Der zweite Band von „Literatur ohne Land“ beschäftigt sich mit „Schreibstrategien einer DDR-Literatur im vereinten Deutschland“
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePünktlich zum 25. Jubiläum des Mauerfalls lag Band zwei von Literatur ohne Land? vor. Band eins war zu einem ähnlich runden Datum 2009 herausgekommen. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung und dem sogenannten deutsch-deutschen Literaturstreit, in dem nicht zuletzt versucht wurde, der DDR-Literatur aufgrund ihrer vermeintlichen politischen Bindung den ästhetischen Wert abzusprechen, argumentiert der einleitende Essay des zweiten Bandes von Literatur ohne Land? dafür, die DDR-Literatur literaturgeschichtlich als eigenständige Epoche der deutschen Nachkriegsliteratur aufzufassen. Über eine literaturhistorische Verortung der DDR-Literatur hinaus bezieht der Essay die Ergebnisse der insgesamt 20 Einzelstudien (unter anderem zu Stefan Heym, Stephan Hermlin, Jochen Berg, Bert Papenfuß, Karl Mickel, Wolfgang Hilbig, Kerstin Hensel, Thomas Brasch, Klaus Schlesinger oder Hermann Kant) auf die Entwicklungen der quasi „gesamtdeutschen“ Literatur nach 1989 und leistet mithin einen Beitrag zur literarhistorischen Grundlagenforschung des 20. und des 21. Jahrhunderts.
Was die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem literarischen Feld DDR angeht, stellt diese These das Alleinstellungsmerkmal des Buches dar. Sie setzt den Versuch aus dem ersten Band fort, eine Definition der DDR-Literatur anzubieten und ergänzt ihn wesentlich. Festgemacht wird die Argumentation, neben soziokulturellen Aspekten, vor allem an einem Konzept von „littérature engagée“, das, wie kritisch-loyal oder ablehnend auch immer, als deutlich an das Land und seinen gesellschaftlichen Entwurf gebunden erscheint. Es unterscheidet sich nicht nur merklich von dem literarischen Engagement, das sich nach 1945 in Westdeutschland entwickelte (Gruppe 47 et cetera), sondern auch von demjenigen in den übrigen Ostblockstaaten. Es liegt nahe, dass eine Literatur, die so besondere Merkmale aufweist, in die Krise gerät, wenn das bis zuletzt mit existentiellen Hoffnungen belegte Land und sein Gesellschaftsentwurf im Laufe nur eines Jahres schlicht verschwinden.
Die Aufsätze des Bandes (beider Bände) untersuchen die jeweiligen poetologischen Auseinandersetzungen einzelner DDR-Autoren mit dem historischen Umbruch von 1989/90. Speziell in den Blick genommen wird dabei die weitere Entwicklung ihres literarischen Engagements. Es zeigt sich, dass sich nur sehr wenige Autoren von ihren vor 1989 ausgeprägten ästhetischen Strategien verabschiedet haben. Die DDR-Literatur reicht damit bis weit in die folgenden Jahrzehnte hinein und prägt die Literatur der neuen Bundesrepublik bis heute entscheidend mit – allerdings ohne dass diese Tatsache in der Öffentlichkeit besonders beachtet würde. Literatur ohne Land – I und II – setzen genau an diesem Punkt an und versuchen in diesem Sinne literarische und literaturhistorische Öffentlichkeit herzustellen.
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