Kurz und manchmal komisch

In der „Manesse Bibliothek der Weltliteratur“ ist eine Auswahl aus Dostojewskis Erzählungen erschienen

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klappentexte lügen nicht. „Dostojewski einmal anders!“, heißt es auf dem Buchdeckel des neuen Bändchens aus der Manesse-Bibliothek. Und tatsächlich: Dostojewski, verpackt in einen Krokodil-Kunstleder-Einband samt giftgrünem, das Maul aufreißendem Krokodil – das hat es vorher wohl noch nicht gegeben. Dostojewski mit einem Nachwort versehen, das mit einer melancholischen Reverenz an die alte, seit ein paar Jahrzehnten ausgestorbene Fest-Sitte des Brotkügelchenschießens endet, wohl auch nicht. Nur der Dostojewski selbst, der in dem Bändchen abgedruckt ist, ist so anders und überraschend nun eigentlich doch nicht.

Dostojewski als „Satiriker“ und „Chaoskomiker“, der sich fern jeder „ausschweifenden Schicksals- und Gedankenschwere“ von einer „verblüffend unernsten Seite“ zeige, wie im Klappentext zu lesen ist? Als Autor mit Gespür für Komik und Satire kennt man Dostojewski doch eigentlich auch aus seinen berühmteren Texten. Das Komische ist durchaus ein wesentlicher Bestandteil der großen Romane, wie Eckhard Henscheid in seinem Nachwort zu Recht bemerkt. Man denke nur etwa an eine der Hauptfiguren aus „Die Dämonen“, den träumerisch-idealistischen Literaten und Faulenzer Stepan Werchowenski – dessen Geschichte ist Gelehrtensatire durch und durch, wenn auch in ernster Absicht und mit philosophisch-religiöser Wendung zum Schluss. Andersherum wird man von den fünf Texten des Manesse-Bandes zumindest zweien beim besten Willen nichts Komisches zusprechen können.

Fünf Erzählungen von recht unterschiedlicher inhaltlicher und formaler Gestaltung sind also in dem Bändchen versammelt, entstanden zwischen 1845 und 1876 und zwischen 28 und 113 kleinformatige Manesse-Seiten lang. Ganz unbekannt sind diese Texte natürlich nicht, auch nicht in Deutschland – bereits in der Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen, von E. K. Rahsin übersetzten deutschen Werkausgabe sind sie sämtlich vertreten. Hier erscheinen sie nun in neuer, gut lesbarer Übersetzung, mit Anmerkungen, Hinweisen zur Entstehung und Publikation und dem schon erwähnten ganz netten, nur hier und da etwas manieriert daherkommenden Nachwort versehen.

Den Anfang macht der „Roman in neun Briefen“, der natürlich kein Roman ist, sondern eine ziemlich müde Geschichte über zwei betrogene Betrüger, die auch dadurch nichts gewinnt, dass der Leser sich selbst zusammenreimen darf, was hier eigentlich Sache ist – denn die beiden Briefschreiber schreiben um den heißen, nicht ganz koscheren Brei herum.

„Das Krokodil“ beginnt furios: Ein Mann wird von einem Krokodil verschluckt, das ein Schausteller in Petersburg vorführt. Doch er bleibt quicklebendig und versucht fortan aus dem Bauch des Tieres heraus seine neue Popularität für allerlei weltverbesserische Ideen zu nutzen. Leider verliert die Geschichte bald an Schwung, wird zu einer etwas schwerfälligen Politsatire mit unklarer Tendenz und bricht dann unvermittelt ab. Dostojewski hatte wohl an eine Weiterführung des ursprünglich in Fortsetzungen erschienenen Textes gedacht, ihn dann aber in dieser unfertigen Form in eine Gesamtausgabe seiner Werke aufgenommen.

Über einen Pseudo-Humanisten in einflussreicher Stellung, der ein Zeichen für die Brüderlichkeit setzen will, indem er der Hochzeitsfete eines Untergebenen einen Überraschungsbesuch abstattet, berichtet „Eine peinliche Geschichte“. Gekonnt lässt Dostojewski dieses Unternehmen im bacchantischen Treiben des Festes, wo man sich um schöne Worte nicht schert, auf kläglichste Weise scheitern und entlarvt seinen Helden als selbstverliebten Dummkopf.

Ein nur halb geglücktes erzähltechnisches Experiment mit dem inneren Monolog ist „Die Sanftmütige“. Die Ehegeschichte, um die es hier geht, ist psychologisch nicht uninteressant, die Gedanken des Protagonisten wirken allerdings angesichts der Situation – seine  Frau liegt tot im Nebenzimmer, sie hat sich soeben das Leben genommen – nicht immer glaubwürdig und die Form erinnert teilweise eher an eine Verteidigungsrede als an eine unmittelbare Bewusstseinswiedergabe.

Der Band schließt mit einer sommerlichen Geschichte um einen 11-jährigen Jungen, der in den Ferien bei großer Gesellschaft auf dem Landgut eines Familienfreundes von ersten zarten pubertären Regungen heimgesucht wird – und sich nach mancherlei kleinen Demütigungen auf zwei ganz unterschiedliche Weisen als „Ein kleiner Held“, wie die Geschichte betitelt ist, erweist. Ein unprätentiöser, schöner Text, der durch die zurückhaltende, aber eindringliche Weise, wie dem Leser das Innenleben der Figuren nahe gebracht wird, ein wenig an Tschechow erinnert.

Dostojewski ist auch dann noch ein ziemlich guter Autor, wenn er nicht in Bestform ist. Die neue Erzählsammlung aus der Manesse-Bibliothek ist aber wohl eher etwas für diejenigen, die die bekannteren Werke schon kennen oder ein besonderes Interesse für die kleineren Erzählformen hegen. Wem bloß die Zeit für die dicken Romane fehlt, der wird mit einem kürzeren, aber reifen Roman wie etwa „Der Spieler“ besser bedient sein.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Fjodor Dostojewski: Das Krokodil. Erzählungen.
Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann.
Manesse Verlag, Zürich 2015.
445 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783717523628

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