Tod, wo ist dein Stachel?
Die Figuren in Christoph Poschenrieders neuem Roman „Mauersegler“ wagen einen heiter-humorvollen Umgang mit dem Lebensende
Von Bernhard Walcher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZunächst einmal geht es in Christoph Poschenrieders Roman „Mauersegler“ um den Lebensabend einer Gruppe von fünf alten Freunden. Das Lebensende ist aber buchstäblich schon vor-programmiert. Denn Ernst – ehemaliger Software-Unternehmer und einer der fünf Freunde – hat für den unausweichlichen Fall des Ablebens für jeden ein „Todesengelprogramm“ ausgetüftelt, das allen Beteiligten die Möglichkeit eines selbstbestimmten Endes ohne Qualen und langes Leiden einräumt. Die Codes dieses Programms durchziehen leitmotivisch den tagebuchartigen Bericht des Ich-Erzählers Carl und werden vom übrigen Text durch eine andere Schrifttype abgesetzt. Sie basieren auf der banalen Grundeinstellung „Leben ist Eins, und Tod ist Null“.
Wie in einer Dramatis personae im Drama werden zu Beginn die Akteure vorgestellt, die alle auf ein erfolgreiches Arbeitsleben zurückblicken können. Vom Juristen Wilhelm, dem Lebensmitteltechnologen Heinrich, dem Programmierer Ernst und dem Theaterregisseur Siegfried unterscheidet sich der Ich-Erzähler insofern, als er einerseits offenbar nicht aus wohlhabenden Verhältnissen gekommen ist und es andererseits als „Journalist für Kraut und Rüben“ und bis zur Rente als Chefredakteur eines „schöngeistigen Magazins“ finanziell nicht so weit gebracht hat, wie seine Freunde aus der Jugendzeit. Das macht „Mauersegler“ auch zu einem Text über ungleiche Freundschaften. Allerdings verbindet die Freunde die Erinnerung an den früh verunglückten, im See ertrunkenen Martin. Die Umstände seines Todes und ihr Anteil daran werden nach und nach enthüllt.
Bisweilen wirken die Figuren wie am Reißbrett entstandene Prototypen bestimmter Berufsgruppen und langweilen auch nicht selten mit ihren überheblich-dekadenten Lebensansichten und Weltdeutungen. Gleichzeitig verbirgt sich auch gerade hinter der Konstruiertheit der Charaktere ein tiefgründiges und weitsichtiges Porträt der Wirtschaftswunder-Generation, denen ein schematisierter Lebenslauf von Lernen, Studieren, Familie und Leben eingetrichtert worden ist. Nach und nach stirbt einer nach dem anderen weg und es bleibt am Ende nur Carl als Chronist dieser Auslöschung übrig. Dessen Aufzeichnungen werden dann nach seinem Tod in einer Art Herausgeberfiktion von Katarina, der Haushaltshilfe und Pflegerin, gefunden und publiziert.
Die Figurenkonstellation ist sicher nicht neu. Statt auf den Tod in einem anonymen Heim zu warten, finden sich die fünf lieber zu einer unkonventionellen Alters-WG zusammen. Damit lässt sich nicht nur die gefällige wie angenehme Vorstellung eines Lebensabends, der noch einmal einen Höhepunkt an Unterhaltung, Spaß und Freude bereithält, literarisieren. Vielmehr werden damit auch generationenspezifische Lebensfragen und Mentalitäten thematisiert. Die Nähe zu Ralf Westhoffs 2014 entstandener und erfolgreicher Filmkomödie „Wir sind die Neuen“ ist unübersehbar. Dort werden die sicher geglaubten Lebensentwürfe und Lebensrichtungen von Mitgliedern einer Studenten-WG plötzlich brüchig und vergangene, vermeintlich spießige oder abgewertete Biographien werden wieder attraktiv. Auch bei Poschenrieder geht es letztlich um das Psychogramm einer Generation. Dafür werden wenige, aber exemplarische Personen für eine begrenzte Zeitspanne zusammengeführt. Das Ganze hat in der Literaturgeschichte Tradition und natürlich immer den Anspruch im Mikrokosmos weniger Figuren gleichsam die Triebfedern und Motivationen für die Überzeugungen und Handlungen einer bestimmten Epoche und Zeit offenzulegen. An die stilistische Brillanz, tiefsinnige Doppelbödigkeit und historische Schärfe des 2014 erschienenen Vorgängers „Das Sandkorn“ reicht der neue Roman indes nicht heran.
Gleichwohl sollten der Sprachwitz des Ich-Erzählers, der schelmisch-zynische Ton und der humorvolle Umgang mit dem eigenen Ende allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Text im Kern ein Thema fiktionalisiert und reflektiert, das in unserer Gegenwart zu heftigen Auseinandersetzungen und moralischen wie moralisierenden Diskussionen um Sterben und Sterbehilfe geführt hat. Man mag die eingebundenen Passagen des „Todesengelprogramms“ mit seiner Programmiersprache und für den technisch wenig versierten Leser unverständlichen Systematik als witzigen Einfall abtun. Doch bildet sich gerade darin die Problematik eines technisierten und bürokratisierten Verhältnisses zum Tod ab, in dem der Mensch zwischen Formularen, Rechten und Verboten nur noch eine Nebenrolle einnimmt. In seiner Formel „Leben ist Eins, und Tod ist Null“ verbirgt sich aber immer noch die ebenso beruhigende wie aufrüttelnde Erkenntnis, die der antike griechische Philosoph Epikur vor knapp 1800 Jahren formulierte: „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.
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