971) arbeitete bisher hauptsächlich als Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur. Filme wie „Lenz“ (2010), „Freie Radikale“ (2012) und „Ich und Kaminski“ (2015) nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann aus dem Jahr 2003 stammen aus seiner Feder. Es kann daher kaum verwundern, dass sich in seinem Romanerstling vordergründig nicht nur alles um das Ringen zweier Männer um ein Filmskript dreht, sondern dass das Buch sich technisch auch des einen oder anderen Tricks aus der Werkstatt der Filmemacher bedient: Szenisches Erzählen, Off-Kommentare, Überblendungen, Perspektiv- und Blickwinkelwechsel, Vor- und Rückblenden, Montagen, Drehbuchanweisungen – all das wird von Wendrich souverän eingesetzt, um Tempo und Struktur in sein Erzählen zu bekommen und im Labyrinth der verschiedenen Erzählebenen den roten Faden nicht zu verlieren.

Als wichtigstes romantechnisches Mittel fungiert aber das der fiktiven Herausgeberschaft. „Eine Rose für Putin“ kommt als „die unvollendeten Aufzeichnungen des Johann Stadt“ daher, die vom Autor Thomas Wendrich, der sich als Schulfreund von Stadt vorstellt, nur herausgegeben und nach 70 an die Leser übermittelten „Blättern“ mit einem Nachwort versehen werden. Man kennt eine solche „Tarnung“ der Autorschaft in der Gegenwart bereits von Ingo Schulze oder Walter Moers. Literaturgeschichtlich arbeiten Goethes „Werther“ sowie Werke von E.T.A.Hoffmann und Jean Paul recht erfolgreich mit ähnlichen Inszenierungsspielarten des Fiktiven.

Wendrich nutzt die Herausgeberfiktion vor allem dazu, Distanz zum Erzählten herzustellen. Denn die Dinge, die Johann Stadt über den gemeinsamen Arbeitsaufenthalt mit M., dem Regisseur, in seinen Aufzeichnungen festhält, werden immer mysteriöser. Sie gipfeln im Tod des Regisseurs, der nicht zufällig die Initiale von Johann Stadts eigenem Erzeuger trägt, und dem Mord an einer Postfrau, für den Wendrichs Held die Verantwortung übernimmt. Am Ende landet er in der geschlossenen Psychiatrie, wo er die Gelegenheit erhält, seine „Aufzeichnungen“ zu Papier zu bringen. Sein – offensichtlich von Ex-KGB-Agenten gewaltsam herbeigeführter – Tod in der Anstalt führt dann dazu, dass die Aufzeichnungen in die Hände ihres späteren Herausgebers geraten, der sie entgegen den wohlmeinenden Ratschlägen etlicher in den Fall um die kleine Rose verwickelter Personen schließlich öffentlich macht.

Die geschickt inszenierte Darbietungsform der Geschichte erlaubt es Wendrich obendrein, darauf hinzuweisen, wie viel von dem, was seine Hauptfigur für das geplante Filmprojekt ermittelt beziehungsweise auf der fiktionalen Ebene erfindet, in ihrer eigenen Psyche gründet. Denn auch Johann Stadt wuchs bei Pflegeeltern auf, lernte seine leibliche Mutter spät, den Vater, der in Wahrheit sein Großvater war, nie kennen.

„Eine Rose für Putin“ ist das vielversprechende Debüt eines Erzählers, der es geschickt versteht, verschiedene Geschichten miteinander zu verknüpfen, Realität und Fiktion auf oft ununterscheidbare Art und Weise ineinanderfließen zu lassen und sich dazu geschickt aus dem vorhandenen Arsenal literarischer Mittel und Motive zu bedienen. Das Buch, teils Kriminal- und Agentenroman, teils psychologische Studie einer vereinsamten, ihre Wurzeln suchenden Existenz, fesselt seine Leser bis zur letzten Seite.

Titelbild

Thomas Wendrich: Eine Rose für Putin. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2015.
318 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783827012630

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