Warum die Welt heute noch untergeht

Der von Olaf Briese, Richard Faber und Madleen Podewski herausgegebene Sammelband „Aktualität des Apokalyptischen“ will erörtern, was uns am Weltuntergang fasziniert – verzettelt sich aber in der Unschärfe des eigenen Apokalypseverständnisses

Von Sandy LunauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandy Lunau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kulturwissenschaftler Olaf Briese, der (Literatur-)Soziologe Richard Faber und die Philologin Madleen Podewski haben sich mit ihrem Sammelband zur Aktualität des Apokalyptischen nicht nur viel vorgenommen, indem sie sich darin neben dem Beitrag zu einer differenzierten Begrifflichkeit des Phänomens „Apokalypse“ auch die Analyse der nachhaltigen Publikumswirksamkeit apokalyptischer Szenarien, ihrer „gravierende[n] kulturelle[n] Verankerung“ sowie ihre Verarbeitung in sämtlichen auch populären kulturellen Systemen zu reflektieren zum Ziel gemacht haben. Sie befinden sich damit auch in guter Gesellschaft mit weiteren Veröffentlichungen der jüngsten Zeit zum Themenkomplex der Apokalypse, die sich ein ähnlich breites Vorgehen zu Grunde legen, wie beispielsweise die von Veronika Wieser und Christian Zolles herausgegebene „Abendländische Apokalyptik“ (2013), die nichts weniger für sich beansprucht, als eine „Genealogie der Endzeit“ zu sein und die von Lothar Bluhm editierte Aufsatzsammlung „Untergangsszenarien“, die apokalyptische Denkbilder in Literatur, Kunst und Wissenschaft untersucht. Es lässt sich also ein wissenschaftliches Bedürfnis feststellen, die Wirkungsgeschichte der Apokalypse nachzuvollziehen und zu einem differenzierten Verständnis dieses komplexen Phänomens beizutragen. Gerade letzteres Vorhaben scheitert aber leider zumindest in der „Aktualität des Apokalyptischen“ an einem begrifflich sehr undifferenzierten Zugang zur Apokalyptik. Dies wird beispielsweise an so flapsigen und wissenschaftlich unlauteren Definitionen wie die des Weltuntergangs – „nennen wir ihn hier vereinfacht Apokalypse“ – deutlich. An dieser Stelle wird der leider in der wissenschaftlichen Diskussion viel zu oft gemachte Kurzschluss des Weltendes mit Apokalyptik offenbar. Eine Auseinandersetzung mit der Tradition sowie mit den vielschichtigen Bedeutungsaspekten der Apokalypse erfolgt leider nicht, erst gegen Ende des Beitrags wird überhaupt auf die christliche Tradition und auch die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs als Offenbarung eingegangen. Auch bleibt weitestgehend unklar, was die Autoren selbst eigentlich meinen, wenn sie von der Apokalypse sprechen. Der Bestimmungsversuch „Apokalypsen sind verdichtete Artikulationen von Apokalyptischem“ lässt den Leser mit der Frage zurück, was denn dann Apokalyptisches genau bezeichnen soll. Thesen wie die, die Apokalyptik sei diskreditiert (Apokalypse-Verdikt), lassen vermuten, dass hier hauptsächlich Apokalyptik als soziales bzw. politisches Phänomen in den Blick genommen wird, also das Gedankengut religiöser Eiferer, ökologischer Fatalisten oder politischer Fundamentalisten. Dies wird aber an keiner Stelle genauer ausgeführt und der dann doch immer wieder auftretende Bezug zu literarischen und filmischen Manifestationen des Apokalyptischen insbesondere aus dem Bereich der Populärkultur machen den Vorwurf geltend, dass hier verschiedenste Dimensionen des mannigfaltigen Komplexes Apokalypse undifferenziert miteinander vermischt und auch gleichgesetzt werden. Auch das Zugeständnis an diese Begriffskomplexität, „Apokalypsen könn[t]en nicht definitorisch und in diesem Sinne substanzhaft auf einen verbindlichen Nenner gebracht werden,“ muss leider nur als Lippenbekenntnis bzw. Ausflucht gewertet werden, denn im wissenschaftlichen Kontext kann dies keine Entschuldigung dafür sein, nicht zumindest zu klären, was ein Begriff im Rahmen der Arbeit zu bedeuten hat. Aus diesem Grund trägt der Band nicht zur Begriffsklärung bei, wie er so vollmundig behauptet, auch wenn die vorgeschlagene Systematik interessante Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen mit dem Weltuntergang verknüpften Phänomenen enthält. Allerdings stellt sich die Frage, ob für sämtliche darin zusammengefassten Phänomene der Begriff Apokalypse sinnvoll und passend ist, bzw. wie dieser in den konkreten Zusammenhängen definiert ist. Als apokalyptische Erscheinungen sind für mein Dafürhalten lediglich die sogenannten Erfüllungs- und Erlösungsapokalypsen sowie die Verneinungs- und Untergangsapokalypsen einzuordnen Die Übrigen lassen sich Komplexen wie der Prophetie, der Paränese, der Katastrophenerzählung und der Dystopie sinnvoller zuordnen. Beispielsweise die Verhinderungsapokalypsen sind vielmehr als Dsytopien zu klassifizieren, denn der Gedanke der Rettung durch Arbeit am gegenwärtigen Ist-Zustand ist der Apokalypse fremd. Im Apokalyptischen Denken ist Erlösung nicht durch Reform, sondern lediglich durch einen Abbruch oder radikalen Umbruch der Geschichte möglich. Der Kurzschluss des Apokalyptischen mit Katastrophalem und dem Weltuntergang wird hier besonders deutlich; andere wichtige Aspekte wie der Zukunftsbezug also der prophetische Charakter und der Offenbarungsaspekt werden bedauerlicherweise gar nicht erst in Betracht gezogen. Auch dem angeblichen geschichtlichen Wandel von der klassischen (biblischen) Erfüllungsapokalypsen zu säkularen modernen Mahn- und Warnapokalypsen ist in dieser Eindimensionalität nicht haltbar, zumal auch klassische apokalyptische Texte wie etwa die Johannesoffenbarung durchaus mahnenden Charakter haben. Der Apokalypse scheinbar Ähnliches oder Verwandtes wird in diesem Ansatz also leider unhinterfragt in einen großen apokalyptischen Topf geworfen, von einer Förderung der Begriffsbestimmung kann also bedauerlicherweise keine Rede sein. Dies betrifft auch den Beitrag von Hans Richard Brittnacher, in dem das Motiv des Sumpfes als vorzivilisatorischem Zustand des Chaos und das Versinken darin als Rücknahme der Schöpfung unhinterfragt und unbelegt mit dem Phänomen der Apokalyptik kurzgeschlossen wird, obwohl es keinen einzigen mir bekannten theologischen Ansatz gibt, der beispielsweise die Sintfluterzählung als apokalyptischen Text begreift. Ein kurzer Verweis auf die eigentliche Wortbedeutung der Apokalypse und der traditionellerweise in ihr enthaltenen Heilvorstellung wird unter Berufung auf Vondungs Konzept der kupierten Apokalypse kurzerhand für die vorliegende Studie als offenbar irrelevant erklärt. Lässt sich zwar in Anlehnung an Vondung eine Verkürzung der Apokalypse um den Erlösungsmoment unter dem Einfluss der Säkularisierung in modernen Repräsentationen durchaus feststellen, so erscheint es mir doch nicht angebracht, diese Diagnose auf biblische Texte zu beziehen und damit schlichtweg die apokalyptische Tradition ex post umzudeuten. Es wird wie in zahlreichen vergleichbaren Studien zu diesem Thema das allgemeinsprachliche Verständnis der Apokalypse als katastrophale Weltzerstörung akzeptiert, was grundsätzlich nicht unbedingt verwerflich ist, aber zumindest reflektiert werden muss bzw. durch eine vorangestellte Erläuterung des verwendeten Apokalypsebegriffs abgesichert sein sollte. Eine Gleichsetzung der Apokalypse und der Sintflut sind aber in jedem Fall verfehlt, zumal hier aufgrund der fehlenden Bezugnahme auf tatsächliche apokalyptische Literatur der Eindruck vermittelt wird, die apokalyptische Tradition beginne mit der alttestamentarischen Sintflutgeschichte.

