Der Seufzer der Charlotte Janka

Eine engagierte Sammlung von Erinnerungen und Lebenszeugnissen erinnert an den Antifaschisten, Buchmenschen, Exilverleger und Spanienkämpfer Walter Janka

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die vorliegende Festgabe mit dem Titel „Walter Janka. Zu Kreuze kriechen kann ich nicht“ erschien anlässlich des 100. Geburtstages von Walter Janka am 29. April 2014. Heike Schneider, die Janka Anfang 1990 kennengelernt hatte, versammelt in diesem Buch 25 Beiträge von Freunden, Kollegen, Weggefährten und Zeitgenossen, die aus ihrer jeweiligen Sicht Zugänge zur beeindruckenden Persönlichkeit von Walter Janka vermitteln.

In der DDR hatte Walter Janka in den 1950er-Jahren den Aufbau Verlag zu internationalem Renommee verholfen. Am 6. Dezember 1956 war Janka am hellichten Tag in seinem Büro verhaftet und nach einem würdelosen Schauprozess zu fünf Jahren Zuchthaus mit verschärfter Einzelhaft in Bautzen verurteilt worden.

Eindrucksvoll ist die abgedruckte Trauerrede, die der befreundete Schriftsteller Günter Kunert auf dem Waldfriedhof in Kleinmachnow am 11. April 1994 gehalten hatte. Kunert bewunderte Jankas Charakterstärke, auch wenn er dessen Festhalten an einer sozialistischen Utopie nicht zu folgen vermochte. Janka, so Kunert, „fehlte das ‚Rüstzeug‘ zur geistigen Kapitulation, jene intellektuelle Geschmeidigkeit, Tatsachen zu relativieren und die eigene Vernunft zu instrumentalisieren und sie und sich den Gegebenheiten anzupassen, wie es die Mehrheit der DDR-Intellektuellen beiläufig getan hat“.

Umso verwunderlicher ist, dass im vorliegenden Band ein angepasster Mitläufer vom Schlage eines Werner Mittenzwei zu Wort kommt. Vielleicht auch deswegen, da dessen Äußerungen in ihrer Kaltschnäuzigkeit aufschlussreich sind. Auf das Schweigen von Anna Seghers während der skandalösen Gerichtsverhandlung gegen Janka angesprochen erklärt Mittenzwei: „Die Seghers ordnete die Verurteilung Jankas in die große Konfrontation des Kalten Krieges ein“ und ergänzte seine Erklärung dahingehend, dass Anna Seghers „im Übrigen auch eine kluge Taktikerin“ war.

Unfreiwillig schimmert hier eine scharfe, unüberschreitbare Grenze auf. Während die Beiträge dieser Sammlung durchweg den moralisch integren Charakter des politischen Kämpfers Walter Janka bewundern, sind für Mittenzwei Interessen der realsozialistischen Macht im übergeordneten Sinne legitim.

Das Schweigen der Anna Seghers und anderer Freunde und Genossen hatten Janka sein verbliebenes Leben lang zu schaffen gemacht. Seit frühester Jugend hatte sich der gelernte Schriftsetzer Janka der KPD angeschlossen und aktiv bei ihren Organisationen eingebracht. Den Kampf gegen den erstarkenden Nationalsozialismus hatte sein Bruder Albert nach unmenschlichen Foltern mit dem Leben bezahlt.

Auch Walter Janka war von den Nazis verhaftet worden. Er verbrachte insgesamt zwei Jahre im Zuchthaus Bautzen und im KZ Sachsenburg, ehe er in die Tschechoslowakei abgeschoben wurde. Als der Spanienkrieg ausbrach, drängte es den jungen Aktivisten an die Front. Da die Partei ihm diesen Einsatz untersagt hatte, schlug Janka sich auf eigene Faust nach Spanien durch. Er bewährte sich in der Division Carlos Marx und machte durch seine unerschrockene Tapferkeit auf sich aufmerksam. Janka wurde schließlich der jüngste Major auf der Seite der Republikaner.

Es folgten Internierungen, die Flucht und schließlich das Exil in Mexiko, wo Janka 1942 den Verlag El Libro Libre (Das freie Buch) aufbaute. Er veröffentlichte dort namhafte Autoren wie Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann oder Anna Seghers. Im April 1947 kehrte Janka wieder nach Deutschland zurück, selbstverständlich in den sozialistischen Sektor. Wie viele andere Exilanten erhoffte er sich im Ostteil die Errichtung eines neuen sozialistischen Deutschlands ohne Diktatur und Unterdrückung.

In all den Jahren des Exils und in der DDR hatte sich Janka auf die unbedingte Zuverlässigkeit seiner Frau Charlotte (1914–2012) stützen können, die ebenfalls aus einer kommunistischen Familie stammte. In seinem Beitrag „Ein großer Bogen und ein leichter Seufzer“ berichtet der französische Filmregisseur Bernard Mangiante über Charlotte und Walter Janka, die er in den späten 1980er-Jahren bei Dreharbeiten in Marseille näher kennen und schätzen gelernt hatte. 2009 besuchte er Charlotte Janka noch einmal und war mit ihr über Walter Jankas aufrechten Gang inmitten eines mörderischen Schicksals zu sprechen gekommen: „Nach dem letzten Halbsatz war ein paar Sekunden lang Stille. Und dann kam ein Seufzen, das ich nie vergessen werde. Ein kleines, unauffälliges Seufzen, das aber alles nur zusammenfasste: die Müdigkeit, all das erlebt, ertragen und nun noch einmal erzählt zu haben […]. Und vielleicht auch der grausame, inakzeptable Zweifel, ob sich das alles gelohnt hat oder nicht.“

Der Beitrag von Rolf Schneider „Ähnlichkeit mit Kafka-Geschichten“ war bereits 1990 in der Zeitschrift „Der Spiegel“ in gekürzter Fassung erschienen. Es bleibt das Geheimnis des Autors, warum eine entscheidende Richtigstellung, die Günter Kunert in einem Leserbrief vom 18.6.1990 im „Spiegel“ angemahnt hatte, nicht berücksichtigt wurde.

Im Gegensatz zu einem nicht abgeschickten Brief von Stefan Heym an Walter Janka sind die Erinnerungen von Michael Rohrwasser in seiner Skizze „Ein gläubiger Rebell“ richtiggehend aufregend. Auch die beiden abgedruckten Briefe, die Gerhard Zwerenz und Walter Janka im Frühjahr 1991 wechselten, erlauben nähere Aufschlüsse über Interna der DDR-Literatur. Fast wie in einem Vermächtnis flackert hier Jankas ungebrochenes Temperament in der Aufmerksamkeit für die Macht des Wortes wie auch für den Charakter politischer Wortmeldungen auf.

Titelbild

Heike Schneider (Hg.): Walter Janka. „Zu Kreuze kriechen kann ich nicht!“. Erinnerungen und Lebenszeugnisse.
vbb Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2014.
172 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783942476942

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