Insel-Liebe
Über Ruth Cerhas Roman „Bora. Eine Geschichte vom Wind“
Von Elisabeth Böker
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBora ist der Name eines besonderen Windes: Es ist „dieser kalte Fallwind, der vom Karstgebirge herabstürzt, die Boote über das Meer treibt wie Nussschalen, am Hemd zerrt und die Leute verrückt macht“. In eben jenem Sommer als Mara Andrej auf einer kleinen kroatischen Insel begegnet, herrscht häufig und völlig untypisch für die Jahreszeit die Bora.
Eines Tages kommt Andrej morgens mit dem ersten Boot auf die Insel. Die Schriftstellerin Mara, die gerade Fisch einkauft, hat ihn zuvor nie gesehen. Dabei verbringt sie seit langem jeden Sommer auf der Insel und arbeitet dort an ihren Werken. Doch diesen Sommer will ihr das Schreiben nicht gelingen. Mit einem ihrer engsten Bekannten auf der Insel, Harry, spricht sie darüber. Er sagt: „Was dich quält, sind deine Vorstellungen von Produktivität. Sie ähneln denen der freien Marktwirtschaft – grenzenloser Wachstum! Funktioniert nicht. Du weißt schon, es ist das Problem mit den Ressourcen.“ Ein weiser Rat, der so viele in der Kreativbranche anspricht, und der Mara dazu bewegt, eine Auszeit vom Schreiben zu nehmen.
Andrej ist als Fotograf tätig – vermutlich, weil es seine Art ist, die Welt zu entdecken und zu verstehen. So ist er auch auf der ganzen Erde zu Hause, ständig reist er von einem Ort zum anderem, um seine Aufträge zu erfüllen. Doch wie Mara eine Schreibpause benötigt, findet Andrej in diesem Sommer auch keinen richtigen Zugang zum Fotografieren. Daher legt er seine Kamera ebenfalls für einige Zeit aus der Hand.
Schließlich beginnt sich Mara für Andrejs Geschichte zu interessieren. Sie ist ziemlich neugierig und hinterfragt alles, was er ihr erzählt: „Warum willst du dauernd wissen, warum ich bestimmte Dinge getan habe?“, fragt Andrej sie daraufhin. „Weil ich nicht dabei war. Ich kenne deine Geschichte nicht, das macht mich fertig“, erwidert Mara. „Ich muss wissen, wie du hierhergekommen bist. Das hat mich auch beim Schreiben immer angetrieben: herauszufinden, wie sich meine Figuren in die Lebenssituation gebracht haben, in denen sie sich befinden, warum sie tun, was sie tun. Die Gründe liegen ja immer in der Vergangenheit.“
Mara erfährt Andrejs Geschichte in diesem Sommer, von ihm wie auch von seiner Mutter, zu der sie ein enges Verhältnis aufbaut. Seine Eltern stammen von der Insel und flüchteten wie so viele andere Bewohner in den 1960er-Jahren vor dem Tito-Regime nach Amerika. Immer mehr vertieft sich die Schriftstellerin in die Vergangenheit Andrejs und die Geschichte der Insel und ihrer Bewohner. Schließlich beginnt sie, darüber zu schreiben.
Diesen Roman hält der Leser nun in der Hand: „Bora. Eine Geschichte vom Wind“ heißt er. Ein treffender Name, nicht nur wegen des Windes selber, über den die Bewohner häufig sprechen: „Das, sagte Tereza, ist kein Wetter, es ist eine Krankheit. Das Wetter ist krank, es hat die Grippe. Vielleicht stirbt es.“ Der Name ist so passend, weil auch Andrej in Maras Leben so plötzlich auftaucht und auch wieder geht – so unberechenbar wie die Bora. So heftig wie der Wind tobt, so heftig tobt auch die Liebe zwischen ihnen. So plötzlich wie der Wind verstummt, so abrupt endet auch ihr Zusammensein. Und das, obwohl Mara zunächst gar keine Affäre oder gar Beziehung eingehen wollte, hat sie doch erst vor Kurzem eine langjährige Partnerschaft beendet. Voneinander lassen können die beiden jedoch ebenso wenig.
Das Besondere am Roman ist, dass die Handlung aus der Sicht der beiden erzählt wird. Während der erste und letzte Teil von Mara erzählt wird, erfährt man das Geschehen im Mittelteil aus der Perspektive Andrejs. Damit wird die Anschaulichkeit des Erzählten gesteigert; nur der überraschende Wechsel der Erzählperspektiven im zweiten Teil enthält zu Beginn eine etwas langatmige Zusammenfassung des Geschehenen aus Andrejs Perspektive. Doch gelingt es Ruth Cerha sehr gut, Andrej eine eigene Stimme zu geben die sich deutlich von der Maras unterscheidet. Der Autorin ist mit „Bora“ eine gelungene Mischung aus Liebesgeschichte, historischer Handlung, Familiengeschichte, Inselroman und die Macht des Windes geglückt.
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