Auch Wilhelm Berger spricht in seinem Beitrag zur Aktualität von Gotthard Günthers Die amerikanische Apokalypse im Zusammenhang mit zeitgenössischen Untergangsphantasien von Apokalypsen, die sich der Eschatologie entledigt haben, also keine jenseitige Perspektive der Katastrophe mehr offenbaren. Im Grunde entspricht dieses Verständnis wiederum dem Konzept der kupierten Apokalypse und wiederholt damit den Allgemeinplatz, die moderne oder postmoderne Apokalypse kenne keine Heilsvision mehr. Was an annähernd allen Ansätzen, die diese These vertreten, deutlich wird, ist das auffallende Ausbleiben der Frage, ob zeitgenössische Darstellungen oder Vorstellungen des Weltendes, die sich im Katastrophalen erschöpfen, überhaupt traditionell an die Apokalypse anknüpfen. Stellt es nicht einen gedanklichen Kurzschluss dar, mediale Repräsentationen eines Untergangs unserer Zivilisation wie Beispielsweise Armageddon oder The Day After Tomorrow mit dem Phänomen der Apokalyptik in Verbindung zu bringen? Ist der Gedanke so abwegig, dass Vorstellungen vom Ende der Welt auch ohne den Rückbezug auf die Apokalypse auskommen? Selbstverständlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass es eine Verselbstständigung des Begriffs Apokalypse gegeben hat, mit dem Ergebnis, dass er nunmehr in der Regel eine eher metaphorische und in seiner Intension stark erweiterte Anwendung findet. Demzufolge spricht auch in wissenschaftlichen Kontexten nichts dagegen, mit diesem Begriffsverständnis zu operieren. Nur wird dies in den seltensten Fällen reflektiert und der Bezug zur biblischen Apokalyptik erfolgt beinahe notorisch, auch wenn die gewählten Beispiele dessen Sinnhaftigkeit stark anzweifeln lassen. Doch nicht nur ein stark beschränktes, sondern in manchen Punkten auch grundsätzlich falsches Apokalypseverständnis muss dem Band vorgeworfen werden. So werden Untergangsszenarien, die nachfolgende Welten darstellen, als partielle Apokalypsen (im Gegensatz zur sogenannten Erfüllungsapokalypsen) bezeichnet. Diese Diagnose verkennt, dass auch die klassische, ursprüngliche Apokalypse eine neue, nachfolgende (wenn auch transzendente) Welt kennt, ja dass diese ein ihr integraler Bestandteil ist. Auch das Urteil, frühsozialistisches Denken sei angeblich gegenapokalyptisch, offenbart eine nicht sehr tiefgehende Einsicht in die Gestalt der Apokalypse. Denn die Begründung, die Krise sei zu diesem Zeitpunkt bereits angebrochen gewesen und die geschichtliche Entwicklung liefe geradezu im Selbstlauf auf den (diese beendenden) Sozialismus zu, taugt allenfalls für die Diagnose eines dezidiert apokalyptischen Charakters des sozialistischen Gedankengebäudes, schildern doch auch die klassischen biblischen Apokalypsen eine latente Krisensituation, die durch die zwangsläufige Zuspitzung bis hin zur Zerstörung der widergöttlichen Ordnung einen Abbruch erfährt, an den sich das Reich Gottes anschließt. Positiv anzumerken ist, dass Briese, Faber und Podewski die Apokalypse in der Nähe zur Utopie verorten und sich dadurch nicht auf das Vorurteil einlassen, das eine sei das Gegenteil des anderen. Auch die Bewertung der Apokalypse als Krisenphänomen und als Sozialkritik gegen geltende Gewaltmonopole ist löblich und in Übereinstimmung mit dem aktuellen Forschungsstand. Besonders interessant und vielversprechend liest sich der Abschnitt „Apokalyptisches Faszinosum“, in dem die Perspektive des Rezipienten auf die Apokalypse als Angstlust, als affekthafte Schwebe zwischen Faszination und Abwehr beschrieben wird. Aus dieser Position erscheint die Funktion der Betrachtung von Weltuntergangsszenarien als eine der Selbstversicherung, des Bestärkens der inneren Souveränität. Dieser Ansatz ist zwar nicht neu, doch durch Bezug auf das Konzept des Erhabenen zumindest wissenschaftlich fundiert und anschlussfähig. Allerdings wird jedoch im selben Atemzug das Phänomen stark auf die Populärkultur verkürzt und so funktionell eingeschränkt.

