Herzschlag und Brennstoff des Denkens

Hofstadter und Sander über die Bedeutung von Analogien in Sprache und Kognition

Von Wolfgang KrohnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Krohn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Douglas Hofstadter wurde weltweit bekannt durch sein 1979 erschienenes Gödel, Escher, Bach: Ein endloses geflochtenes Band (dt. 1985). Das Buch spürte den Kapriolen der natürlichen und künstlichen Intelligenz nach und fesselte durch eine kreative Mischung aus Stilelementen und Themen, die ein breit über die Disziplinen gestreutes Publikum durch Lesevergnügen, computergestützten Spaß am Mitspielen, gedanklichen Scharfsinn und philosophische Reflexion begeisterte. Der intellektuelle Charme und ästhetische Reiz des Buches bestand in Vorführungen, wie rekursive Verfahren aus einfachen Komponenten komplexe Konstrukte entstehen lassen – in Künsten und Wissenschaft.

Das neue Buch setzt Hofstadters Programm fort – jedoch mit einer erheblichen Kurskorrektur. Sein Glaube an die Erklärungskapazität reduktionistischer Strategien scheint gebrochen zu sein. Reduziert wird immer noch, aber nicht mehr auf binary digits, sondern auf die Analogie. Die titelgebenden Metaphern sind nun das „Herz des Denkens“ und in der englischen Ausgabe „the fuel and fire of thinking“. Herzschlag und Brennstoff gehören nicht gerade zu den Betriebsarten der künstlichen Intelligenz und so steht nun die menschliche Intelligenz in Alltag, Expertise und Wissenschaft allein auf der Bühne. Aber Hofstadter wäre nicht mehr der alte Spieler und Computerfreak, wenn Analogien und Metaphern nicht auch Vorlagen für die Modellierung der Arbeitsweise unserer Intelligenz wären, und er wäre auch nicht mehr der emphatische Naturwissenschaftler, wenn er in ihnen nicht auch die Impulsgeber für höchst überraschende kategoriale Beziehungen in den Grundlagen der physikalischen Welterklärung sehen würde (wie Kap. 8 am Beispiel einer revolutionären Entdeckung Einsteins vorführt).

Über die Kooperation mit dem Koautor Emmanuel Sander gibt das Buch in eingestreuten Anekdoten Auskunft. Sie ist von zwei Disziplinen (Künstliche Intelligenz und Kognitionspsychologie) und zwei Sprachen (Englisch und Französisch) geprägt und von den dadurch ständig mitlaufenden Übersetzungsproblemen zwischen zwei Fach- und zwei Alltagssprachen. Die Autoren werden nicht müde, aus diesen Differenzen Erkenntnisse zu gewinnen, indem sie an Hunderten von Fällen Aspekte des Analogisierens herausstellen, die einerseits mit den Subtilitäten der Sprache und andererseits mit den Techniken der Abstraktion zusammenhängen.

Die Grundthese des Buches ist, dass alle auf Wirklichkeitserkenntnis gerichtete kognitive Tätigkeit über Analogiebildungen verfährt. Wenn die These stimmt, dann wird zwangsläufig auch die kognitive Tätigkeit, die der Erkenntnis dieser kognitiven Tätigkeit gewidmet ist, über Analogiebildungen verfahren. Oder: auch Analogisieren kann man nur über Analogien verstehen. Da es davon so viele Typen und Aspekte gibt, bleibt den Leserinnen und Lesern nichts anderes übrig, als sich von den Autoren durch den ganzen Zoo treiben zu lassen; dies ist die implizite methodologische Maxime, die der Komposition des Buches zugrunde liegt.

Nur, die Methode funktioniert leider nicht. Soviel Lesespaß einzelne Beispiele hervorrufen, so ermüdend wirkt die Überfrachtung mit weiteren, ähnlichen, verblüffenden und abgedrehten Exempla. Laut Selbstauskünften im Buch hat bei den Arbeitssitzungen die französische Ess- und Trinkkultur mit ihren raffinierten Varianten und Geschmacksrichtigen deutlich mehr zur Komposition des Werkes beigetragen als amerikanisches Fastfood, was einen genervten amerikanischen Rezensenten zu dem Kommentar trieb: „From what I can see they haven’t actually discovered anything. But they had fun doing it.”

