Herzzeitsprünge

Ein Sammelband zu Ingeborg Bachmanns und Paul Celans Briefwechsel zwischen Poesie und Poetologie

Von Bastian ReinertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bastian Reinert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als 2008 der langersehente, aber eigentlich noch auf Jahrzehnte gesperrte Briefwechsel Ingeborg Bachmanns und Paul Celans unter dem vielsagenden Titel Herzzeit erschien, herausgegeben von den Granden der Celan- wie der Bachmann-Philologie, war das nicht nur für die Forschung, sondern auch für die literarisch interessierte Öffentlichkeit eine echte Sensation. Das Bildungsbürgertum war begeistert, dass es nun endlich in der immer schon bekannten, in Details aber nur vermuteten, durch den Briefwechsel dann aber vollends als äußerst kompliziert wenn nicht gar tragisch sich entpuppenden Beziehungskiste schmökern durfte. Die Feuilleton-Paparazzi waren derart dankbar für die ihnen unerwartet in den Schoß gefallene intellektuelle ‚Love Story‘, dass sie bei der so nötigen Differenzierung zwischen Werk und Leben der beiden Protagonisten gerne mal fünfe gerade sein ließen.

Groß war die Erleichterung, denn als Sigrid Weigel ein Jahrzehnt zuvor ihre umfangreiche Bachmannstudie vorlegte, musste dies 1999 noch – so der Untertitel – „unter Wahrung des Briefgeheimnisses“ geschehen. Zum Glück, muss man aus der Retrospektive ergänzen, denn die bisherige Forschung hatte sich schließlich immer wieder in diversen Yellow-Press-Phantasien verrannt, die so wenigstens weder bestätigt noch widerlegt werden konnten. Philologisch sehr vorbildlich war auch der kurz zuvor von Weigel zusammen mit Bernhard Böschenstein herausgegebene Band Poetische Korrespondenzen (1997), dessen noch bis heute lesenswerte Beiträge sich nicht (oder nur selten) in biographischen Spekulationen versteigen, sondern tatsächlich die Literatur Bachmanns und Celans auf produktive Weise miteinander ins Gespräch bringen. An diesen großen Bruder im Geiste knüpft nun, der Untertitel Historisch-poetische Korrelationen macht daraus keinen Hehl, der von Gernot Wimmer herausgegebene schmale Band an. Auch Weigel und Böschenstein sind wieder mit von der Partie und rahmen mit ihren beiden Beiträgen neun weitere ein, die sich mal mehr, mal weniger explizit auf jene mit 150 Seiten gar nicht allzu umfangreiche Herzzeit Bachmanns und Celans beziehen.

Die Beiträge, die auf ein Pariser Kolloquium aus dem Dezember 2012 zurückgehen und deren erklärtes Anliegen es nach Wimmer sei, die „zeitgeschichtliche Verwobenheit“ Bachmanns und Celans herauszustellen, sind dabei drei Sektionen untergeordnet: Lebensweltliches als Sozialgeschichte, Überlegungen zu poetologischen Kategorien sowie Interpretation von Auswahlgedichten. Entsprechend steht die „Kollektivwunde der Shoah“ ebenso im Zentrum der Untersuchungen wie Bachmanns und Celans „biographisch bedingte Stellung zur Zeitgeschichte“.

