Kontradiktorische Widersprüche und Aporien feministischer Forschungen

Englischsprachige Feministinnen analysieren Texte deutschsprachiger Autorinnen der Gegenwart

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mag Englisch als Wissenschaftssprache auch zunehmend auf dem Vormarsch sein und manche deutschsprachigen Vortragenden ihre Überlegungen über PhilosophInnen oder SchriftstellerInnen lieber unter Hintanstellung einer differenzierteren Argumentation in schlechtem Englisch vorbringen als in ihrer Muttersprache, so erfreuen sich die Werke von AutorInnen deutscher Zunge andererseits als Forschungsobjekte jenseits des großen Teiches nach wie vor einiger Beliebtheit. Gelegentlich präsentieren US-AmerikanerInnen ihre Forschungen zu Immanuel Kant, Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Johann Wolfgang von Goethe oder Elfriede Jelinek sogar in deren Muttersprache.

So widmet sich etwa ein jüngst von Hester Baer und Alexandra Merley Hill herausgegebener Sammelband dem „German Women’s Writing in the Twenty-First Century“. Wobei allerdings anzumerken ist, dass die Beitragenden es doch vorziehen, ihre Überlegungen auf dem sicheren Gebiet ihrer eigenen Sprache zu entfalten.

Erfreut konstatieren die Herausgeberinnen in einem gemeinsam verfassten Vorwort, dass im 21. Jahrhundert auch gerade in Deutschland eine weitgefächerte feministische Diskussion entstand, die mit den „Alphamädchen“, der „F-Klasse und dem „F-Wort“ einsetzte und in jüngere Zeit etwa von der #-Aufschrei-Kampagne vorangetrieben wurde. Inzwischen sei der Feminismus in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch andernorts „increasingly visible“. Die Herausgeberinnen machen zwei „key understandings of contemprory transnational feminist thought“ aus. Zum einen seien sich feministische DenkerInnen „the limitation of gender as a singular analytic category, cultural symbol, or personal status“ bewusst und setzten zunehmend auf intersektionelle Ansätze. Zum anderen haben sie Judith Butlers „conception of gender as performative“ übernommen. Das allerdings erweise sich als nicht unproblematisch. Denn „intersectionality appears to draw its analytic strength from emphasizing precisly those categories of identity“, die Butlers Ansatz dekonstruiert. Daher stünden die beiden „modes of thought“ in einem Verhältnis, das „contradictory“ sei.  Soweit muss man vielleicht nicht gehen. Jedenfalls dann nicht, wenn man den Begriff „contradictory“ nicht einfach mit dem allgemeineren Begriff „widersprüchlich“ übersetzt, sondern spezifisch als „kontradiktorisch“ versteht, also in dem Sinne, in dem sich die logischen Sätze „A“ und „non-A“ widersprechen, von denen nur einer gültig sein kann. Zweifellos aber besteht zumindest ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden feministischen Ansätzen der Intersektionalität und der Performativität, das nicht zu unterschätzen ist. Die Herausgeberinnen sprechen sogar von einer „aporia“, die es zu hintergehen gelte.

Der Band vereint zahlreiche (nicht immer zusammenklingende) Stimmen, die ihre theoretischen Instrumente einsetzen, um „women’s literature“ zu analysieren und den Diskurs im Lichte neuer Konzepte von Gender und Feminismus voranzubringen. So beleuchten die zehn überwiegend in den USA, aber auch in Irland und Großbritannien tätigen Autorinnen in neun Beiträgen anhand ausgewählter Werke etwa Judith Hermanns, Charlotte Roches oder Juli Zehs die Vielfalt der „structural and stylistic devices, traditions and breaks with tradition, and stories, and subjectivities that make up the mosaic“ des deutschsprachigen „women’s writing“ der Gegenwart. Dabei legen sie ein besonderes Augenmerk auf die Frage, ob und inwieweit die untersuchten Werke dazu beitragen, „the neoliberal present“  zu verstehen.

Valerie Heffernan stellt „Matrilineal Narrativ and the Feminist Family Romance“ zusammen, während  Katherine Stone  „Cultural Memory of National Socialism in Recent Family Narratives“ beleuchtet. Jill Suzanne Smith wiederum untersucht „Rape and Representation in Juli Zeh’s Bosnian Travelouge“. Unter dem Titel „Reckogning with God“ plausibilisiert Sheridan Marshall die These, dass Bettina Bàlaka, Sibylle Berg, Jenny Erpenbeck und Ursula Krechel Texte präsentieren, in denen Gott „like an aging ruler“ erscheint, „who has succumbed to Alzheimer’s desease and who remains in the room although no longer able to take a meaningful part on the censervation“. Zwei weitere Beiträge von Lindsay Lawton und Mihaela Petrescu widmen sich in deutscher Sprache schreibenden muslimischen Autorinnen.

Bietet der Band insgesamt auch durchaus recht interessante Überlegungen und Anregungen, so können doch nicht alle Aufsätze überzeugen. Carrie Smith-Prei und Maria Stehle etwa spielen in ihrem gemeinsam verfassten Text „The Awkward Politics of Popfeminist Literary Events“ nicht nur den Plagiarismus in Helen Hegemanns „Axolotl Roadkill“ herab, sondern glauben in dem Text ebenso wie in Charlotte Roches konservativem Arztroman „Feuchtgebiete“, seinem Nachfolger „Schoßgebete“ sowie dem „bitchism“ Lady Bitch Rays popfeministische Erzeugnisse ausmachen zu können, denen sich „popfeminst researchers“, wie das Autorinnen-Duo selbst, mit einer ebenfalls „popfeminist methodology“ zu nähern hätten.

Titelbild

Hester Baer / Alexandra Merley Hill (Hg.): German Women's Writing in the Twenty-First Century.
Camden House, Rochester 2015.
208 Seiten, 60,00 EUR.
ISBN-13: 9781571135841

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