Will man es kürzer haben, kann man schadlos über beliebig viele der eingestreuten Anekdoten hinweg blättern; den Kern des Buches wird man auch so entdecken. Denn er ist erstaunlich einfach: Die Aktivität unseres Denkens besteht in der andauernden Erzeugung von Analogien. Mit ihnen arbeiten wir buchstäblich alles, was uns Wahrnehmungen, Erinnerungen oder Reflexionen an Stoff anbieten, in unser kognitives System ein. Analogien machen es alltagstauglich und tragen zu seiner Modifikation bei. Hofstadter/Sander unterstellen dabei nicht nur einige oder viele, sondern „Myriaden” (i.e. viele 10.000) von Analogien, die „mehrmals pro Sekunde“ in unserem Denken aufblitzen können. Die Trivialität des Vorgangs ist klar, aber er ist uns verborgen. 700 Seiten spendieren die Autoren, um ihn von allen Seiten zu beleuchten. Die Trivialität besteht u.a. in unserer Fähigkeit, etwas (z.B. dieses Buch) als dieses Etwas (ein Buch) zu erkennen, auch wenn wir es nie zuvor gesehen haben. Wir tun dies, indem wir es mit bekannten Büchern als „irgendwie ähnlich“ empfinden, auch wenn die Komposition der Einzelheiten (Form, Konsistenz, Farbe, Schrift, Inhalt) von allem, was wir kennen, verschieden ist. Dieses „Irgendwie-für-ähnlich-halten“ ist das Analogisieren. Über die exemplarische Präzisierung des ‚Irgendwie’ wird der Leser zwar auf verschiedene Typen des Analogisierens geführt, aber man wartet vergeblich auf Definitionen, aus denen sich eine Systematik der Kategorie ‚Analogie’ formt. Kategorien spielen die zweite Hauptrolle im Buch. Sie sind diejenigen kognitiven Entitäten, auf die hin das Analogisieren ausgerichtet wird, also z.B. ‚Buch‘. Das Wechselspiel zwischen der Verarbeitung von Erlebnissen durch Einpassung in das bestehende Kategoriennetzwerk und der korrelativen Modifikation des Netzwerks durch Verfeinerung und Abstraktion bildet das „Herz des Denkens“. Gelegentlich geben die Autoren ihrer These die strengere Fassung, dass Analogisierung und Kategorisierung „dasselbe“, also ein identischer Vorgang sei (so dass am Ende einer der Begriffe aus dem Verkehr gezogen werden könnte). Aber weder die Beispiele noch die begriffliche Analyse in dem abschließenden „Epidialog“ geben dies her.

Man kann mit diesem Instrumentarium die Offenheit für Überraschungen des Denkens und die Fähigkeit mit ihnen umzugehen erklären; aber ist das überraschend im Sinne eines wissenschaftlich relevanten Forschungsergebnisses? Der Vorgang ist ja geläufig: Alle Welterfahrung – von der kindlichen bis in die wissenschaftliche – ist von der Spannung getragen, dass einerseits die Kategorien die hermeneutischen Fischernetze sind, mit denen wir einfangen, was wir wahrnehmen, dass andererseits viele kleine Wahrnehmungen die kategorialen Netze modifizieren. Aber gegenüber den anerkannten Analysen, die überwiegend der schrittweisen Erweiterung des Repertoires nachspüren, anerkennen Hofstadter und Sander auch die brutalen, abwegigen, kuriosen und perversen Analogien. Sie nehmen ernst, dass man „einen Knall haben“, in eine „Sackgasse“ geraten oder es einen „Allerweltsbegriff“ der Analogie geben kann. Sie bestreiten, dass kategoriale Begriffe durch wesentliche Merkmale (notwendige und hinreichende Bedingungen) bestimmt sind und führen vor, wie Analogien sie unscharf, elastisch, inhomogen, kontextsensitiv — kurz: unplatonisch — machen. Dass darauf ihre Leistung für die Erkenntnisdynamik beruht, ist kognitionstheoretisch provokativ und entlarvt jenen amerikanischen Kritiker („haven’t discovered anything“) als einen zu schnellen Leser. Vielleicht ist es also doch besser, sich etwas Zeit für die kleinen Genüsse der Kapitel zu nehmen. Zu diesen Genüssen gehört z.B., dass der Analogieraum von Kategorien wie „viel“, „und“, „aber“ ebenso erkundet wird wie die verborgenen Wahrheiten von Sprichwörtern oder der Raum von Kategorien ganz ohne lexikalische Entsprechungen.

An einem kleinen Beispiel lässt sich vorführen, wie die Autoren den Leser durch die Ketten von Analogien führen. Es geht um Erkenntniserweiterung durch Analogien anhand eines formalen Spiels. Wenn bei der Kette abc eine Veränderung in abd vorgenommen wird, wie würde die analoge Veränderung für pqr aussehen? Richtig. Wie aber die für xyz? Man weiß es nicht, hat mehrere Optionen, und entscheidet sich, wenn man zur Mehrheit gehört, für xya. Raffinierter wäre vielleicht wyz, aber auch zyw ist nachvollziehbar. Alle Entscheidungen beruhen jeweils auf ästhetischen Hintergrundannahmen wie zyklischer Verkettung (auf z folgt wieder a) oder Symmetrieachsen (Spiegelungen des Vorgangs am Ende des Alphabets), über die die „Essenz“ einer Analogie konstruiert und plausibel wird. Es ist dann die Diskussion dieser ästhetischen Präferenzen für die kognitive Dynamik, die dieses Kapitel über die sogenannten Me-Too- oder Copycat-Analogien zu einem Gewinn macht.

Wer das große Lehrwerk über kognitive Kategorien und analogisches Erkennen erwartet, wird das Buch enttäuscht zuschlagen (und braucht nicht sehr lange für diese Entscheidung). Wer indes Spaß an Spaziergängen im Irrgarten von Sprache und Kognition hat und sich Zeit nimmt, aus Episoden, Anekdoten, Interpretationen und Reflexionen ein eigenes Bild zusammenzustellen, wird zwar wegen Ermüdung durch Redundanz, Übersättigung mit unlustigen Beispielen und Verdruss an stilistischen Fehltritten das Buch häufig beiseitelegen, aber er wird es immer wieder aufschlagen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Douglas R. Hofstadter / Emmanuel Sander: Die Analogie. Das Herz des Denkens.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Held.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014.
784 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783608946192

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