Mit dem Blick auf diese „Zeitgeschichte“ unweigerlich verknüpft ist die frühe und problematische Rezeption des Außenseiters Celan, während Bachmann bereits nach ihrer ersten Lesung beim legendären Treffen der Gruppe 47 (1952 in Niendorf), bei dem man sich wiederum für Celan nur wenig interessierte, zum neuen Star der deutschsprachigen Literatur avancierte. Während Celan in der Kritik durchfiel, ihm gar attestiert wurde, er lese wie Joseph Goebbels, und er sich im Zuge der sogenannten Goll-Affäre auch noch haarsträubenden Plagiatsvorwürfen ausgesetzt sah, wurde Bachmann binnen weniger Jahre eine weithin geschätzte wie erfolgreiche Autorin, die nicht nur mit wichtigen Literaturpreisen bedacht, sondern zudem auch als erste Person überhaupt dazu berufen wurde, in Frankfurt die bis heute wichtigste Poetikdozentur abzuhalten. Zwar haderte Bachmann in den Briefen auch mit diesen Formen der Anerkennung, aber dennoch führte diese, gerade vor dem Hintergrund des Gefälles zwischen den beiden Schriftstellern, unweigerlich zu privaten Spannungen mit Celan. Dass sie ihm einmal vorwirft „du willst das Opfer“ sein – und das nicht etwa in Verkennung seiner Situation, sondern mit viel Bedacht –, lässt sich erst aus dem Kontext der unsäglichen, von Ivan Golls Witwe angestoßenen und ständig befeuerten Plagiatsaffäre und dem antisemitischen Klima der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft verstehen, einem Kontext, den Barbara Wiedemann in ihrem Beitrag mit viel Detailwissen ausbreitet – ihre umfangreiche Dokumentation der Goll-Affäre, 2000 bei Suhrkamp erschienen, ist längst ein Standardwerk der Celan-Forschung und erfährt hier gewissermaßen eine kurze Aktualisierung.

Ähnliches gilt auch für den Aufsatz Marc-Oliver Schusters, der ebenfalls aus der Ablehnungserfahrung Celans heraus – hier am Beispiel der aus heutiger Sicht atemberaubend unverständigen Rezension Günter Blöckers zu Celans Sprachgitter-Band (1959) – ein neues Licht auf dessen kurzen Prosatext Gespräch im Gebirg aus demselben Jahr zu gewinnen vermag.

Sehr aufschlussreich sind auch die beiden Aufsätze von Madlen Reimer und Mareike Stoll, die den Briefwechsel Bachmanns und Celans tatsächlich ganz ins Zentrum ihrer Untersuchungen zur Poetologie der beiden Autoren rücken und damit gewissermaßen das Kernstück des Bandes darstellen, von dem aus die Relevanz dieser Korrespondenz jenseits aller biographischen Neugier deutlich wird. Reimer stellt heraus, dass die Briefe Bachmanns bereits die „poetologischen Implikationen“ des späteren Romans Malina präjudizieren, aus dem ja wiederum die (damals für Weigel titelgebende) Reflexion stammt: „Ich möchte das Briefgeheimnis wahren. Aber ich möchte auch etwas hinterlassen.“ Im nächsten Schritt zeigt dann Stoll, wie überhaupt erst die Briefe die offenbar notwendige Bühne und der Dialog mit dem Gegenüber erst die notwendige Projektionsfläche für die Entwicklung der eigenen Poetologien bereitstellten.

Weniger gelungen hingegen ist der Beitrag des Herausgebers Gernot Wimmer, in dem er das lyrische Frühwerk Celans und Bachmanns im Grunde ohne jeden Erkenntnisgewinn am Beispiel jeweils eines einzelnen Gedichtes gegenüberstellt. Auch sprachlich hapert es in dem thesenarmen und kaum je analytischen Aufsatz, wenn beispielsweise Bachmanns berühmtes Gedicht Die gestundete Zeit (Titelgedicht des gleichnamigen Bandes von 1953) „die Titelerzählung“ genannt wird und dann im Folgenden gar von einem „erzählerischen Umfeld“ oder – mit Bezug auf den Schluss des Gedichts – vom „Endbereich der Handlung“ die Rede ist, die letzte Strophe als „letzte[r] Absatz“ erscheint und überhaupt beinahe bedauernd festgestellt wird, es „hätte sich prinzipiell auch die Prosa-Form als Vermittlungs-Medium angeboten“. Die sprachliche Unschärfe, mit der beispielsweise – und das ist bestenfalls unbeholfen zu nennen – vom „Holocaust-Stoff“ parliert wird, wäre kaum der Rede wert, spiegelte sie nicht zugleich auch das Reflexionsniveau des gesamten Beitrags wider, der, wenn er sich schon mit der bestehenden Forschung auseinandersetzt, dieser entweder widerspricht (ohne überzeugende Gegenargumente zu liefern) oder aber sie so texthörig zitiert, dass selbst Gemeinplätze ebenso wie gesicherte Fakten der Celan-Forschung lang und umständlich zitiert werden müssen. Um festzustellen, dass Celan in Todesfuge (er hasste den bestimmten Artikel und ließ ihn in seinem Titel absichtlich weg) eine Vielzahl kultureller Referenztexte aufruft, braucht man nicht eigens das (vorzügliche) Celan-Handbuch zu zitieren, nur um von dort exakt zu übernehmen: „von Luther über Goethe und Heine bis hin zu Trakl“.

