Von Krisen und trotteligen Assistenten

Das Thema Identitätsfindung beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen

Von Maren PoppeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maren Poppe

Eine erfolgreiche Politikerin muss sich zwischen Familie und Karriere entscheiden, zwei Berliner Jugendliche führen trotz verschiedener Lebenshintergründe einen Kampf gegen den ‚Haifisch-Kapitalismus’ im Berliner Entmietungs-Alltag und eine junge Frau weiß nicht mehr, wer sie ist. Viele Themen werden in den Filmen auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen behandelt; auffällig ist die genreübergreifende Darstellung der Identitätsproblematik in der Programmauswahl am Abschlusswochenende.

Die Mockumentary Confusion (2014) von Laurent Négre behandelt die Spannungen um die Aufnahme eines ehemaligen Guantanamo-Häftlings in der Schweiz. Im Fokus der Handlung steht die Politikerin Caroline Gautier (Caroline Gasser), die mit kompromittierenden Fotos ihrer Tochter erpresst wird. Ein politischer Gegner will sie dazu bewegen, ihren Einfluss bei der Entscheidung über das Bleiberecht des Häftlings gegen ihre Überzeugung und für seine Zwecke einzusetzen. Schließlich muss sich Gautier zwischen ihrer Karriere, ihrer Tochter und auch ihrer Integrität entscheiden. Sie bleibt ihren Überzeugungen treu und kann so ihrer Familie wieder näher kommen, bricht also nicht mit ihrer Identität der starken Politikerin. In ihrer Charakterisierung spielt der Umstand, dass sie eine Frau ist, allerdings keine große Rolle; sie ist ihrer Familie emotional und räumlich häufig fern und konzentriert sich auf ihren Beruf. Sie wird weder als kaltherzige Karrierefrau noch als sentimentale Mutter dargestellt, sondern als Person, die, um in ihrem Beruf erfolgreich zu sein, die Familie diesem unterordnen musste. Ihr an die Seite gestellt ist ein eher trotteliger Assistent; er schwirrt um seine Chefin herum, wirkt häufig unsicher und inkompetent. Er bringt gewollt ungewollte Komik in die Geschichte und lockert damit – im Gegensatz zu den ernsten Figuren und Themen – die Handlung auf.

Eine ähnliche Nebenrolle findet sich auch in Unter Verdacht – Betongold (2015) von Ulrich Zrenner. Die Ermittlerin Eva Maria Prohacek (Senta Berger) wird bei der Aufklärung eines vermeintlichen Selbstmordes von ihrem Kollegen André Langner (Rudolf Krause) unterstützt. Tatsächlich scheint seine einzige Funktion in dieser Ermittlung zu sein, seine Kollegin besser aussehen zu lassen, denn mit humorlosen Witzen und dummen Sprüchen wirkt er wenig kompetent und charmant. Neben ihm und nur durch ihn wird Prohaceks Rolle konturiert: Sie kombiniert die Details samt Indizien und löst den Fall, während ihr Kollege lediglich Handlangerarbeiten verrichtet und die Ermittlungen eher in Gefahr bringt, wenn er an den falschen Stellen seine Diskretion vergisst. Der Protagonistin Prohacek kommt dadurch erst eine wirkliche Identität zu, denn Senta Berger kann allein schauspielerisch die Charakterstärke der Polizistin nicht vermitteln und braucht einen Assistenten, um ihre Rolle zu formen.

Identität im Kontext von Familie und Ideologie wird in Nachspielzeit (2013/14) von Andreas Pieper verhandelt. Der türkischstämmige radikale Linke Cem (Mehmet Atesci) kämpft gegen Rassismus sowie unfaire Mietpreise und steht am Ende nicht mehr seinem ursprünglichen Rivalen Roman (Frederick Lau), einem Faschisten, gegenüber. Die beiden Berliner Jugendlichen stellen sich gemeinsam gegen den „Turbokapitalisten“ Cali (Aleksandar Tesla), um Neukölln vor Mieterhöhungen zu schützen. Die Protagonisten sind hin- und hergerissen zwischen Familie, vermittelter Kultur und gewählter Ideologie. Roman buhlt um die Aufmerksamkeit seines Vaters, indem er diesem in seinem Leben zwischen Armut und Fremdenhass nacheifert. Cem sieht Gewalt als einzige Lösung seiner Probleme an, das ruhige Dasitzen und die Opfer-Mentalität seiner Eltern, die im Begriff sind, ihr Restaurant an einen Immobilienspekulanten zu verlieren, kann er nicht länger ertragen.

In Andrea Štakas Cure – Das Leben einer Anderen (2014) steckt das Motiv der Identitätskrise schon im Titel. Linda (Sylvie Marinkovic) wohnt noch nicht lange in Dubrovnik im südlichen Kroatien und orientiert sich an ihrer besten Freundin Eta (Lucija Radulovic). Diese ist viel extrovertierter als die schüchterne Linda und neckt sie immer wieder mit sexuellen Provokationen, bis sie einmal zu weit geht, sodass Linda sie eine Klippe hinunterstößt. Doch Eta verschwindet nicht aus Lindas Leben, oft erscheint sie ihr und stellt ihre Entscheidungen in Frage. Während eines Besuchs bei Etas Familie beginnt für Linda ein seltsames Spiel: Sie nimmt den Platz ihrer toten Freundin ein, geht mit deren Schwarm aus, trägt ihre Kleidung und geht eine enge Beziehung mit Etas Großmutter ein. Linda droht komplett zu verschwinden, sogar ihren Namen legt sie zeitweise ab. Damit wird die Problematik vieler Jugendlicher, die eigene Persönlichkeit zu finden, pointiert dargestellt. Die zweite Ebene der Identität bilden auch in diesem Film Herkunft und Kultur. Linda wuchs in der Schweiz auf und zieht dann mit ihrem Vater in seine Heimat Kroatien, wo sie sich in der vom Krieg gezeichneten Gesellschaft ohne diese Erfahrung nicht zurechtfindet.

Das Motiv der Identität(ssuche) findet sich mithin genreübergreifend in Produktionen aus verschiedenen Ländern von Regisseuren unterschiedlichster Couleur wieder; es ist auch nicht an männliche oder weibliche Figuren gebunden. Nachspielzeit und Cure etwa stehen sich als Adoleszenzfilme gegenüber und zeigen die Identitätskrisen in heterogenen Kontexten.

„Confusion“ (Schweiz 2014)
Bord Cadre films Sàrl, Recycled TV AG
Regie & Drehbuch: Laurent Négre

„Unter Verdacht – Betongold“ (Deutschland 2015)
EIKON Media GmbH
Regie: Ulrich Zrenner
Drehbuch: Michael Gantenberg

„Nachspielzeit“ (Deutschland 2013/14)
Lichtblick Media GmbH
Regie & Drehbuch: Andreas Pieper

„Cure – Das Leben einer Anderen“ (Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Schweiz 2014)
Pathé Films AG
Regie & Drehbuch: Andrea Štaka

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Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen