Das Verbrechen namens Ornament
Adolf Loos‘ „Gesammelte Schriften“ zeigen die Konsequenz und Bissigkeit, mit der er gegen die Faulheit der Geschmacklosigkeit zu Felde zog
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAdolf Loos’ „Ornament und Verbrechen“ ist ein unscheinbarer Text, der auch noch 20 Jahre auf seine Veröffentlichung warten musste – doch er ist heute in Erinnerung geblieben. Immer dann, wenn es gegen den Wildwuchs des Ornaments und gegen ein funktionsbefreites Design geht, kommt Loos‘ Text ins Spiel. Aber eben nur dieser eine Text.
Sicher, es handelt sich dabei nicht eben nur um einen Leittext, der – wenn auch recht spät – eine enorme Wirkung entfalten konnte, sondern um einen „leuchtenden Blitz“, nach dem nichts mehr so bleiben sollte, wie es zuvor gewesen war und mit dem die Neue Sachlichkeit ihre historische Weihe erhalten sollte. Auf Walter Benjamin geht diese adelnde Einschätzung zurück – wie der Herausgeber der „Gesammelten Schriften“ Adolf Loos’, Adolf Opel, hervorhebt.
Wie jeder Blitz ist auch dieser Text kurz, einprägsam und schnell verloschen – als Text ist er jedoch nicht derart stringent, wie man es erwarten könnte, wenn er denn funktional sein sollte. Er enthält starke Worte: In „Ornament und Verbrechen“ finden sich Sätze wie: „Evolution der Kultur ist gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornaments aus dem Gebrauchsgegenstande.“ Oder: „Die Menschheit sollte weiter in der Sklaverei des Ornaments keuchen.“ Oder: „Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit.“
Starke Worte und starke Thesen, denen heute kaum noch zu widersprechen ist, auch wenn das Ornament nicht auszutilgen ist und sich immer wieder Bahn bricht. Im Essay selbst haben sie deklamatorischen Charakter, sie sind nicht entwickelt, sondern präsentieren das Resultat eines langjährigen, eben auch publizistisch geführten Kampfes.
Dem Ornament als funktionslosem Zusatz, der gedankenlos und nach gebührender Konvention angebracht wird, galt Loos‘ ganzer Widerwillen von Beginn seiner publizistischen Tätigkeit in den späten 1890er-Jahren. In „Ornament und Verbrechen“ brachte er diese Abneigung bereits in der Überschrift auf den Punkt. Jede Generation habe ihren Stil, der der neuen industriellen Gesellschaft sei von Funktionalität und Striktheit geprägt, die auch in der Gestaltung Ausdruck finden müssten. Das Ornament hat für Loos deshalb in einem modernen Stil keinen Platz, mehr noch, ein moderner Mensch könne überhaupt kein Ornament mehr hervorbringen – es sei denn, er verlöre seine Modernität.
So berühmt dieser Text heute auch ist, so schwierig hatte er es im deutschen Kulturraum. 1908 geschrieben, hielt ihn Loos anscheinend immer wieder als Vortrag, was ihm sogar im Jahr 1970 eine Replik in der Zeitschrift „Ulk“ als „Ornamentenfeind“ eintrug.. Gedruckt wurde er im deutschsprachigen Raum aber erst im Jahr 1929, und dann nicht in Österreich, von dem Loos meinte, dass dort die „Ornament-Seuche“ „staatlich anerkannt und mit Staatsgeldern subventioniert“ werde, sondern in Deutschland, bei der liberalen „Frankfurter Zeitung“, die man geradezu als Hausblatt der Neuen Sachlichkeit ansehen kann. Übersetzungen in „alle Kultursprachen“ habe es zwar schon zuvor gegeben, außerdem ins Hebräische und Japanische, wie die Redaktion der Frankfurter Zeitung in einer Nachbemerkung bemerkte, nur im Deutschen sei er ungedruckt geblieben.
Dabei hatte Loos mit seinem Verdikt zweifelsohne Recht: Der Stil der neuen Zeit mag – vor allem nach 1930 – heroisch und erhaben gewesen sein (zumindest sollte er es sein), aber das Ornament hatte darin nur noch einen sehr zurückhaltenden Raum. Der Widerspruch zwischen Funktionalität und Durchführung bleibt allerdings hier erhalten, wenn man etwa an die antikisierenden Fassaden im Nationalsozialismus denkt, hinter denen sich Stahlbetonkonstruktionen verbargen. Gegen Imitation hatte sich Loos immerhin schon 1898 verwahrt. Die Anwendung müsse aus dem Material selbst entwickelt werden.