Ganz hervorragend jedoch ist der mit „Ménage à trois“ betitelte Aufsatz Ruven Karrs, der die Liebesgedichte Celans zwar vor dem Hintergrund biographischer Fakten präsentiert, sie dann aber luzide als Form „des dialogischen Totengedenkens“ im Zeugenschaftsdiskurs der Shoah verortet. Geradezu mustergültig wird hier stets die Differenz zwischen den Realien (Details zu Celans Liebschaften) und der eigentlichen Analyse der Gedichte eingehalten. Die Liebesgedichte werden schließlich einem Gedächtnisdiskurs eingeschrieben, da auch „die Liebe nicht länger ein unschuldiges Thema der Poesie“ sein könne, sondern gleichsam „zur Folie des intersubjektiv beziehungsweise dialogisch verstandenen Totengedenkens“ werde. Die ‚Ménage à trois‘ des Titels bezieht sich somit auf die Trias Dichter-Ich, die Toten sowie eine adressierte Person, die schließlich die Grundkonstellation von Zeugenschaft bilden: „erstens den Zeugen im eigentlichen Wortsinn, den Shoah-Überlebenden, der sich in den Gedichten häufig als dichterische Instanz zu erkennen gibt; zweitens das zu Bezeugende, die inhaltliche Dimension des Zeugnisses, die bei Celan aber nicht die poetische Darstellung des Geschehenen umfasst, sondern die personale Evokation der Toten; drittens als Gesprächspartner das ‚ansprechbare[] Du‘, das Celans Poetik für sich beansprucht“. Die Liebesgedichte Celans sind so kaum noch als klassische, das heißt bloße Liebesgedichte zu verstehen, sondern ihre Adressatinnen werden zu Projektionsflächen, zu eben diesem ‚ansprechbare[n] Du‘, „dem das Vergangene erfahrbar gemacht werden soll“. So wird auch in diesem Beitrag vor allem das Dialogische an Celans Lyrik mit vollem Recht in den Vordergrund gerückt.

Der Band versammelt – wie es in der Einleitung treffend heißt – in der Tat viele „innovative“ Beiträge, hätte aber dennoch eine stärkere Redaktion vertragen können. So hätten vom Herausgeber Wiederholungen durch Streichungen getilgt und Redundanzen, die im Lesefluss mitunter störend sind, durch Glättungen verhindert werden können. Zwar liegt es in der Natur der Sache eines solchen Bandes, der zum einen aus einer Tagung und zum anderen mit Fokus auf einen bestimmten Text (den Briefwechsel Bachmanns und Celans) entstanden ist, dass er zahlreiche Hinweise auf ebenjene Herzzeit aufweist, doch müssen dessen Publikations- und Rezeptionshintergründe darum ebenso wenig ein ums andere Mal repetiert werden wie der ständige Rekurs auf die mitunter immer gleichen Ausführungen der bisherigen Forschung. Dessen ungeachtet ist der Band aber insgesamt sehr lesenswert und werden einzelne Beiträge auch in der künftigen Beschäftigung mit Bachmann und Celan noch einige Zeit nachhallen.

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Gernot Wimmer (Hg.): Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Historisch-poetische Korrelation.
Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte. Band 145.
De Gruyter, Berlin 2014.
200 Seiten, 79,95 EUR.
ISBN-13: 9783110331264

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