Positiv herauszustellen ist der Artikel von Sebastian Huhnholz. Ihm gelingt durch eine Konzentration auf die politische Ebene der Apokalyptik eine überzeugende Beschreibung der Entwicklungslinie eschatologischen Denkens mit dem vorläufigen Endpunkt der Posthistoire, wobei es natürlich zu beachten gilt, dass Eschatologie und Apokalyptik nicht dieselbe Begriffsintension aufweisen. In seiner historischen Beschreibung der Säkularisierung eschatologischen Denkens durch die Geschichtsphilosophie ist der Artikel aber überzeugend und erhellend, wobei die Frage übrig bleibt, ob für seine Hauptthesen der Bezug auf die Apokalyptik überhaupt nötig ist.

Alles in allem hält der neuste Wurf innerhalb der deutschen Apokalyptik-Forschung leider trotz vereinzelter interessanter Ansätze nicht das, was er verspricht und enttäuscht nicht zuletzt auch durch das schlampige Lektorat, dem nicht nur völlig unverständliche Satzkonstruktionen wie „sie thematisieren sie geradezu maskiert“, sondern auch eine fälschliche Datierung der Anschläge auf das World Trade Center auf den 9. September 2011 entgangen sind.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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Olaf Briese / Richard Faber / Madleen Podewski (Hg.): Aktualität des Apokalyptischen. Zwischen Kulturkritik und Kulturversprechen.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2015.
257 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783826056949

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