Loos steht hingegen der Neue Sachlichkeit sehr viel näher, wie seine nun erschienenen Essays und Kritiken, die als „Gesammelte Schriften“ firmieren, in aller Breite zeigen. Wollte die Neue Sachlichkeit die Sache selbst sprechen lassen, visierte Loos den funktionalen Kern der Gebrauchsgegenstände an. In einem Sessel muss man bequem sitzen können, sonst taugt er nicht. Dabei orientierte er sich zugleich an klassischen Formen, wie am Beispiel der antiken Gefäße zu sehen ist, die er in seiner Kritik „Glas und Thon“ anführte. Gelten antike Gefäße dem heutigen Betrachter zwar vor allem als schön, werde ihre Form jedoch aus der Alltagspraxis abgeleitet. Diese Vasen seien eben vor allem praktisch, betont er, und wir hätten sie immer nur – wie zu ergänzen wäre – für schön gehalten. Die Wendung „Form follows function“ stammt zwar nicht von Loos, könnte aber als sein Leitsatz gelten.
Der Schwerpunkt von Loos’ publizistischer Arbeit lag offensichtlich im Jahr 1898. 36 Texte veröffentlichte er in diesem Jahr, so viele wie niemals mehr später. Die in die Sammlung aufgenommenen stammen aus den Jahren 1897 bis 1932 – wobei die späten Texte, Interviews und Veröffentlichungen aus dem Fundus, dem berühmten Architekten der Moderne zu verdanken sind, und nicht dem jungen Mann, der sich und Seinesgleichen im ornamentverliebten Wien durchzusetzen versuchte.
Loos selbst hat zahlreiche seiner Texte in zwei Sammelbänden zusammengestellt, „Ins Leere gesprochen“ (1921) und „Trotzdem“ (1931), in deren Titel bereits die Resignation des Verfassers zu erkennen ist. Für diese Publikationen hat er die konkreten Exempel allerdings gestrichen, die in den Tagespublikationen zweifelsohne ihre Berechtigung hatten, für eine Sammlung jedoch verzichtbar waren. Opel hat diese Streichungen in seiner Zusammenstellung kenntlich gemacht, was die Arbeit mit den Texten deutlich erleichtert – er verhindert damit, dass sich Anachronismen einschleichen, die jeder Arbeit mit den Abdrucken auf eine unsichere Basis gestellt hätte.
Streitbar war Loos ohne Zweifel, polemisch noch dazu, und das von Anfang an. Der junge, aus den USA zurückgekehrte Publizist suchte zwar noch eine eigene Sprache, fand aber schnell zu einer größeren Sicherheit, weil er sein Thema gefunden hatte und dazu einiges beizutragen hatte: die Verführbarkeit der Gebrauchskünste durch die Konvention, die Gewohnheit und die Faulheit.
Er könne ja nun leider nicht immer loben, denn dazu bestehe meist kein Grund, meint Loos in einem seiner frühen Texte. Und was er bei seiner Tour durch die Alltagskultur seiner Zeit zu berichten hat, ist in der Tat erschütternd, auch wenn zahlreiche Produkte jener Zeit uns immer noch umgeben. Seine kurze Überlegung, wie es zum Einsatz von Profil und Ornament kommt, zeigt die Gedankenlosigkeit, mit der eine Konvention Mal um Mal wieder aufgenommen wird. Vor dem eigenen Gedanken stehen anscheinend stets die Faulheit und die Wiederholung des Immergleichen.
1870 in Brünn geboren, zog Loos Anfang der 1890er-Jahre in die USA und ließ sich schließlich 1896 in Wien nieder. Dort begann er eine umstrittene Laufbahn als Publizist und Architekt. Seine Schriften sind, unerwartet, von Anfang an praxisorientiert. Es sind Ausstellungskritiken, mit denen er zugleich das gesamte Ausstattungsensemble von Gebrauchsgegenständen durchdeklinierte: Möbel, Kleidung, Besteck, Schuhe, Häuser und was es sonst im großen Alltagskosmos gibt. Nichts war vor diesem jungen Mann mit der spitzen Feder gefeit, der vehement gegen die Geschmacksduseligkeit und Bequemlichkeit der Wiener Mehrheitskultur vorging und geißelte, was ihm nur vor‘s kritische Auge kam. Dass er sich und seine Generation, die von der amerikanisierten Moderne geprägt war, als Alternative anbot, ist dabei eben auch als typische Überheblichkeit eines bekennenden Außenseiters zu sehen und diesem nachzusehen.
Dass Loos dennoch zweifelsfrei ein Avantgardist war und vorbereitete, was nach ihm Normalität werden und Bauhaus genannt werden sollte, steht dabei außer Frage. Dennoch sind die Differenzen zum Bauhaus-Stil klar erkennbar: Loos’ Bauten sind zwar klarer und planer als das, was seine Zeitgenossen bauten, und führten zu einigem Krawall, wie dem Vorwort der Ausgabe zu entnehmen ist. Für die Zeitgenossen standen diese Gebäude nackt da. Für uns sind sie Ausdruck einer zugleich klassizistischen wie modernen Haltung und nicht derart radikal, wie es dann beim Bauhaus werden würde. Nur so wird Loos’ Satz verständlich, dass für ihn die Tradition an erster Stelle stehe.
Einen modernistischen Traditionalisten gibt es also zu entdecken und einen streitbaren Kritiker seiner Gegenwartskultur, der immer noch Anregendes zum Verhältnis von Gebrauchskultur und Ornament zu sagen hat.